Sonntag, 3. Februar 2013
Schlafzimmerblick
Andere Länder, andere Maßnahmen, gleiche Stoßrichtung:
Schrittweise Entsorgung der armen, arbeitslosen, kranken, behinderten oder sonstwie der Gesellschaft zur Last fallenden, daher nutzlosen und eben drum überflüssigen Menschen, die zwar im offiziellen Sprachgebrauch (noch) als Menschen bezeichnet, jedoch immer unverfrorener als Untermenschen gedacht und behandelt werden.
Ihnen allen hängt derselbe Makel an: Sie kosten Geld und nehmen Platz weg. Sie nehmen viel zu viel Platz weg zum Leben. Deshalb muss ihnen der Platz weggenommen werden. Räumen sie den Platz nicht freiwillig, wird ihnen halt Geld weggenommen, weil, dann können sie sich den Platz nicht mehr leisten und hauen von allein ab, und dann ist man sie endlich los, vorerst jedenfalls.
Schauplatz Großbritannien, Tatort Schlafzimmer:
Neuester Schrei der austeritätsbesoffenen konservativen Regierung:
die sogenannte "Schlafzimmer-Steuer" (bedroom-tax). Eine Schlafzimmer-Steuer! Klingt fast pikant und ein wenig oh là là; ist aber nichts weiter als ein schnödes antisozialpolitisches Instrument, das die oben genannte Zielgruppe im Visier hat, um diese zu immer enger zusammengepferchtem Wohnen zu zwingen, zu immer weniger privatem Rückzugsraum, zu immer mehr zwischenmenschlichen Kompromissen, zu immer mehr Schlafstörungen und immer mehr Alpträumen. Genau das ist der Stoff, aus dem die Schlafzimmer-Steuer gemacht ist.
Kurz gesagt: Wer in seiner Wohnung - sie möge noch so bescheiden sein - ein Zimmer hat, von dem die Regierung der Meinung ist, es werde nicht benötigt, der wird künftig (ab April 2013) um mindestens 650 Pfund (750 Euro) seines jährlichen Wohngeldzuschusses erleichtert, sprich: bestraft werden. Wer sich das nicht leisten kann, bitte, der kann ja sein demokratisches Recht wahrnehmen und woanders hinziehen.
Wer also - nur als Beispiel - von dem überzogenen Anspruchsdenken befallen ist, zwei Schlafzimmer für zwei Kinder bereitzuhalten - ein Mädchen und ein Junge, beide unter zehn Jahre alt - dem wird von Amts wegen ein Schlafzimmer zu viel bescheinigt, will heißen: der wird mit einer Geldstrafe belegt werden. Sollte jemand so vermessen sein, ein Pflegekind in seine Familie aufzunehmen und diesem auch noch ein eigenes Schlafzimmer zur Verfügung zu stellen: Geht nur bei Strafe, denn Pflegekinder zählen amtlicherseits nicht als Kinder und ein Schlafzimmer für ein Pflegekind schon gar nicht, obwohl der Nachweis eines eigenen Schlafzimmers zwingend ist, um amtlicherseits überhaupt ein Pflegekind aufnehmen zu dürfen. Lustig, oder?
Es geht noch lustiger. Wer als geschiedener Elternteil ein Schlafzimmer bereithält für sein Kind, das ihn ein paarmal die Woche besuchen kommt - vergiss es, ab April darf das Kind in der Badewanne oder auf dem Dachboden übernachten, weil es keinen Anspruch mehr auf ein Schlafzimmer haben wird. Gleiches gilt für den vielversprechenden Nachwuchs, der infolge Jobmangels bei der Armee Unterschlupf gefunden hat und nach Ablauf seiner Dienstzeit - sofern er sie überlebt - in sein altes Kinderzimmer zurückkehren will: gestrichen. Nur nicht sentimental werden, meint die Regierung, können wir uns in diesen harten Zeiten nicht leisten, oder halt nur der, der es sich leisten kann, sentimental zu sein; bei Geldstrafe, wie gesagt.
Alle anderen: umziehen, aber flott. Wohin? Keine Ahnung - kleine bezahlbare Wohnungen, auch Sozialwohnungen, sind Mangelware in Großbritannien. Ist aber nicht das Problem der Regierung. Hauptsache bestrafen und irgendwie wegschaffen, den ungewaschenen, nutzlosen Pöbel. Hauptsache weg.
Lebenspartner, die es vorziehen, in getrennten Schlafzimmern zu nächtigen? Wie bitte? Wo kommen wir da hin? Geht gar nicht. Strafe! Kranke Angehörige, die wegen Ansteckungsgefahr, Krankheitsbeschwerden, Atemnot eines eigenen Schlafzimmers bedürfen? Ha, alles Einbildung, alles verwöhntes Luxusdenken, Strafe. Gestresste pflegende Angehörige, die wenigstens nachts ein paar Ruhestunden brauchen, um wieder zu Kräften zu kommen? Wie, in einem eigenen Schlafzimmer? Geht's noch? Let them eat cake and sleep on the sofa! Ein extra Schlafzimmer für ein behindertes Kind, einen behinderten Lebenspartner? So weit kommt's noch. Lachhaft. Gehört bestraft. Sofort. Spätestens ab April.
Amtlicherseits heißt die Schlafzimmersteuer übrigens 'under occupancy tax', auf deutsch: Unterbelegungsabgabe. Unterbelegt geht im vom Austeritätswahn befallenen Endkapitalismus überhaupt nicht. Unterbelegt ist ein unhaltbarer Zustand, der von nicht ausgeschöpften Kapazitäten kündet, so was hat es gar nicht gern, das marode System. Deshalb fragt das System sich ständig und systematisch, ob da nicht noch was geht? Vielleicht eine Sonderzahlung auf unterbelegte Containerbaracken? Oder auf leerstehende Viehställe?
Oder, noch besser, vielleicht eine Geldstrafe auf unterbelegte Hühnerbatterie-Käfige? Solche mit weniger als zehn Hennen pro Quadratmeter? Wo noch genügend Platz wäre für ... na ja, man wird doch mal laut denken dürfen. Weil, bei der bekannt kostenbewussten Denke von Hühnerbatterie-Käfighaltern, ich meine, die sind doch zu allem bereit, bloß nicht zur Zahlung einer Geldstrafe wegen Unterbelegung, insofern ... gut, kann man ja mal im Auge behalten.
Und wenn alle Stricke reißen und alle Kapazitäten ausgeschöpft sind, gibt es ja immer noch die Straße. Da geht noch was! In britischen Birmingham zum Beispiel, da steigt die Obdachlosenrate um 400 Prozent! Im Monat! Da sind noch Kapazitäten frei! Also bitte. Irgendwie wird sich das Problem schon lösen. Am Ende wird es so aussehen, als habe es sich von selbst gelöst. Ein paar kalte Winterperioden, und gut ist.
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Thank you for your true grit.
AntwortenLöschenYou are very welcome.
LöschenBin ich hier auf einem Satire Blog?
AntwortenLöschenUnglaublich!
Sehr schön recherchiert Mme. Mop, es geht voran, das Pack muss aus der Hängematte geprügelt werden! Wie flatter schreibt: Die Zukunft beginnt! Wird Zeit, dass die Tigerente abschreiben lernt! :-(((
AntwortenLöschenIch bin erschüttert!
AntwortenLöschenAls nächstes vielleicht eine Fenstersteuer?
die bande geht über leichen. eigentlich nichts überraschendes, daß sie da immer brutaler vorgeht, solange jeder ernsthafte widerstand ausbleibt.
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