Neuerdings geht's aber auch Schlag auf Schlag. Bilde ich mir das nur ein oder werden die Einschläge tatsächlich immer dichter? Jedenfalls, so viel steht fest, bei mir werden die Momente immer dichter, wo ich unterm Tisch krieche auf der Suche nach meiner Kinnlade. Letztere folgt immer häufiger der Schwerkraft, wenn mal wieder ein reaktionärer Zeitgenosse unter dem Deckmantel des Konservativismus faschistisches Gedankengut in den öffentlichen Raum emittiert.
Ich meine, man ist ja einiges gewohnt in Deutschland, so mit einem Sarrazin und Konsorten. Wo schon mal die konservative Zunge ausrutschen darf und hinterher war's gar nicht so reaktionär gemeint; wobei mittlerweile - oder täusche ich mich? - es hinterher durchaus so gemeint sein darf, wie's vorher von der Zunge gerutscht war - also, so ganz ungeniert eben und frisch von der Leber weg, und ein Blatt vor den Mund muss ebenso wenig genommen werden wie Rücksicht auf irgendwelche Randgruppen, die längst durch den gesellschaftlichen Rost gefallen sind und deswegen keine Rücksicht mehr verdienen. Speziell Randgruppen, die längst gar keine Randgruppen mehr sind, sondern auf dem besten Weg, die Mehrheit der Gesellschaft abzubilden.
Und damit hinüber nach Amerika und "the poor people". Wie, poor people? Hey, aber die sind doch gar nicht arm! Diese 43 Millionen Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, können in Wirklichkeit gar nicht arm sein, denn 99,6 Prozent von ihnen besitzen - Achtung, Kinnlade festhalten - einen Kühlschrank! Womit bewiesen ist (siehe Video), dass ein Kühlschrankbesitzer nicht arm sein kann, denn sonst besäße er ja keinen Kühlschrank. Vermutlich gehört heutzutage bereits zur Mittelschicht, wer sich Klopapier leisten kann.
Dass einer von 'denen da unten' trotz seines - sicherlich stets üppig gefüllten - Kühlschrankes arm ist, wird dabei gar nicht abgestritten, allerdings nicht weil er hungert, sondern weil er in Wahrheit - Kinnlade bitte anschnallen - arm im Geiste ist:
"Die Vorstellung, die wir von armen Leuten haben, hungernd und in ärmlichen Verhältnissen lebend, ist nicht akkurat. Viele von ihnen besitzen viele Dinge - was ihnen fehlt, ist der Reichtum an Geist (richness of spirit)."
Nie war es so einfach wie heute, seiner Verachtung für die Unterschicht freien Lauf zu lassen. Hier wird vorgemacht, wie's geht: einfach die Taktik der Entmenschlichung anwenden. Denn Menschen, die es nicht wert sind, als menschliche Wesen respektiert zu werden, sind viel leichter abzuwerten. Genauer, zu entwerten; sie nicht nur als Trash zu bezeichnen, sondern auch als Trash zu behandeln.
Sitzt die Kinnlade wieder fest? Okay. Nun zur neuesten Folge aus der Serienproduktion
Human Trash Disposal, deutsch: Wie entsorge ich menschlichen Müll? An der Verachtungsschraube wurde dramaturgisch noch ein wenig gedreht; herausgekommen ist, im salonfähigen Gewand konservativer Vernunft, unverhüllt faschistische Gedankentiefe in der Onlinezeitschrift
American Thinker. Die Überschrift sagt alles:
"Die Armen zum Wählen zuzulassen ist unamerikanisch."
Warum unamerikanisch? Weil die armen Leute Amerika schaden. Dem reichen Amerika.
"Ihnen (den Armen) das Wählen zu erlauben ist in etwa so, wie Kriminellen Einbruchswerkzeuge auszuhändigen. Es ist zutiefst antisozial und unamerikanisch, die nichtproduktiven Segmente der Bevölkerung zu ermächtigen, unser Land zu zerstören."
Man beachte - neben der verächtlichen, elitären Haltung gegenüber Armen - den entmenschlichenden Sprachgebrauch ("nonproductive segments of the population"), mit dessen Hilfe die Verächtlichmachung gleich viel leichter von der Hand geht.
"Wenn diejenigen, die der Gesellschaft zur Last fallen, zur Teilnahme an Wahlen aufgerufen werden, dann hilft man damit nicht den Armen. Vielmehr hilft man damit den Armen, sich an anderer Leute Geld zu vergreifen (help themselves to others' money)."
Interessant. Wenn es als unamerikanisch gilt, sich an anderer Leute Geld zu vergreifen, wüsste ich auf Anhieb eine ganze Reihe von Leuten, denen die Teilnahme an Wahlen verboten gehört, und das wären gewiss nicht die Armen. Im Gegenteil. Diesen Leuten das Wählen zu erlauben läuft auf nichts anderes hinaus, als großen Segmenten der Bevölkerung das Bailout-Geld aus der Tasche zu ziehen, bis diese verarmen und infolgedessen zu arm im Geiste sind, um noch zwischen ihrem Kühlschrank und der Wahlurne unterscheiden zu können und deshalb vom Wählen abgehalten werden müssen.
Wenn derart antisoziale Hasstiraden von geistig verarmten Zombies in einer angesehenen, als konservativ geltenden Zeitschrift ungeniert ausgespeit werden können, ist es zur offenen Menschenhatz nicht mehr weit. Das gern zitierte 'Let them eat cake' wäre dabei noch eine Verniedlichung des rhetorischen Status quo in den einschlägigen Kreisen. Hier wird unverblümt gefordert, ganze Bevölkerungsgruppen aus der Gemeinschaft auszugrenzen, ja auszustoßen.
Gemessen an der aktuellen Misere in Amerika und der absehbaren Entwicklung handelt es sich wohl bald um die Bevölkerungsmehrheit. Irgendwann wird's brenzlig für die verbleibende Minderheit. Da helfen dann auch keine Armenhäuser, Obdachlosenasyle und Arbeitslager mehr. Vielleicht doch lieber erschießen?