Samstag, 31. März 2012

Sehschwäche


"Guten Morgen.
Wir begrüßen euch mit einem sehr kreativen Bild
über die gestrige Situation in Barcelona:"


Aus Wut über unverhohlen unternehmerfreundliche Arbeitsmarktreformen traten am Donnerstag spanische Arbeiter in einen landesweiten Streik und versuchten, das Land zum Stillstand zu bringen durch Verkehrsblockaden, Ladenschließungen und Zusammenstößen mit der Polizei in gewalttätigen Demonstrationen.

In den großen Städten eskalierten die Proteste; es brachen Handgemenge aus zwischen der Polizei und den Streikenden. In der zweitgrößten Stadt Barcelona bewarfen vermummte Aktivisten nicht nur Bankgebäude und Schaufenster mit Steinen, sondern setzten Straßen-Müllcontainer in Brand.
(vgl. linke Bildhälfte, "Vandalismus der Straße")

Vertreter der internationalen Finanzmärkte zeigten sich beunruhigt über die Unruhen auf Spaniens Straßen:
Investoren machen sich Sorgen angesichts der Aussicht auf fortgesetzte, um sich greifende soziale Unruhen, ähnlich wie im unlängst geretteten Griechenland.
Es bestehe jedoch kein Grund zur Beunruhigung, beruhigte ein Experte, denn Spanien sei ja schließlich nicht Griechenland und die Spanier viel vernünftiger als die Griechen:
Jedoch ist der Management Professor José Ramon Pin von der IESE Business School der Meinung, dies (=fortgesetzte, um sich greifende soziale Unruhen) würde in Spanien nicht passieren, weil die Spanier - wenn auch widerwillig - akzeptierten, dass das Land eine radikale wirtschaftliche Veränderung brauche.
Es werde alles getan werden, um die sensiblen Finanzmärkte zu beruhigen, selbst wenn dies im Extremfall darauf hinausliefe zu behaupten, es gäbe weit und breit gar keine sozialen Unruhen.
'Dieses Land ist überhaupt nicht in der Stimmung, auf die Straße zu gehen', sagte Pin.
Umgehend beruhigten sich daraufhin die Finanzmärkte, um in aller Ruhe weiter zu machen wie bisher:

(vgl. rechte Bildhälfte, "Vandalismus der Wirtschaft")

Während die spanische Führungselite - allen voran Premierminister Mariano Rajoy, der gestern die radikalsten Haushaltseinschnitte seit 1978 verkündete - nachdrücklich die schweren Ausschreitungen auf der Straße verurteilte, konnte vonseiten der internationalen Finanzelite ein möglicher Zusammenhang zwischen der linken und der rechten Bildhälfte nicht bestätigt werden.

Auf die Nachfrage, ob vielleicht die Finanzelite auf einem Auge blind sei, antwortete ein weiterer Experte und Kenner des Polit-Finanz-Filzes (der namentlich nicht genannt werden wollte), das könne schon sein, sei aber ganz normal; denn solange die Politik auf dem anderen Auge blind sei, würde sich beides vortrefflich ergänzen.

Überhaupt, fuhr der Experte fort, sei das einäugige Sehen eine unschlagbare Methode zur Beruhigung der Finanzmärkte, sonst, wie es im Wortlaut hieß, "würden wir ja sehenden Auges in den Untergang rauschen".

Freitag, 30. März 2012

Post it



Warum nicht mal eine Postkarte posten?
Mit subversiven Grüßen an alle,
die gern etwas verändern möchten
und noch nicht recht wissen, wie.
Oder wo.
Oder was.

Den Posten Postkarten zum Verposten gibt's zum Monatsende druckfrisch - und selbstverständlich gratis - bei der Underground-Website CrimethInc.com:
History is not something that happens to people - it is the activity of people. In every moment, in every decision and gesture, we make our culture, our life stories, our world, whether we take responsibility for this ourselves or ascribe this power to executives, politicians, pop stars, economic systems, or deities.

In a society which glorifies their power and our passivity, all thought which challenges this passivity is thoughtcrime.
Daher der Name CrimethInc.
CrimethInc. ist der Schwarzmarkt, wo wir mit dieser kostbaren Schmuggelware dealen. Bei uns treffen sich die Geheimwelten der Ladendiebe, Aufständischen, Aussteiger, Deserteure, Ehebrecher, Rowdies, Tagträumer - also sozusagen alle von uns, in jenen Momenten, wo uns nach mehr verlangt und wir leidenschaftlich kleine Revolten anzetteln -, um sich zusammenzutun, um Eingangstüren zu neuen Welten zu bauen, in denen Diebstahl, Betrug, Kriege führen, Langeweile und ähnliches einfach als überholt gelten.
Willkommen auf dem Schwarzmarkt.


Donnerstag, 29. März 2012

Run for your life



Wake up. Move. Run. Fight.

Skulptur eines Läufers in Syntagma Square, Athen

(zum Vergrößern auf Bild klicken)

Montag, 26. März 2012

Frankfurter Grüne Soße


Achtung, Wahltratsch.

Nein, nicht aus dem Saarland, sondern aus Frankfurt. Jenes am Main. Heute fanden Stichwahlen statt für das Amt des Oberbürgermeisters (für Ortsunkundige hier die Vorgeschichte). Haushoher Überraschungssieger: Peter Feldmann, SPD. Hätte keiner gedacht. Nicht die CDU ("tief enttäuscht"), nicht die Grünen ("trotzig"). Lange Gesichter bei beiden. War doch so toll gewesen, die schwarzgrüne Römer-Koalition!

So toll, dass im Vorfeld eine Reihe prominenter Frankfurter grüner Parteimitglieder wärmste Wahlempfehlungen für den schwarzen OB-Kandidaten aus dem hessischen Innenministerium abgesondert hatten. Darunter auch dieser:


Dumm gelaufen, Herr Klinke, das ging in die Hose, aber gründlich. Klinke? Welcher Klinke? Für Ortsunkundige hier seine Vorgeschichte:
"... war Klinke in den 68er-Bewegungen aktiv, später in der Frankfurter Hausbesetzerszene. Gemeinsam mit Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit war er Mitglied der antiautoritären Studentenbewegung und der Gruppe Revolutionärer Kampf."
Alles klar? Früher: 68er, Hausbesetzer, antiautoritär, revolutionär kämpfend. Heute: staatstragend in bestem grünem Zwirn, für die CDU kämpfend und posierend, mit beiden Händen am Revers unter großer Fahne,
"... fachmännisch aufgenommen von unten, so wird der Macher erst imposant"
- und so grün, dass er locker als schwarz durchgeht. Und einem ganz schwarz vor Augen werden kann.

Klinke, der große schwarze Tiger mit der aufregenden Vergangenheit, "unsere heimliche Kiezgröße für den gehobenen Geschmack" (für Ortsunkundige hier die Vorgeschichte des Frankfurter Tigerpalastes), "einer, der dereinst auszog, um die Verhältnisse vom Kopf auf die Füße zu stellen", setzt an zum großen Sprung -


- und landet raubkatzen-untypisch nicht auf den Füßen, sondern unsanft als erfolgloser Bettvorleger für die CDU.
"Gemeinsam mit den Bankentürmen ist er ein biedermeierliches Aushängeschild dieser Stadt, in der es sich dank seines unermüdlichen Einsatzes und der anderer Scheinriesen so vortrefflich amüsieren lässt - natürlich grün gewirkt. Es gilt zu sichern, dass die Warteschlange vor dem Tigerpalast nicht abreißt, das ist ein schlagendes Argument für (Boris) Rhein (CDU) ... Es spricht hier die Seele der Frankfurter Grünen in den High Price Eigentumswohnungen im Nordend."
Ja, so ändern sich die Zeiten - der in grüner Wolle gefärbte Ex-Revolutionär erfindet sich neu, oder auch: "Neue Bewegung: von links nach rechts".

Nur dass just an diesem Sonntag die grüne Wählerbasis der schwarzgrünen Parteielite einen gewaltigen roten Strich durch die Rechnung gemacht hat. Aus welchen Gründen auch immer.
Frankfurter Grie Soß halt. Und damit ab in die Urne.

Freitag, 23. März 2012

Zeigt her



Merkel zeigt ihre Instrumente.


Griechenland zeigt Flagge.


Die Maßnahmen zeigen Erfolg.

Mittwoch, 21. März 2012

No Walls


(zum Vergrößern klick auf Bild)

Zu den beliebtesten Maßnahmen totalitärer Regimes gehört das Bauen von Mauern; sei es um abzuschrecken, sich abzuschotten oder in der Hoffnung, mit den realen Bollwerken auch unüberwindliche Mauern in Köpfen zu errichten. So lebensgefährlich das Überwinden der realen Mauern sein mag, so raffiniert einfach lässt sich das Verschwinden von Mauern in Köpfen bewerkstelligen, und sei dies mit den künstlerischen Mitteln optischer Täuschung.
Nach tödlichen Zusammenstößen in Tahrir Square (Kairo) im vergangenen November, wo über 50 protestierende Zivilbürger umgebracht wurden, hat die herrschende Militärjunta in Ägypten Mauern rund um den Tahrir Square und seiner Seitenstraßen gebaut, um Protestierende am freien Zugang des Platzes zu hindern. Mehr als vier Mauern sind errichtet worden und haben die Innenstadt Kairos in ein labyrinth-ähnliches Areal verwandelt, das die Bürger zu langen Umwegen zwingt, um die Hindernisse zu überwinden.

Ägyptische Graffiti-Künstler veranstalteten am 9. März 2012 'No-Walls'-Proteste: Sie malten die Mauern einfach weg. Überwältigende Murals (Wandgemälde) sind entstanden zum Gedenken an die Getöteten. Aus Protest gegen die errichteten Hindernisse malten die Künstler auf die Mauern virtuelle, täuschend echt wirkende Zugänge zu den blockierten Straßen. Mehr als drei Tage lang wurde fast jede dieser Mauern von jungen Künstlern in Gemeinschaftsarbeit mit Händen und Pinseln bemalt und so die ganze Gegend in eine permanente Gedenkstätte verwandelt.
Solche Kunst, die Mauern überwindet, dürfte ihrerseits unter Lebensgefahr zustande gekommen sein. Totalitäre Betonköpfe sehen es nicht gern, wenn ihre in Beton gegossenen Wahnideen überwältigt und in den Köpfen der Unterdrückten zum Verschwinden gebracht werden.

Wahrhaft überwältigende Kunst.

Sonntag, 18. März 2012

Rauscharm



Voll staatstragender Sonntag heute, von wegen präsidial und so. Da will ich natürlich nicht nachstehen und auch mein Präsidentenscherflein beitragen. Wo sich aber alle am heutigen Tag schon auf den einen kaprizieren, wäre mein Senf dazu nicht unbedingt derjenige, auf den alle gewartet haben. Also dachte ich, guckst du mal, was sonst so los ist in der Welt des präsidialen Tratsches, und wurde fündig. Bei Joseph the Butler.

Vor ein paar Tagen gab es nämlich ein präsidiales Menü ("United Kingdom State Dinner") im amerikanischen Weißen Haus zu Ehren des britischen Premierministers Cameron. Geladen hatte, wer sonst, Präsident Obama, und hinter den Kulissen versorgt uns 'Joseph the Butler' mit backstage gossip vom Allerfeinsten.

Nun läge es einem Profi-Butler fern, an irgendeinem Detail des aufwendigen Vier-Gänge-Staatsdinners herumzunörgeln, denn wäre er nicht die Diskretion in Person, wäre der Butler kein Profi. Umso erstaunlicher ist es, dass der Butler Joseph kein Hehl macht aus seinem Befremden über die staatstragende Weinkarte: Es gab nämlich keine. Stattdessen war auf der Menükarte lediglich lieblos-schnöde vermerkt, "ein amerikanischer Wein wird zu jedem Gang gereicht werden" ("An American wine will be paired with each course"). Dass dieser "Traditionsbruch" den Butler enttäuschte, ist gut nachvollziehbar, schließlich möchte man gern wissen, welche berauschenden Substanzen zu einem festlichen Essen kredenzt werden.

Ähnlich muss es wohl einem der geladenen Gäste gegangen sein, dem Milliardär und engagierten Drogenkrieg-Gegner Richard Branson, als er schnurstracks und ohne falsche Hemmungen auf den Präsidenten zuging und ihn fragte: "Hast du mal 'nen Joint?" ("I asked Obama if I could have a spliff.") Heilige Marie-Juana, der hat Nerven! Man stelle sich nur mal vor, irgendjemand haut heute abend beim Umtrunk im Bellevue den Allparteienliebling Gauck von der Seite an, er solle mal einen Joint rüberwachsen lassen. Ha! Es gibt Dinge, die stellt man sich lieber nicht vor.

Leider ist nicht überliefert, welche Antwort Präsident Obama dem bekennenden pot puffer Branson gegeben hat. Zwar ist einerseits bekannt, dass Obama ein strikter Gegner der Legalisierung von Marijuana, andererseits aber der Meinung ist, über den Stoff zu diskutieren sei völlig legitim, solange der Stoff nicht legalisiert werde. Was bedeutet, dass man beliebig lange darüber diskutieren kann. Halt nur nicht während eines Staatsdinners im Weißen Haus, denn einerseits darf man dort - laut Protokoll - zwar mit dem Präsidenten über alles und jedes ein Schwätzchen halten:

After dinner, do not hesitate to approach the president and first lady for a brief conversation. You've been invited to their home, and they will be delighted to speak to you.
Warum also nicht mit dem Präsidenten über die Freigabe von Marijuana plaudern? Weil es, andererseits, das Protokoll verbietet, den Präsidenten beliebig lange vollzuschwafeln:
Do not monopolize the president for more than two or three minutes, however. If one of the military or social aides decides you've overstayed your chat, you will be given a polite invitation to another part of the room.
Warum also, dachte sich der prominente Hanfliebhaber, mit dem Präsidenten lang und breit palavern über die Freigabe von Marijuana? Soll der doch lieber gleich freigiebig einen Joint spendieren. Infolgedessen blieb der Chat mit dem Präsidenten deutlich unterhalb der Zwei-Minuten-Marke. Denn, wie Branson zu seinem Bedauern ergänzt, "they didn't have any."

Freitag, 16. März 2012

Griechische Wurfdisziplin


Im Englischen gibt es jene wunderbar vulgäre Redewendung, die von Kurt Vonnegut - in schriftstellerischer Noblesse - umschrieben wurde mit "after the excrement hit the air-condition", vulg(är)o: "when the shit hits the fan".

Meines Wissens existiert im kontinentalen Europa kein annähernd wortgewaltig-plastischer Sprachmodus, um auszudrücken, dass das Ende der Fahnenstange unwiderruflich erreicht sei (wenn man mal von der am Dampfen befindlichen Kacke absieht) und nunmehr alle Stricke reißen. Schade eigentlich.

Was jedoch nicht bedeutet, dass in Europa keine Gegenstände von halbfester Konsistenz durch die Luft fliegen, welche - wenn auch nicht den Ventilator - so doch den Richtigen treffen. Je nach Provenienz und regionaler Folklore mag es sich dabei um faule Eier (Frankreich), Sahnetorten (Belgien) oder matschige Tomaten (kontinentübergreifend) handeln - Hauptsache, es platscht ordentlich und versaut das Outfit des Zielobjektes nachhaltig ("as long as they stick, stink or stain"), womit die Existenz einer anal-lustvollen Komponente auch im alten Europa bewiesen wäre.

In Griechenland zum Beispiel wird die schöne Tradition des Joghurtwurfes gepflegt. Weil diese Tradition schon sehr alt ist und Übung nun mal den Meister macht, bringen es die Griechen dabei auf eine erstaunliche Treffsicherheit. Nachzulesen ist dies auf einem wunderbaren Blog mit dem so aktuellen wie treffsicheren Namen When the Crisis hit the Fan: Dort findet sich eine Art Anthologie des food throwing als Ausdruck politischen Protestes. Wir erfahren, dass neben den Agrarprodukten Tomaten und Eiern das griechische Joghurt seit den späten fünfziger Jahren zu den beliebtesten Wurfgeschossen gehört, um unbeliebten Politikern eins vor den Latz zu knallen.

Erst vor ein paar Tagen hatte sich auf der Nationalkonferenz der griechischen PASOK Partei ein rüstiger alter Mann mit Gehhilfe unters Parteivolk gemengt. Er wartete den geeigneten Moment ab und pirschte sich dann in die erste Sitzreihe, wo Finanzminister Venizelos unübersehbar thronte. (Venizelos ist der, der unbedingt zum neuen Parteivorsitzenden gewählt werden will, was ihm unschwer gelingen dürfte, da er inzwischen der einzige Kandidat für das Amt ist.) Um die Schulter trug der alte Mann (selbst PASOK-Mitglied) eins dieser harmlosen Stoffbeutelchen, was bei den Sicherheitsleuten keinerlei Verdacht erregte, weil sie dachten, na, darin hat der klapprige Alte bestimmt seinen Tagesproviant verstaut.


Hatte er ja auch, nur war er so pfiffig gewesen, seine aus Joghurt bestehende Brotzeit nicht zu verzehren, sondern sie dem Noch-Finanzminister treffsicher vor den Latz zu knallen. (Wobei, zugegeben, ein Venizelos wesentlich mehr physische Angriffsfläche bietet als ein durchschnittlicher Ventilator, sodass es schon einem Kunststück gleichkäme, daneben zu treffen.) Jedenfalls landete der betagte Schütze einen veritablen Volltreffer, bevor er in Gewahrsam genommen wurde.

Mittlerweile gilt die griechische Kulturgeschichte des Joghurtweit- und nahwurfs als weitgehend erforscht und hat sich - als politische Bewegung - unter dem Namen Yoghurtification wissenschaftlich etabliert. Allerdings werden in der krisenbedingt wachsenden Popularisierung des - wahlweise links- oder rechtsdrehenden - Polit-Projektils auch ernste Gefahren erkannt: höhlt sie doch auf so subversive wie gewalttätige Weise die Autorität der Staatsmacht und deren Träger aus. Nicht jedem Politiker ist nämlich eine Haltung gegeben wie dem Vize-Regionalentwicklungsminister Sokratis Xinidis, der in einem Anfall wahrhaft sokratischer Kontemplation befand: "Für uns alle ist die Zeit gekommen, den Preis zu zahlen. Ich bin bereit, mit Joghurt beworfen zu werden..."

Alle anderen erkennen darin eine Form des bewaffneten Widerstandes und sehen akuten Handlungsbedarf. Zumal in jüngster Zeit das Werfen mit Tzatziki (statt Naturjoghurt) sehr in Mode gekommen zu sein scheint; olfaktorisch natürlich eine gezielte Eskalation - man muss sich ja nur mal vorstellen, was passiert, wenn ein Becher Tzatziki in einen hochtourig rotierenden Ventilator geschleudert wird! Es musste also etwas geschehen:
Zu Recht wurde von den höchsten Instanzen des griechischen Staates darauf hingewiesen, dass die Yoghurtification zwangsläufig in politische Gewalt ausartet und eine faschistische Mentalität zum Ausdruck bringt, die die Institutionen der parlamentarischen Demokratie schwer gefährdet.
Keine Ahnung, wieso mir gerade in diesem Moment der lupenreine parlamentarische Demokrat Schäuble einfällt, dem - glaube ich - noch nie ein Tzatziki ins hyperventilierende Sprachzentrum geschmissen worden ist.
Zweifellos ist dieses hohe Risiko der Grund, weshalb die Polizei darauf trainiert wurde, Untergrundzellen zu identifizieren, in denen Yoghurtification-Verschwörungen im Entstehen begriffen sind; selbst dann, wenn diese sich tarnen als Tzatziki-servierende Restaurants oder Supermärkte, wo Joghurt und andere stumpfe Projektile wie Tomaten erhältlich sind. Ebenso ergreift die Regierung alle notwendigen Schritte, um vegetarische, lakto-vegetarische sowie ovo-lacto-vegetarische Terroristen daran zu hindern, sich im Internet zu organisieren, und um damit die Sicherheit jener ehrlichen Bürger zu gewährleisten, die zufällig in dem großen neoklassischen Gebäude gegenüber von Syntagma Square arbeiten.
Einer der dienstältesten politischen Kommentatoren in Griechenland, Skylakis Frankfurterakis* -
*(Nein, das ist kein zugewanderter Berater aus dem Frankfurter Viertel mit den Bankentürmen, sondern der Deckname des Undercover-Revolutionshundes Loukinakis)
- ging sogar so weit zu empfehlen, faschistisches Joghurt großflächig zu ersetzen durch demokratisches Tränengas.
Darüber wurden sich alle demokratischen Parlamentarier schnell einig und zeigten sich erleichtert, dass nunmehr der Große Griechische Krisenventilator zügig und unbehelligt auf Höchststufe gedreht werden konnte. Bei der Abstimmung im Parlament war ein einstimmiges "Let the shit fly" zu hören.

Donnerstag, 15. März 2012

Frühlingsglaube


(oder war es blau-weiß?)
wieder flattern durch die Lüfte
(oder war es Europa?):
Süße, wohlbekannte Düfte
(oder waren es linde, oder gar lindernde?)
Streifen ahnungsvoll das Land
(also, Griechenland):
In Brüssel haben die Minister der Eurozone das griechische Bailout-Paket unterzeichnet. Der Internationale Währungsfond wird morgen (also heute) seinen eigenen Beitrag zum lindernden Hilfspaket bestätigen.
Veilchen träumen schon
Wollen balde kommen
(oder waren es Kredite, also noch mehr Schulden?):
Eine Zustimmung zur Stärkung des Bailout-Funds der Eurozone ist noch diesen Monat zu erwarten. Mit einer Billion Euro unterstützt die Europäische Zentralbank die Zahlungsfähigkeit und wendet damit eine drohende Bankenkrise auf dem Kontinent ab.
Horch, von fern ein leiser Harfenton!
("Peace in Greece", gereimte Harmonie!):
Die Finanzmärkte haben sich beruhigt.
Frühling, ja, du bist's!
(Nun wird sich alles, alles wenden):
Einige Europapolitiker wagen es gar, von einem Wendepunkt in der Langzeitkrise zu sprechen.
Dich hab ich vernommen!

(Harfen- und Schalmeienklänge, und jetzt bitte die Streicher!)

Doch horch, von fern ein lautes Grollen
("Pain in Spain", gereimte Diskordanz!):
Jedoch, in einem Winkel dieses hoffnungsfrohen Szenarios braut sich eine düstere, unheilvolle Wolke zusammen, in Gestalt Spaniens.
Krrawumms!, verderben uns unsere Frühlingsgefühle, diese Spanier, wo wir gerade so schön am Delirieren waren. Ein Viertel von ihnen ist arbeitslos; die Hälfte der unter 25-Jährigen ist ohne Job. Schlimmer noch: Sie begehren auch noch gegen die geplante (hallo Fiskalpaket!) segensreiche Liberalisierung, ähm, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, ähm, also gegen die kommende Strategie der Versklavung auf.

Das Satiremagazin eljueves hat eine aktuelle Umfrage vor spanischen Arbeitsämtern durchgeführt und präsentiert uns den neuesten Frühjahrstrend auf dem Arbeitsmarkt:

"Anstieg von 4,2 Prozent bei Priesteramtskandidaten und Nonnen"

Man weiß nicht, was noch werden mag,
Das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal:
Nun, armes Spanien, vergiss der Qual!
Nun wird sich alles, alles wenden.

Dienstag, 13. März 2012

Würgereiz


Nachdem Griechenland bekanntlich gerettet wurde, ist jetzt Spanien dran.

Fiskalpakt in Aktion:

Jean-Claude Juncker (Vorsitzender der Euro-Gruppe)
würgt
Luis de Guindos (spanischer Finanzminister)

Natürlich nur "im Spass", wie es heißt. Hinterher seien sie sich selig in den Armen gelegen. Blöd halt, wenn der Fotograf in dem Moment drückt, wo Juncker dem Spanier an die Gurgel drückt.

"Trotzdem passt es als Metapher auf den neuen Fiskalpakt, um Volkswirtschaften wie Spanien in den Würgegriff zu nehmen, durch Vorschreiben strikter Haushaltsbudgets und massivem Sparzwang."
Fand das spanische Satiremagazin eljueves auch lustig und setzte noch einen drauf:


Erstaunlich, wie gut der spanische Finanzminister sein Amüsement zu verbergen wusste. Wie es heißt, habe er sich innerlich totgelacht.

Ja aber


Frage:
Stimmt es, dass die Demokratie am Abgrund steht?

Antwort:
Im Prinzip ja, aber wir sind bereits einen Schritt weiter.

"Ihr habt das Recht zu wählen, aber es ist eure Pflicht, euch an die Abmachung zu halten."
("Elections is your right, but fulfil the agreement is your duty.")

Wolfgang Schäuble, lupenreiner Demokrat,
an die Griechen gerichtet
Wie jetzt? Was jetzt?
Rechte oder Pflichten?
Dürfen die Griechen oder müssen sie?
Oder dürfen sie müssen?

Am Rande der Konfusion hilft, wie immer, Radio Eriwan weiter:

Frage:
Dürfen die Griechen wählen?

Antwort:
Im Prinzip ja, aber nur die richtigen Parteien.

Lupenrein, ich sag's ja.

Montag, 12. März 2012

Schon wieder ein Zwischenfall


Massaker in Kandahar, Afghanistan. 16 Tote, darunter neun Kinder.

Schon wieder ein "tragischer und schockierender Zwischenfall", wie US-Präsident bedauernd kommentierte:
"I am deeply saddened by the reported killing and wounding of Afghan civilians. I offer my condolences to the families and loved ones of those who lost their lives, and to the people of Afghanistan, who have endured too much violence and suffering. This incident is tragic and shocking, and does not represent the exceptional character of our military and the respect that the United States has for the people of Afghanistan."
Was jetzt fehlt, ist eine Umfrage unter afghanischen Menschen:

Was halten Sie von dem außergewöhnlichem Charakter des amerikanischen Militärs?
Wie beurteilen Sie den Respekt Amerikas vor dem afghanischen Volk, unter Berücksichtigung der sich häufenden "Zwischenfälle" wie: Morde an der Zivilbevölkerung, des öffentlichen Verbrennens des Korans und von Leichenschändungen?
Wie denken Sie über den außergewöhnlichen Charakter der Rhetorik Barack Obamas?

Es gibt keine Umfrage. Es gibt nur Kriegspropaganda à la Orwell:


Es gibt keine Umfrage. Es gibt nur die klugen Antworten von Zekerullah Jan, einem 13-jährigen afghanischen Jungen, der beim Kartoffelschälen laut nachdenkt:

When Afghan children are killed, foreign and local leaders express their 'regret'. Is their 'regret' appropriate?
- No, their regret seems to mean that however much the 'regret', children will still be killed again, so their regret isn't acceptable.

Is your life as valuable as the life of Obama's daughter?
- Her life is very good because she's the child of a minister or king.
Aren't you as valuable as Obama's daughter?
- In terms of humanity, both of us are human beings.
Not acceptable, Mr. President.


Quelle:
Video 1: Mark Fiore, politischer Karikaturist, via Washington's Blog

Sonntag, 11. März 2012

Friss oder stirb


...oder tu was dagegen.
Nichts ist so alternativlos, wie gern behauptet wird.
Nicht mal der Raubtierkapitalismus.
Dem eins aufs Maul zu geben ist gar nicht so schwer.


Man muss sich nur trauen.

Samstag, 10. März 2012

Schwabinggrad in Bankfurt


Ah, es riecht nach Frühling.

Kaum steigen die Temperaturen und regt sich zaghaftes Knospen, liegt ein Zauber von Zuversicht in der Luft und der Mensch fällt dem törichten Glauben anheim, alles könnte irgendwie gut werden. Weil - so denkt der frühlingshungrige Mensch - ab einem bestimmten Punkt die ganze Malaise keinesfalls mehr schlimmer und daher nur besser werden kann. Schließlich macht der Frühling es uns vor, also macht der Mensch es sich ebenfalls gern vor; dabei in seiner Zuversicht vergessend, dass alles, was schlecht läuft, stets noch schlechter laufen kann. Ähnlich einem Naturgesetz, dem ja auch der Frühling folgt, insofern als jedem hoffnungsgeschwängerten Frühling absehbar die nächste beschissene Kältewelle folgt.

Jetzt aber erst mal Frühlingsgefühle.

Die wird man ja wohl noch haben dürfen, dachte sich gestern auch IMF-Chefin Lagarde und frohlockte angesichts des griechischen PSI-Deals: "Es riecht nach Frühling!", im Verbund mit euphorischem Schnuppern der griechischen Regierung, allen voran des griechischen Finanzministers Venizelos, der befriedigt von einem "guten Tag" trötete, welcher "alle Erwartungen übertroffen" habe. Wessen Erwartungen, ließ er dabei offen, was im Überschwang von Frühlingsgefühlen schon mal vorkommen kann. Weil, sonst hätte er ja hinzufügen müssen, dass die griechische Bevölkerung erwartungsfroh noch mehr Arbeitslosigkeit, noch mehr Gehaltskürzungen, noch mehr Armut, noch mehr Hunger, noch mehr Obdachlosigkeit, kurz: noch mehr Rezession entgegenblickt. Siehe oben, jedem Frühling wohnt der Zauber der nächsten Kältewelle inne.

Derweil die einen vom Frühling schwelgen, ziehen die anderen, die Fröstelnden, sich warm an: "Greece is saved, Greeks are bankrupt." Griechenland ist gerettet, nur die Griechen sind bankrott, weshalb letztere sich abgewöhnt haben, um Hilfe zu rufen. Vielmehr sehen sich die ums Überleben kämpfenden Griechen veranlasst zu dem kollektiven Aufschrei: "Hört endlich auf uns zu retten!"

Schwabinggrad Ballett, 9. März vor der EZB in Frankfurt

Die Troika aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds (IWF) und EU-Kommission schnürt die Rettungspakete, von denen unsere Kronzeugen sagen: "Stop saving us!" Es ist ein Regime, das der griechische Ökonom Yanis Varoufakis "Bankrottokratie" nennt: Um zu verschleiern, dass die europäischen Banken sich verspekuliert haben und pleite sind, inszeniert die Troika ein großes Schuld-und-Sühne-Spektakel, in dem "die Griechen" die Rolle der reuigen Sünder und "die Deutschen" die der gestrengen Finanz-Zuchtmeister spielen sollen.
Das Schwabinggrad Ballett ist ein Hamburger Künstlerkollektiv, ein "mobiles Einsatzkommando von AktivistInnen, das immer dort mit politischen Aktionen, Performances oder auch als Demo-Marsch-Kapelle in Erscheinung tritt, wo sich der urbane Raum zum öffentlichen Verhandlungsort wandelt", um "jenseits ritualisierter linker Protestformen unerwartete Situationen herzustellen".

Letzteres ist dem Schwabinggrad Ballett gestern abend grandios gelungen: Bei einbrechender Dunkelheit und kalten, auf einen lauen Frühlingstag folgenden Temperaturen legte das Künstlerkollektiv eine unkonventionelle Polit-Performance hin, die alles bot, wonach das Herz sich jenseits ritualisierter linker Protestformen sehnt - Aufklärung im Agitprop-Stil, Aktionskunst, ruppige Live-Musik, Gesang, Videos aus Athen (auf große Leinwand projiziert und bissig kommentiert). Anfang Februar hatte die Künstlergruppe zehn Tage lang in Athen das Geschehen verfolgt, "um dort die Dinge, die das Gemeinwesen betreffen, auf der Straße zu suchen und die aktuellen Krisenproteste mit eigenen Aktionen zu begleiten".
Demonstranten, die die "Kakerlaken"-Strategie anwenden, ältere Damen, die Polizisten und Politiker beschimpfen, die "Generation 500 Euro", die Stadtteilversammlungen, in denen die Leute Selbsthilfe organisieren, das Stunde-Null-Gefühl, das bald-kommt-der-Aufstand-Gefühl, die Debatten und Depressionen: Wir tragen unsere Eindrücke vom Kampf der griechischen Bevölkerung mit dem Spardiktat dorthin, wo man über das Land zu Gericht sitzt.
- nämlich vor die Europäische Zentralbank in Frankfurt. Obwohl es bitter kalt war, lag ein Hauch von frühlingshafter Aufbruchstimmung in der Luft; eine Ahnung davon, was politische Aufklärungs- und Protestkultur zu leisten vermag, wenn sie ausgetretene Pfade verlässt und man sich von ihr überraschen, überrumpeln und einfangen lässt: kalte Füße, warmes Herz und waches Hirn. Stehender Applaus.

Donnerstag, 8. März 2012

Schweinereien



Kamen alle nicht so gut an, diese Sprüche vom deutschen Finanzminister Schäuble, ("one of the key architects of europe's Age of Austerity"), in Florenz am European University Institute.

Weshalb er mit seinem letzten Spruch ("If you are prepared to run for public office, you also have to be willing to accept a debate about you.") beim Wort und also in die Zange genommen wurde und in Gottes Namen akzeptieren musste, dass er sich mit einer Horde angriffslustiger Schweine konfrontiert sah:


- die kein Hehl daraus machten, wem ihre Sympathie gilt , nämlich den sogenannten PIIGS (den Ländern Portugal, Italien, Irland, Griechenland, Spanien):
Wir sehen uns genötigt zu entlarven, was hier im Gange ist, und wollen unser Privileg nutzen, persönlich einem von Europas Schlächtern gegenüberzustehen zu dürfen, nämlich um ihm davon zu erzählen, was Millionen von Europäern ihm gerne erzählen würden.
- nämlich von dem Umstand, dass auf Europas Schlachtbank das kritische Denken noch höchst lebendig und so schnell nicht totzukriegen ist:


We refuse the 'TINA' narrative and its increasingly breathless mantra that "There is No Alternative!", we denounce neoliberal austerity as not neutral, but socially, politically and nationally partisan, and we claim the right and duty, as part of an academic community of social scientists, to engage in the collective task of finding alternative routes to a future based on social justice, democracy and equality, and to participate in the global struggle against the zombie neoliberalism that seeks to turn crisis into its own opportunity.
Gut gegrunzt.



Montag, 5. März 2012

Take the A Train


(Klick auf Bild macht groß)

Auch das Athener U-Bahnnetz ist jetzt - wie sagt man? - strukturell reformiert worden. Zumindest die Namensgebung der Haltestellen wurde den inzwischen herrschenden Verhältnissen angepasst.

Nehmen Sie die EURO Defaulto Line, steigen Sie ein bei Austeritos (Akropoli) und fahren sie über OweMoria (Omonia) und Liars Station (Larissa Station) direkt nach Heart Attiki (Attiki). Dort steigen Sie um in die Berlin Line, müssen aber aufpassen, dass Sie nicht aus Versehen die falsche Richtung wählen, sonst landen Sie in Piratesus (Piraeus) und merken das womöglich erst, nachdem der Zug über Teknokratos (Tavros) hinausgefahren ist. Die Endstation Berlin erreichen Sie vielmehr via Nothing But Leftoveros (Aghios Eleftherios) und Bondholder Hemorrhoidos (Ano Patissia), und spätestens, wenn der Zug Merkozios passiert hat, wissen Sie, dass Sie auf dem richtigen Weg sind, weil nämlich dann nur noch Paris und Brussels im Wege stehen.

Grundfalsch wäre es, an der Haltestelle Monetary Souvlakis (Monastiraki) in die blaue Goldman Line umzusteigen. Die blitzartige Erkenntnis, dass dies kein gutes Ende nähme, wird Sie längst vor Erreichen der Endstation Airport - For Sale by Goldman Sachs überfallen. Bereits beim Durchfahren der Station Kredit Eventos (Evangelismos) sollten Sie sich daher alarmiert von Ihrem Sitz erheben, an der Station Paymouro (Panormou) die automatische Tür notfalls mit Gewalt öffnen, und sollten Sie es vor Erreichen der Haltestelle Ass Kissos (Doukissis Plakentias) immer noch nicht geschafft haben, aus dem fahrenden Zug zu springen, dann ist Ihnen nicht mehr zu helfen.

Ass Kissos. Oh my Godos. Ich lach' mich schlappos.


(Zum Vergleich die bislang gültige Namensgebung der Athener U-Bahnen)

Sonntag, 4. März 2012

Wir sind alle Griechen




In einer aktuellen Botschaft aus ihrer Generalversammlung, mit der sich die Aktivisten an die Öffentlichkeit wenden, stellen diese klar, worum es ihnen bei der Besetzung geht: einerseits um die schlecht (oder gar nicht) bezahlten Ärzte und Mitarbeiter des Krankenhauses - aber nicht ausschließlich; andererseits um die Gefährdung von Leib und Leben, mit der das kollabierende griechische Gesundheitssystem die Bevölkerung bedroht - aber nicht ausschließlich. Worum es den Krankenhausbesetzern in ihrem Kampf geht, sind "die Menschenrechte" schlechthin: Die aktuelle Bedrohung
...richtet sich nicht nur gegen eine Nation oder gegen ein paar Länder oder gegen einige soziale Schichten, sondern gegen die Unter- und Mittelschichten in Europa, Amerika, Asien, Afrika, in der ganzen Welt. Das heutige Griechenland stellt das morgige Bild von Portugal, Spanien, Italien und dem Rest aller Länder weltweit dar.
Vermutlich würden deutsche Medien ihren propagandistischen Messern sofort einen Neuschliff verpassen, wenn sie solche Sätze aus Griechenland zur Kenntnis nähmen:
Dies ist ein Krieg gegen das Volk, gegen die gesamte menschliche Gemeinschaft. Wer behauptet, die Staatsverschuldung Griechenlands sei die Verschuldung des griechischen Volkes, der lügt. Es ist nicht die Verschuldung des Volkes. Die Verschuldung wurde verursacht von den Regierungen in Zusammenarbeit mit den Bankern, um das Volk zu versklaven. Die Kredite für Griechenland werden nicht für Löhne, Renten und Soziales verwendet. Genau das Gegenteil ist der Fall: Löhne, Renten und Sozialbudgets werden benutzt, um die Banker zu bezahlen. Sie lügen. Entgegen ihren Behauptungen wollen sie keine schuldenfreie Gesellschaft. Sie selbst verursachen die Schulden (mit der Hilfe korrupter Regierungen und Politiker), um selbst Nutzen daraus zu ziehen. Sie gaben Griechenland einen Banker als Premierminister, um sicher zu gehen, dass dieser "Job" ordentlich ausgeführt wird. Unser Premierminister Lucas Papademos wurde nie gewählt. Er wurde ernannt von der EZB und den Bankern mithilfe europäischer und griechischer korrupter Politiker. Das ist es, was sie unter "Demokratie" verstehen.
- aber sie nehmen solche Sätze erst gar nicht zur Kenntnis, weil sie sich in der Stallwärme korrupter EU-Politiker wohler fühlen als in der brutalen menschlichen Realität draußen.

Wenn wir dieser Wahrheit nicht ins Auge schauen, werden wir bald alle Sklaven sein mit einem Gehalt von 200 Euro oder weniger im Monat. Das heißt, nur diejenigen von uns, die überhaupt einen Job finden. Ohne medizinische Versorgung, ohne Renten, obdachlos und am Verhungern. Tausende von Griechen leben auf der Straße und hungern.
Es geht uns nicht um Schwarzmalerei, sondern um die Wahrheit. Die Realität ist keinem finanz- oder währungspolitischen Unfall oder Fehler zuzuschreiben. Sie ist nur der Anfang der hässlichen Phase eines langen Prozesses, der einem sorgfältig ausgearbeiteten Plan folgt, einem Prozess, der bereits vor Jahrzehnten begonnen hat.

Wir müssen miteinander gegen diesen neoliberalen Plan kämpfen. Genau das ist es, was wir - in Kilkis und in vielen Städten auf der ganzen Welt - tun.
Vorerst, schreiben die Besetzer von Kilkis, sei ihnen Solidarität wichtiger als Spendenbereitschaft:
Was wir im Augenblick am dringendsten brauchen, ist moralische Unterstützung und Öffentlichkeit. Lokale Kämpfe auf der ganzen Welt müssen sich ausbreiten und massiv unterstützt werden, wenn wir den Krieg gegen das korrupte System gewinnen wollen.

Wem beides ein Bedürfnis ist - sich mit den Griechen zu solidarisieren und zu spenden -, findet bei Michalis Pantelouris einen aktuellen Aufruf:


(Bilder: G. Nikolakopoulos via bleeps.gr)

Update:
Solidarität hat viele Gesichter:
The Artist Taxi Driver
via rhizom: "Fuck Workfare, Hate Capitalism"

Freitag, 2. März 2012

Wehret den Anfängen


Asche auf mein Haupt. Ich gelobe Besserung. Ab sofort höre ich auf mit dem Gezeter, dass neuerdings und mit wachsender Begeisterung die Demokratie in Europa mit Füßen getreten wird. Vielmehr bin ich ab sofort dafür, das ganze demokratische Zeugs zu verbieten. Am besten, es mit Stumpf und Stiel auszurotten. Warum? Weil das Zeugs einfach viel zu gefährlich ist. Für wen? Für diejenigen, die das Zeugs mit Füßen treten. Die riskieren nämlich Leib und Leben, sobald das demokratisch versaute Volk sich anmaßt, ein demokratisch verbrieftes Recht auf freie Meinungsäußerung zu haben.

Wohin das führt, ist hier zu sehen:


Geht der französische Präsident Sarkozy auf Wahlkampftour ins baskische Bayonne, und was tut das undankbare Volk? Es empfängt ihn aufs Heftigste mit Buhrufen. Buhrufe! Hat man so etwas schon mal erlebt? Einen Präsidenten mit Buhrufen derart unflätig zu beschimpfen, dass der Geschmähte Zuflucht in einer benachbarten Bar suchen muss, um sich vor der lebensgefährlichen öffentlichen Meinung zu retten. Geht gar nicht.

Weshalb es völlig verständlich ist, dass der gescholtene Präsident, verbarrikadiert in der Bar und um sein Leben bangend, die draußen protestierenden Bürger als "Hooligans" beschimpfte, ähm, bezeichnete. Erst recht, wo die randalierenden Horden den undemokratischen Druck der Straße auch noch mit gewalttätigen Ausschreitungen eskalierten und ein paar Eier - nein, nicht auf den Präsidenten, sondern: - auf die Bar warfen. Geht überhaupt nicht.

So war das nämlich nicht gedacht mit der Demokratie, dass man einem Angehörigen der politischen Klasse einfach ins Gesicht sagt, was man von ihm hält. So weit kommt's noch! Wo kommen wir da hin?

Wie zu lesen ist, hat Sarkozy jene undemokratischen Ausschreitungen in Südfrankreich angeprangert mit den Worten
"die Gewalt einer Minderheit und deren inakzeptables Verhalten".
Spätestens jetzt muss es jedem vernünftigen Bürger einleuchten, dass Demokratie verboten gehört. Weil, wenn der Mob auf der Straße erst mal auf die Idee kommt, dass die Gewalt einer Minderheit und deren inakzeptables Verhalten genau das ist, was die europäische Elite ihm täglich vorexerziert und wogegen er protestiert, dann gute Nacht. Dann fangen nämlich die demokratischen Verhältnisse erst so richtig an zu tanzen.

Wie, Tanzen? Straße? Protest? Meinungsfreiheit? Demokratie?
Abschaffen. Sofort. Bevor es zu spät ist.

Donnerstag, 1. März 2012

Demokratie ohne Eier, weichgekocht


Sensationell: Und sie lebt doch! Wer? Na, die Demokratie. Nachdem ich mich schon sorgte, dass sie unter die Räder der internationalen Finanzelite kommen würde, weil ja Wahlen und Volksabstimmungen und ähnlicher demokratischer Firlefanz immer zu Verstimmungen an den Finanzmärkten führen und weil die EU-Elite das gar nicht gern sieht, wenn die Finanzmärkte schlechtgelaunt herumdümpeln. Dann schon lieber Wahlen verschieben, Referenden absagen und das ganze Ding ohne Volkes Stimme durchziehen.

Aber das war Griechenland. Jetzt ist Irland.

Hat doch der irische Premierminister Kenny verkündet, man könne das Ding mit der fiscal union nicht einfach so durchziehen, ohne vorher Volkes Stimme zu hören. Weil, wie er hinzufügte, die irische Verfassung das nun mal so verlange. Immer diese lästigen Verfassungen! Könnte man die nicht einfach abschaffen? Sorgen doch nur für Unruhe an den Märkten:
Dublin will hold a referendum on the eurozone fiscal treaty, plunging Europe into months on uncertainty and potentially placing a question mark over Ireland's future membership of the euro.
Da haben wir's - ein irisches Referendum wird Europa in monatelange Verunsicherung stürzen! Gäbe es keine demokratischen Instrumente, müsste man keinen Teufel an die Wand malen und alles wäre gut. Aber so - jetzt müssen diese dickköpfigen Iren wieder mal quer schießen, und den Brüsseler Apparatschiks rollen sich vermutlich bereits die Fußnägel hoch bei dem Wort Referendum.

Jedenfalls dachte ich zunächst, wow, wenigstens der irische Premier hat noch demokratische Eier (pardon) und lässt die Bürger zum Zug kommen, bevor er das EU-Abkommen unterzeichnet. War aber naiv von mir. Weil er nämlich auf die Idee mit dem Referendum keineswegs aus freien demokratischen Stücken gekommen ist; vielmehr hat ihm die Oppositionspartei die demokratische Pistole auf die Brust gesetzt, und jetzt kann er nicht mehr anders:
The government's decision to hold a referendum follows a threat by the Sinn Féin party to challenge in the supreme court any decision not to give the public say. Irish officials have privately acknowledged it would be more difficult to win a referendum if the government was seen to have been forced to hold a vote by the Irish courts.
So viel zu den Eiern. Schrumpfen im Zwielicht der Polit-PR auf mikroskopisch kaum erkennbare Größe zusammen.

Ferner bekommt der irische Musterdemokrat noch ein Ei - pardon: einen demokratischen Punkt - abgezogen, weil er sich zu folgender Äußerung hinreißen ließ:
He said he would sign the treaty at a European Union summit on Friday (also morgen!) and within a matter of weeks (also in ein paar Wochen!) the government would organise a referendum commission - an independent body appointed to explain the subject matter of a referendum to the public.
Aha. Erst wird das Abkommen unterzeichnet, irgendwann später darüber abgestimmt. Hat das etwas mit Demokratie zu tun? Ach was, das hat etwas mit Politik zu tun: Eleganter kann man seinen Wählern nicht sagen, dass deren Stimmabgabe ihm, dem irischen Premier, sowieso sonstwo vorbeigeht, und dass die Zeit zwischen Vertragsunterzeichnung und Volksabstimmung sinnvoll genutzt werden wird mit gehirnwaschenden Maßnahmen, damit es am Ende so aussieht, als hätte das Volk den Vertrag unterzeichnet.

Sollten trotzdem alle Stricke reißen und das Volk mit 'Nein' abstimmen, bringt das die irische Politik nicht weiter in Verlegenheit, verfügt sie doch über Erfahrung mit unliebsamen Referendum-Ausgängen: Passt einem das erste Referendum nicht in den Kram, wird halt ein zweites nachgelegt und in der Zwischenzeit das störrische Volk weichgekocht. Der Lissabon-Vertrag lässt grüßen. Weshalb der irische Premier - wäre er denn eine ehrliche Haut und mit demokratischen Eiern ausgestattet - eigentlich das Wort Referendum nur im Plural anwenden dürfte, denn Referenda gibt es, genau wie Eier, in Irland bekanntlich nur im Doppelpack oder gar nicht.

Überdies würde es die Märkte, aufgescheucht von wüsten Androhungen demokratischer Willensbildung, mit Sicherheit beruhigen, wenn ihnen klipp, klar und von vorneherein gesagt wird, dass Plan B bereits fix und fertig in der Schublade liegt und keinerlei Grund zur Panik besteht für den Fall, dass Plan A in die Hose gehen sollte. Im Gegenteil. Tut sich doch im Zeitfenster zwischen Plan A und Plan B die Gelegenheit zur bewährten Propagandamasche der Panikmache (alternativlos! katastrophal! Apokalypse!) auf.

Denn merke: Panik ist schlecht fürs Geschäft, aber gut fürs Volk.


(Zitate aus der Financial Times, deren Bezahlzugang ich mir nicht leisten kann)