Sonntag, 4. August 2013

So sweet



Wenn mir ein Thema am Herzen liegt, dann sind es Brombeeren. Deshalb hat das Thema Brombeeren auf diesem Blog ein eigenes Tag bekommen. Erstens weil ich Brombeeren liebe, zweitens weil selbstgemachte Brombeermarmelade der Burner ist, drittens weil selbstgemachte Brombeermarmelade aus selbstgepflückten Brombeeren der absolute Burner ist, und viertens, weil jedes Jahr beim Brombeerpflücken irgendwas passiert, woran ich noch lange später denke. Und zwar mit Gewinn.

Nichtbrombeerpflückern sei gesagt, dass heuer eine Bombenbrombeersaison angebrochen ist, wegen der Hitzewelle, dann ein paar Tage Starkregen und jetzt eine neuerliche Hitzewelle. Brombeeren lieben das. Sie explodieren förmlich aus dem sperrigen Dornengebüsch heraus. Sie hängen üppig an schweren Zweigen, in riesigen Dolden, schimmern dem Pflücker schwarz, satt und fett entgegen, so dass die übliche brombeerpflücktechnische Schinderei, die zwangsläufig in ein blutiges Kratzerdesaster am ganzen Körper mündet, sich dieses Jahr in engen Grenzen hält. Dieses Jahr wachsen die Brombeeren einem förmlich ins Maul.


Frühmorgens ist die beste Zeit zur Ernte. Die Luft ist noch schön frisch, während die schwarzen Beeren bereits von der Morgensonne aufgeheizt wurden. Die erste dieser vollreifen, sonnengewärmten Früchte in den Mund zu schieben ist jedes Mal eine kleine geschmackliche Sensation. Sachte gegen den Gaumen gedrückt, macht sich zunächst nichts als eine süße, schmeichelnde Wärme breit; kurz darauf setzt der fruchtige Säureschock ein. Beides zusammen ergibt im Mund eine unvergleichliche Reaktion. So was schaffen nur Brombeeren.

Danach setzt die Gier ein, die nackte Gier auf nicht bloß eine, sondern den ganzen Mund voll Brombeeren, handvollweise, denn man braucht ja nur die Hand auszustrecken, mit allen fünf Fingern sachte an den riesigen Dolden zu zupfen, die Beeren lösen sich widerstandslos, gleiten in die unzerkratzte Hand und von der Hand in den Mund und die große Sensation nimmt ihren Lauf. Solange der Mund voll ist, fallen die gezupften Früchte handvollweise in den Spankorb, der sich im Handumdrehen füllt, und allein dieser Anblick fetter, schwarz schimmernder, sich im Korb häufender Brombeeren in der frühen Morgensonne macht den Tag zu meinem Tag.


Heute früh war mein erster Spankorb schon fast voll, mein Kopf hing konzentriert und mit vollem Mund über einem Prachtexemplar von Dolde, da hörte ich ein schneidig schnurrendes Geräusch sich nähern. Es näherte sich schnell, so dass mir gar keine Zeit blieb mich umzudrehen. Das Geräusch schnurrte von rechts in einem rasanten Bogen um mich herum und verstummte abrupt: Links neben mir war ein Rollstuhl zum Stillstand gekommen. In dem Rollstuhl saß ein alter Mann. Er nickte mir freundlich zu und begann Brombeeren zu pflücken.

Er tat dies mit geübten Griffen und stets in der gleichen Abfolge: Zuerst streckte er den rechten Arm aus ins Gebüsch, zupfte eine Brombeere, ließ sie von der rechten in die linke Hand gleiten, schob sich mit der linken Hand die Brombeere in den Mund, und während die linke Hand die Frucht in  den Mund schob, streckte er synchron den rechten Arm von neuem aus, zupfte, übergab die Frucht der linken Hand, schob sie sich in den Mund und immer so fort in einem faszinierend routinierten Rhythmus. In dem alten Gesicht lag ein Ausdruck höchster genießerischer Verzückung.

Reflexhaft hielt ich dem Mann meinen vollen Spankorb entgegen und bot ihm an, sich der gepflückten Brombeeren zu bedienen. Zögernd öffnete er seine rechte Hand. Ich füllte sie mit Brombeeren. Er schob sich die Früchte in den Mund, kaute andächtig, schaute irgendwie versonnen in meinen Korb, so dass ich ihm noch eine Handvoll anbot. Da hob er höflich ablehnend seine Hand, lächelte breit und sagte in gebrochenem Deutsch: "Ist süßer, wenn allein!", streckte die Hand erneut ins Gebüsch aus, um weiterhin eigenhändig eine Brombeere nach der anderen zu zupfen und zu genießen.

Nach einer Weile fing es wieder an zu schnurren, der alte Mann steuerte sein Gefährt zum nächsten Gebüsch, das Schnurren verstummte, der Mann zupfte, drehte den Kopf noch einmal zu mir zurück, lachte und rief: "Ist viel süßer so, verstehn?"

Ja. Ich verstand. Voll und ganz. Weil der alte Mann genauso tickt wie ich: Selbstgepflückte Brombeeren sind nun mal der Burner. Nur dass er halt im Rollstuhl pflückt und ich im Stehen. Würde ich mich etwa freuen, wenn mir, mitten im Rausch des Brombeerenpflückens, jemand Wildfremdes eine Handvoll gepflückter Brombeeren anböte? Eben.
Ist viel süßer, wenn allein.

Natürlich kann man sich die ganze Mühe auch sparen, in den klimatisierten Supermarkt gehen und eine 200-Gramm-Schale Brombeeren für 1,89 Euro kaufen. Aber erstens begegnet man keinen ungewöhnlichen Menschen, und zweitens, drittens, viertens,
ich schwöre es: Ist süßer, wenn allein.


2 Kommentare:

  1. Hallo Mrs. Mop,

    ein schöner Bericht, der mich an meine Kindheit erinnert hat.
    Meine Grossmutter war verliebt in Himbeer-und Brombeergelee. Sie kannte die Stellen, wo man diese finden konnte. Ihre Oberarme waren von der Pflückerei in jedem Sommer arg zerstochen.

    Die Küche, in der es noch eine mit Holz oder Kohle zu befeuernde Kochstelle gab, stand voller Gläser mit Brombeer-und Himbeergelee.

    Ich erinnere mich sogar heute noch an diesen unvergleichbaren Geschmack. Weil es eine richtige "maman poule" war - eine Henne , die sich ständig um ihre Kinder sorgt-, hat sie die Gläser an alle ihre Kinder verschenkt, und davon gab es sechs.

    Hoffentlich hat sie einige für sich zurückbehalten.

    Gruss Troptard.

    P.S. Ich selber habe versucht Himbeeren in meinen Garten zu kultivieren, weil meine beiden Frauen die so gern mögen. Klappt aber nicht. Der Boden ist zu trocken und trotz regelmässiger Bewässerung vertrocknet die Pflanze. So ergeht es mir auch mit den Johannisbeeren.

    Die Pflanzen überleben, tragen aber keine Früchte.

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    1. Ich bin zwar weder "maman" noch "poule", aber mein inzwischen brechend gefülltes Marmeladenregal im Keller erfüllt mich mit tiefer Befriedigung. Und die Leute flippen fast aus vor Freude über ein Glas selbstgemachter Brombeermarmelade - kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, da ist unbedingt was dran ;)

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