Donnerstag, 1. März 2012

Demokratie ohne Eier, weichgekocht


Sensationell: Und sie lebt doch! Wer? Na, die Demokratie. Nachdem ich mich schon sorgte, dass sie unter die Räder der internationalen Finanzelite kommen würde, weil ja Wahlen und Volksabstimmungen und ähnlicher demokratischer Firlefanz immer zu Verstimmungen an den Finanzmärkten führen und weil die EU-Elite das gar nicht gern sieht, wenn die Finanzmärkte schlechtgelaunt herumdümpeln. Dann schon lieber Wahlen verschieben, Referenden absagen und das ganze Ding ohne Volkes Stimme durchziehen.

Aber das war Griechenland. Jetzt ist Irland.

Hat doch der irische Premierminister Kenny verkündet, man könne das Ding mit der fiscal union nicht einfach so durchziehen, ohne vorher Volkes Stimme zu hören. Weil, wie er hinzufügte, die irische Verfassung das nun mal so verlange. Immer diese lästigen Verfassungen! Könnte man die nicht einfach abschaffen? Sorgen doch nur für Unruhe an den Märkten:
Dublin will hold a referendum on the eurozone fiscal treaty, plunging Europe into months on uncertainty and potentially placing a question mark over Ireland's future membership of the euro.
Da haben wir's - ein irisches Referendum wird Europa in monatelange Verunsicherung stürzen! Gäbe es keine demokratischen Instrumente, müsste man keinen Teufel an die Wand malen und alles wäre gut. Aber so - jetzt müssen diese dickköpfigen Iren wieder mal quer schießen, und den Brüsseler Apparatschiks rollen sich vermutlich bereits die Fußnägel hoch bei dem Wort Referendum.

Jedenfalls dachte ich zunächst, wow, wenigstens der irische Premier hat noch demokratische Eier (pardon) und lässt die Bürger zum Zug kommen, bevor er das EU-Abkommen unterzeichnet. War aber naiv von mir. Weil er nämlich auf die Idee mit dem Referendum keineswegs aus freien demokratischen Stücken gekommen ist; vielmehr hat ihm die Oppositionspartei die demokratische Pistole auf die Brust gesetzt, und jetzt kann er nicht mehr anders:
The government's decision to hold a referendum follows a threat by the Sinn Féin party to challenge in the supreme court any decision not to give the public say. Irish officials have privately acknowledged it would be more difficult to win a referendum if the government was seen to have been forced to hold a vote by the Irish courts.
So viel zu den Eiern. Schrumpfen im Zwielicht der Polit-PR auf mikroskopisch kaum erkennbare Größe zusammen.

Ferner bekommt der irische Musterdemokrat noch ein Ei - pardon: einen demokratischen Punkt - abgezogen, weil er sich zu folgender Äußerung hinreißen ließ:
He said he would sign the treaty at a European Union summit on Friday (also morgen!) and within a matter of weeks (also in ein paar Wochen!) the government would organise a referendum commission - an independent body appointed to explain the subject matter of a referendum to the public.
Aha. Erst wird das Abkommen unterzeichnet, irgendwann später darüber abgestimmt. Hat das etwas mit Demokratie zu tun? Ach was, das hat etwas mit Politik zu tun: Eleganter kann man seinen Wählern nicht sagen, dass deren Stimmabgabe ihm, dem irischen Premier, sowieso sonstwo vorbeigeht, und dass die Zeit zwischen Vertragsunterzeichnung und Volksabstimmung sinnvoll genutzt werden wird mit gehirnwaschenden Maßnahmen, damit es am Ende so aussieht, als hätte das Volk den Vertrag unterzeichnet.

Sollten trotzdem alle Stricke reißen und das Volk mit 'Nein' abstimmen, bringt das die irische Politik nicht weiter in Verlegenheit, verfügt sie doch über Erfahrung mit unliebsamen Referendum-Ausgängen: Passt einem das erste Referendum nicht in den Kram, wird halt ein zweites nachgelegt und in der Zwischenzeit das störrische Volk weichgekocht. Der Lissabon-Vertrag lässt grüßen. Weshalb der irische Premier - wäre er denn eine ehrliche Haut und mit demokratischen Eiern ausgestattet - eigentlich das Wort Referendum nur im Plural anwenden dürfte, denn Referenda gibt es, genau wie Eier, in Irland bekanntlich nur im Doppelpack oder gar nicht.

Überdies würde es die Märkte, aufgescheucht von wüsten Androhungen demokratischer Willensbildung, mit Sicherheit beruhigen, wenn ihnen klipp, klar und von vorneherein gesagt wird, dass Plan B bereits fix und fertig in der Schublade liegt und keinerlei Grund zur Panik besteht für den Fall, dass Plan A in die Hose gehen sollte. Im Gegenteil. Tut sich doch im Zeitfenster zwischen Plan A und Plan B die Gelegenheit zur bewährten Propagandamasche der Panikmache (alternativlos! katastrophal! Apokalypse!) auf.

Denn merke: Panik ist schlecht fürs Geschäft, aber gut fürs Volk.


(Zitate aus der Financial Times, deren Bezahlzugang ich mir nicht leisten kann)

4 Kommentare:

  1. Zur Diskussionskultur der ezb vor Ort hören wir Klaus Masuch zum Thema "Why The Irish People Have To Bailout Billionaire Bondholders?".

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  2. Klaus Masuch:
    "I zink zere are no eggs in my political pants. I even zink zere has never ever been ze idea in my stupid head what it actually means to have your eggs togezer."

    Vincent Browne:
    "Don't worry about your eggs, as long as I carry mine around with me."

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  3. *lol* Bei diesem Schattenspiel lege ich noch einen Bad Penny drauf.

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  4. Oha. Diese Links funktionieren: Rory Gallagher Shadowplay, Bad Penny
    Manchmal spinnt mein firefox beim kopieren einer url. Je nach Lust und Laune läßt er das voranstehende http weg.

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