Es soll ja immer noch Leute geben, die sich aufregen über Löhne, die so niedrig sind, dass kein Mensch davon leben kann. Oder über schlechtbezahlte Praktika. Oder über langjährig stagnierende Realeinkommen. Oder darüber, dass das sauer, egal womit verdiente Geld hinten und vorne nicht reicht. Leute, die sich über so etwas noch aufregen, haben wohl den Schuss nicht gehört. Den allerletzten Schrei. Der kommt, wie so oft, aus Amerika.
Dort gilt es bei Unternehmern neuerdings als hip, Arbeitskräfte einzustellen, ohne ihnen einen Cent dafür zu bezahlen. Hip bedeutet in dem Fall so viel wie: Wie dumm muss ein Arbeitgeber sein, der sich Arbeitnehmer nimmt und denen auch noch etwas dafür gibt? Schließlich gibt er ihnen bereits etwas, nämlich Arbeit. Soll er dafür etwa noch drauflegen? Womöglich Geld? So weit kommt's noch.
Dass es überhaupt so weit kommen konnte, den Menschen fürs Arbeiten Geld zu bezahlen, kann aus heutiger Sicht nur als steinzeitlicher Denkreflex bezeichnet werden. Der moderne Unternehmer geht mit der Zeit und sagt: Wenn ich meine Mitarbeiter unbezahlt arbeiten lasse, zahlt sich das aus - für mich, für wen sonst.
Wer jetzt entrüstet ausruft, das sei ja ein Rückfall in die Sklaverei!, der hat den Schuss wirklich nicht gehört. Immerhin haben damals die Sklaven etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf bekommen. Von Plänen der amerikanischen Unternehmerschaft, ihren Gratismitarbeitern Massenschlaflager oder betrieblich gesponserte Suppenküchen anzubieten, ist nichts bekannt. Allerdings will sie im Gegenzug auf die altertümliche Gepflogenheit des Auspeitschens verzichten.
Es muss heutzutage keiner zur Gratisarbeit geprügelt werden, die Menschen kommen freiwillig. Zu irgendetwas müssen 15 Millionen Arbeitslose ja gut sein, und sei es zu einer unpaid-jobs-Kultur. Wie aus hierin bereits geübten Unternehmerkreisen verlautet, seien die verzweifelt Jobsuchenden besonders hochmotiviert, ja, wörtlich heißt es sogar, diese Menschen seien "hungrig", nicht etwa nach Essen, sondern:
"People who work for free are far hungrier than anybody who has a salary, so they're going to outperform, they're going to try to please, they're going to be creative"- und darum auf den extra für sie freiwerdenden Stellen besonders gern gesehen. Wir leben in interessanten Zeiten, wo die Wirtschaft auf den Trichter kommt, dass Verzweiflung stärker motiviert als ein regelmäßiges Gehalt.
Es ist im übrigen keineswegs so, dass die unbezahlt Arbeitenden völlig leer ausgehen. Sie erhalten durchaus eine Gegenleistung von ihren zahlungsunwilligen Arbeitgebern, nur halt etwas viel Wertvolleres als Geld, etwas, was gern als unbezahlbar bezeichnet wird, nämlich: Berufs- und Lernerfahrung. Die soll ja besonders nahrhaft sein, wenn schon nicht für den Magen, so doch für den beruflichen Lebenslauf. Wenn da nur nicht diese lästige Sache mit dem Essen und der Miete wäre. Aber hey, genau dafür steht ja die Gegengabe der Lernerfahrung: Lerne, mit nichts über die Runden zu kommen und du hast was gelernt fürs Leben.
Wie zu lesen ist, ist die Bewerberkonkurrenz für unbezahlte Jobs groß. Beispielsweise meldeten sich nach nur einwöchiger Stellenausschreibung 300 Interessenten für eine Redakteursposition; 700 Kameraleute bewarben sich auf einen Job hinter der Kamera. Beide Stellen wurden im Rahmen eines Projekts ausgeschrieben, zu dem eine Autofahrt von Deutschland nach Kambodscha gehörte. Beide Stellen (übrigens 16-Stunden-Arbeitstage) waren nicht nur unbezahlt; vielmehr wurde auf beiden Stellen von den Kandidaten, die "erfolgreich" das Rennen gemacht hatten, erwartet, ihre Reisekosten selbst zu finanzieren. Erfolg hat, wie man sieht, viele Gesichter.
Schwierig wird es allerdings sein, den einkommenslosen Jobbern Steuern abzuknöpfen. Aber auch dafür dürfte sich eine Lösung finden. Um für entgangene Steuererträge gradezustehen, könnten die nichtsnutzigen Nichtsverdiener verpflichtet werden, abends und an den Wochenenden städtische Einrichtungen und Finanzämter zu putzen. Damit hätte man sich zugleich die leidigen Personalengpässe bei Hausmeister- und Reinigungsfachkräften vom Hals geschafft. Geht doch.
Bemerkenswert - und das ist das wirklich Moderne - an der neuen Unternehmens-Gratiskultur ist, dass sie in aller Öffentlichkeit breitgetreten wird wie Quark; völlig ungeniert, unverhohlen händereibend und mit einem an Kraftmeierei grenzenden Sendungsbewusstsein, so dass man sich fragt, ob die noch alle Tassen im Schrank oder vielleicht ein paar Eier zu viel in der Hose haben. Hinter nichtvorgehaltener Hand wird das unbezahlte Arbeiten als wegweisendes Zukunftsmodell "in human resources" verkauft:
"Ten years from now, this is going to be the norm."Wer jetzt denkt, das Ganze ist ein Witz: ist es nicht. Nicht mal ein schlechter.
"Wer jetzt denkt, das Ganze ist ein Witz: ist es nicht. Nicht mal ein schlechter."
AntwortenLöschenDoch...das muss ein Witz sein...Bitte sag mir, dass das ein Witz ist!!! Unglaublich!
Da fragt man sich nur, wen man zuerst vor die Wand klatscht? Die wohltätigen Unternehmer oder die Arbeitnehmer, die entweder geistig so spärlich möbliert sind, Ausbeutung nicht als solche zu erkennen, oder aber...ja, was für eine Entschuldigung kann man dafür eigentlich finden???
Letztendlich ist das doch nichts anderes als die (leider) übliche Beschäftigung von Praktikanten ohne Bezahlung. Wer solch einen Job annnimmt, muss auf anderem Wege das nötige Geld zum Leben bekommen. Entweder vom Staat oder der Familie oder so.
AntwortenLöschenUnd auch in Deutschland wird diese Art immer weiter ausgeweitet - einfach weil es sich lohnt. Logisch its ein Praktikant anfangs motivierter - immerhin hofft er, später eine "richtige" Anstellung zu bekommen. Die Ausbeutung des Menschen zur Gewinnmaximierung ist nun mal einer der Pfeiler des Kapitalismus...
Tja Juschi, so ist das mit den Akademikern. Zwei Jahre aus dem Beruf heraus. Und schon kannst Du Deine selbstbezahlte Ausbildung in die Tonne treten, und Dein Leben lang als Call-Center-Agent oder Taxifahrer oder sonst eine unausgebildete Hilfskraft zubringen. Da machen manche lieber unbezahlte Praktika, und andere Akademiker finden deshalb keine Stelle, weil es ja zuhauf unbezahlte Praktikanten gibt, die eben einfach billiger sind.
AntwortenLöschenIn einem hast Du allerdings recht. Anstatt sich an die Wirtschaft zu verschenken, sollte man einen Blog aufmachen, wenn man schon nicht für seine Arbeit bezahlt wird. So kann man wenigstens tun und lassen, was man will, und kann sich trotzdem einen Namen machen (vielleicht). Darüber ärgert sich auch die sogenannte Qualitätspresse so schön, wenn Fachleute nicht bei ihnen für um sonst arbeiten, sondern im Internet.
Gut auf den Punkt gebracht, georgi.
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