Ladendiebe aller Länder, vereinigt euch!
Ist als Überschrift noch ganz witzig, aber beim Rest des Textes vergeht das Lachen. Der Text stammt von
Slavoj Zizek. Das ist der, der immer schon dort ist, wo man selber grade hin möchte, und der dann jedes Mal triumphierend ruft: Ha!, ich war vor dir da! Der Slavoj, so viel steht fest, hat die Nase vorn, wann immer sich in dieser postmodernen Welt etwas bewegt.
Wer den Slavoj einmal live erlebt hat, weiß, wie Wahnsinn wehtut. Weil es einen glatt in den Wahnsinn treibt, wenn der Typ beim Vortragen seiner Gedanken unablässig hyperaktiv an seinem verschwitzten Hemd zupft und zerrt, jawohl, verschwitzt, denn der Slavoj transpiriert seine intellektuellen Ergüsse förmlich aus allen Poren heraus, umklammert mit schweißnassen Händen sein Redemanuskript, wischt sich den strömenden Schweiß von der Stirn und - Stichwort Nase vorn - zupft und zerrt dabei pausenlos an der phänomenal schweißtriefenden Nase, von der man gar nicht wissen möchte, was er da so alles reingetan hat, jedoch intuitiv schlussfolgert, dass 'zupfen' irgendwie von 'schnupfen' kommen muss.
Ohne Redemanuskript ist der Slavoj übrigens genauso aufgeschmissen wie der legendär-charismatische Redner Obama ohne Teleprompter. Das nur am Rande. Freie Rede? Aber woher denn! Freies Reden, das ist allenfalls etwas für freie Revolutionäre, aber doch nicht für einen hektisch vom Blatt ablesenden, redenschwingenden Intellektuellen, der sich die Revolutionen dieser Welt zu seinem wissenschaftlichen Sachgebiet gemacht hat.
Revolutionen, jetzt sind wir beim Thema. Der Slavoj hat wieder mal ordentlich ausgeholt und einen Rundumschlag abgeliefert, der sich gewaschen hat. Einen Rundumschlag über alles, was rund ums Mittelmeer revolutionär so kreucht und fleucht, nicht zu vergessen das Königreich in der Nordsee. Einen Rundumschlag nach dem Motto: Wo der Slavoj war, da wächst kein Gras mehr. Weil nämlich sein Lieblingshobby darin besteht, überall dort, wo's irgendwie knallt und kracht und sich bewegt, den verwertbaren Gehalt an revolutionärer Theorie abzugrasen. Also, seiner revolutionären Theorie, nicht irgendjemandes Theorien. Könnte ja jeder kommen. Aber - hier kommt Slavoj.
Diesmal hat er sich im altehrwürdigen London Review of Books einen abgeschnieft; also genau dort, wo bekanntlich Revolutionen gemacht und entschieden werden. Gleich vorneweg: An keinem einzigen der aktuellen revolutionären (dürfen wir sie überhaupt so nennen?) Praktiker lässt der Theoretiker Slavoj ein gutes Haar. Warum? Na, ganz einfach: weil denen die Theorie fehlt. Welche Theorie? Na, die richtige. Welches ist die richtige Theorie? Na, die vom Slavoj. Noch Fragen?
An der revolutionären Substanz der britischen Riots hat der Slavoj besonders viel zu bekritteln, was irgendwie klar ist, weil diese durchgeknallten Ladendiebe ja nun theoretisch und/oder programmatisch wirklich gar nichts auf die Reihe bringen.
"Genau wie die Autoverbrenner der Pariser Banlieues im Jahr 2005 sind die UK Riots außerstande, eine Botschaft zu liefern."
Ein Grund, sie abzuwatschen - kommen als revolutionäre Subjekte nicht in Frage. Ins Schwärmen gerät der Slavoj dagegen bei den britischen Studentenunruhen im November 2010, denn die Studenten wussten, was sie taten:
"Die Studenten machten klar, dass sie die geplanten Bildungsreformen ablehnten."
Und weil die Studenten klar machten, was sie ablehnten, und die Riots ebendies versäumten klarzumachen, ist für den Slavoj klar:
"Deshalb ist es schwierig, sich die UK Riots in marxistischer Begrifflichkeit vorzustellen als einen Fall von Auftauchen des revolutionären Subjekts."
Und dass sich diese Riots jetzt bitte nicht rausreden mit Bildungsbenachteiligung und sozialer Ungleichheit - mag ja alles sein, quengelt der Slavoj, ist aber noch lange kein Grund, weder mit politischem Bewusstsein noch mit politischem Programm aufzuwarten, denn schließlich haben sie
"... zwar unterprivilegiert und sozial ausgeschlossen, so doch nicht am Rande des Verhungerns gelebt."
Ja, und? Der Slovaj legt erläuternd nach:
"Es gibt Menschen in weit schlimmerer materieller Bedrängnis, ganz zu schweigen von physischer und ideologischer Unterdrückung, die waren trotzdem imstande, sich zu einer politischen Kraft zu organisieren mit einem klaren Programm."
Da habt ihr's, Riots! Anderen geht's noch viel schlechter als euch, und die bringen trotzdem etwas auf die Beine, genauer gesagt: etwas mit revolutionärem Hand und Fuß, ein Programm!
Der Slovaj wäre aber nicht der Slovaj, würde er nicht noch ein wenig schicksalhaft dräuendes postmodernes Geschwurbel obendrauf setzen:
"Möglicherweise ist dies eine der größten Gefahren des Kapitalismus: Obwohl er, kraft seiner Globalität, die ganze Welt umfasst, hält er eine 'weltlose' ideologische Konstellation aufrecht, in der die Menschen jener Wege beraubt werden, die ihnen verortbare Bedeutung geben könnten."
Steht da. Ich schwör's. Locating meaning? Ideological constellation? Worldless? Keine Ahnung, was der Slovaj sich in die Nase geballert hat, bevor er diese unverortbaren weltlosen Verbalhohlkörper rausschwitzte.
Weiter geht's mit Slovajs Schwitzkur-Express nach Ägypten. Wer jetzt denkt, die ägyptischen Revolutionäre kommen besser weg als die unprogrammierten englischen Riots - Fehlanzeige. Was keiner weiß - denn woher soll er es zum jetzigen Zeitpunkt wissen? -, der Slovaj weiß es längst:
"Leider wird der Ägyptische Sommer von 2011 erinnert werden als das, was das Ende der Revolution markiert, nämlich als eine Epoche, in der das emanzipatorische Potential erstickt wurde. Seine Totengräber sind die Armee und die Islamisten."
Zwar hatte ich erst dieser Tage einen recht lebendigen Eindruck von dem, was auf Kairos Tahrir Square passiert, bin da aber wohl nicht auf der Höhe der Zeit, denn der Slovaj prophezeit, dass nach Ersticken des emanzipatorischen Potentials die Armen Ägyptens sich die Straße erobern werden:
"... die Armen, die während der Frühlingsproteste praktisch abwesend waren, (gehen) auf die Straße. Wahrscheinlich wird es zu einer neuen Explosion kommen, und die schwierige Frage für Ägyptens politische Subjekte wird sein: Wer wird imstande sein, den Wutausbruch der Armen zu steuern?"
Ist klar, was der Slovaj meint, oder? Nicht die Armen sind oder werden die politischen Subjekte sein, sondern die, äh ja, wer denn nun eigentlich? Die mit dem emanzipatorischen Potential? Sind die alle wohlhabend, oder was? Und die Armen haben kein emanzipatorisches Potential? Solche Fragen erwischen den Slovaj auf dem falschen Nasenloch, denn worauf er eigentlich hinaus will, ist dies:
"Wer wird das (den Wutausbruch der Armen) dann übersetzen in ein politisches Programm?"
Na, die Armen bestimmt nicht, schon wegen ihres mangelhaften emanzipatorischen Potentials. Und die ominösen "politischen Subjekte" ebenso wenig, denn denen mangelt es an einem politischen Programm. Wenn die nur endlich mal auf den Slovaj hören würden! Auf den bildungsbürgerlichen Bescheidwisser, dem die ewig triefende, ewig schniefende Nase vermutlich in die Hose rutschen würde, begäbe er sich auch nur ein einziges Mal auf die Straße zum Zwecke des Kämpfens. Darum bleibt Schniefnase auch lieber an seinem Schreibtisch hocken und programmiert die verpeilten revolutionären Subjekte auf Programm: Der "heutigen Linken" stelle sich die Frage,
"welche neue Ordnung sollte die alte Ordnung ersetzen nach erfolgtem Aufstand, wenn der ergreifende Enthusiasmus des ersten Augenblickes abgeklungen ist?"
und da der Slovaj sich selbst unzweifelhaft zu dem zählt, was er die "heutige Linke" nennt, jedoch ebenso unzweifelhaft noch nie auf irgendeinem Straßenaufstand gesichtet wurde, darf davon ausgegangen werden, dass er sich selbst gern am programmatischen Kopf einer Bewegung sähe, die - getragen von ergreifendem Enthusiasmus - für ihn die Dreckarbeit des Aufstandes erledigt. Das ist jetzt gemein, aber irgendwie logisch.
Besonders kopflos - im Sinne mangelnder Programmiertheit - findet der Slovaj die spanischen Indignados. Das ist kein Wunder, hat doch die Bewegung 15-M ein schriftliches Manifesto vorgelegt, an dem der Slovaj sich revolutionstheoretisch-systematisch abarbeiten kann, um es dann systematisch zu verreißen:
"Die Indignados wollen mit der gesamten politischen Klasse nichts zu schaffen haben, weder mit links noch mit rechts, weil sie diese (die politische Klasse) abtun als korrupt und von Machtgier getrieben. Trotzdem enthält das Manifesto eine Reihe von Forderungen, gerichtet an - wen? ... Und genau das ist die fatale Schwäche der jüngeren Protestbewegungen: Sie bringen eine authentische Wut zum Ausdruck, die außerstande ist, sich in ein positives Programm des soziopolitischen Wandels zu transformieren."
Wäre ich eine spanische Indignada, würde ich dem ignoranten Daherschwätzer eine authentische Wut ins Gesicht schnauben, die locker imstande wäre, sich in das positive Programm einer gewandelten, nämlich gebrochenen Nase zu transformieren.
"Sie bringen den Geist der Revolte zum Ausdruck, aber ohne Revolution."
Meine Güte, Slovaj, komm runter! Es ist alles viel einfacher: Die Indignados verstehen unter Revolution etwas anderes als du, verstehst du? Nein, verstehst du nicht. Kann ja so ein vom Leben abgekoppelter Revolutionstheoretiker nicht verstehen, dass da Menschen sich ganz alltagspraktisch versammeln, miteinander diskutieren, einander zuhören, gemeinsam essen, gemeinsam kochen, gemeinsam zelten, gemeinsam eine eigene Indignado-Stadt organisieren mit einer eigenen Indignado-Infrastruktur, miteinander leben, ganz neue Erfahrungen sammeln, sich ausbreiten, in den Stadtteilen weiter miteinander diskutieren, zelten, essen, leben und dabei neue, bislang unbekannte Lebensformen ausprobieren, weiterentwickeln und das ganze soziale Experiment wie nennen? Richtig: gelebte, direkte, am eigenen Leib erfahrene Demokratie.
Das juckt aber einen Slovaj nicht, den juckt nur die eigene Nase. In dieser Nase steckt noch viel Zeugs, und das kriegen abschließend die Griechen entgegengeschnieft:
"... selbst in Griechenland trägt die Protestbewegung die Grenzen der Selbstorganisation zur Schau: Die Protestler pflegen einen Raum der egalitären Freiheit mit keinerlei zentralen Führungsfigur, um diesen Raum zu regulieren ... Was nötig sei, behaupten sie übereinstimmend, sei weder eine neue Partei noch ein direkter Versuch, an die Staatsmacht zu kommen, sondern eine Bewegung mit dem Ziel, Druck auszuüben auf die politischen Parteien."
Klingt doch nicht schlecht: sich jenseits der korrupten Parteienseilschaften zu verbünden, von außen ordentlich Druck zu machen und dabei viel voneinander zu lernen und praktische Solidarität zu üben. Unsinn, schneuzt Slovaj:
"Es ist völlig klar, dass dies nicht reicht, um eine Neuorganisation des sozialen Lebens zu erreichen. Um das zu erreichen, bedarf es eines starken Körpers, der imstande ist, schnell zu entscheiden und diese Entscheidungen mit aller nötigen Härte zu implementieren."
Ein starker Körper! Mit einem - Slovaj, wir ahnen es! - starken Kopf am oberen Körperende. Mit einer - Slovaj, gib's zu! - starken Nase im mittleren Kopfbereich. Das wär's doch, oder?
Jetzt hör mal gut zu, Slovaj: Steck deine Schniefnase nicht in anderer Leute Revolutionen, klar? Hör auf, an deinem schwitzigen Körper zu zupfen und zu zerren, während du revolutionäre Subjekte, die mit ihren Körpern auf der Straße für ein besseres Leben kämpfen, zulaberst und zu Objekten deiner verquasten intellektuellen Begierden machst. Reiß dich mal ein bisschen zusammen. Zieh ein letztes Mal deine verdammte Nase hoch und dann: Sei stark! Treffe eine schnelle Entscheidung und implementiere diese mit aller nötigen Härte. Formuliere ein positives Programm, sei deine eigene zentrale Führungsfigur und schreibe hundertmal in dein verschwiemeltes Redemanuskript den Satz: Ich will endlich eine freie Nase!
Du wirst sehen, Slovaj, das wirkt sich äußerst befreiend auf dein Hirn aus. Und befreit die Freiheitskämpfer dieser Welt von einem der zahllosen mitteleuropäischen profilierungssüchtigen, karrieregeilen, linke-Phrasen-dreschenden, ego-trippigen akademischen Revolutionswindsurfern.
Ein gutes Nasenspray kann dabei helfen.