Montag, 31. Dezember 2012

Am Schuldentresen


Ein Bier, bitte.
Für mich eine Flasche Champagner.
Wer arm ist, ist selber schuld.
Weiß doch jeder.
... der darf nicht wählerisch sein.
War schon immer so.
Und wem das Wasser bis zum Hals steht, darf erst recht nicht wählerisch sein.
Auch nichts Neues.
... der muss halt in der Brühe schwimmen, die ihm andere eingebrockt haben.
Ja klar, Eigenverantwortung übernehmen, was denn sonst.
Und wenn er dabei absäuft?
Selber schuld. Hat ihn ja keiner gezwungen, sich zu verschulden.
Und wenn er arbeitslos geworden ist?
Auch selber schuld. Schließlich gibt es ja Jobs.
Echt? Wo?
Überall. Liegen doch auf der Straße, die Jobs. Er darf halt nicht wählerisch sein. Ach übrigens, hab' ich grad in einer neuen Studie gelesen:
"Wem das Wasser bis zum Hals steht ('underwater homeowners'), der akzeptiert bereitwillig signifikant niedrigere Löhne."
Klingt wie Schuldknechtschaft.
Ach was, wir leben doch nicht mehr im Feudalismus.
Sondern?
Na ja, im Finanzkapitalismus halt.
Wo liegt der Unterschied?
Darin, dass der arme Schlucker glaubt, da wäre ein Unterschied.
Also doch Schuldknechtschaft?
Klingt irgendwie nicht nett, das Wort.
Klingt Abzocke netter?
Was heißt Abzocke, es gab da halt so 'ne Kreditblase und dann hat's den Markt gecrasht und jetzt ist er halt der Dumme, der arme Schlucker,
... und muss für einen Hungerlohn arbeiten gehen?
Tja, was soll man machen? Selber schuld.
Wer? Die Finanzkapitalisten?
Nö, die armen Schlucker. Weil, die Finanzkapitalisten brauchen nun mal niedrigere Löhne, für ihr Wachstum, da dürfen sie in der Wahl der Mittel nicht wählerisch sein.
Klingt nach von langer Hand geplanter Abzocke.
Aha. Klingt jetzt sehr verschwörungstheoretisch.
Wer steckt eigentlich hinter dieser neuen Studie?
Die wurde von der Finanzindustrie in Auftrag gegeben.
Aha. Klingt jetzt sehr verschwörungspraktisch.
Dummes Zeug.
Ach übrigens, hab' ich grad gelesen: 
"You've got to learn to think like an asshole to really see what to worry about."
Unglaublich. Wer wagt es, solche gehässigen Sprüche rauszuhauen?
Eine gewitzte amerikanische Bloggerin namens Mathbabe. Die ist Mathematikerin mit einschlägiger Berufserfahrung in der Finanzindustrie, Abteilung Hedge Fonds. Bis sie es dort nicht mehr ausgehalten hat.
Und dort hat die solch dummes Zeug gelernt?
Nö, sie sagt, dort habe sie gelernt, wie ein Arschloch zu denken.
Unglaublich!
Aber wahr. Prost.

Get moving


Cold.
*

Warm.
**

*  Chukdo via newyorkshitty
**Ego is a rat on the sinking ship of being

Samstag, 29. Dezember 2012

Weitgehend niederschlagsfrei


Ächzend schrumpft sich das Jahr seinem Ende zu, was den deutschen Einzelhandel zum Ächzen über seine schrumpfenden Umsätze veranlasst. Lief wohl nicht so dolle mit dem Weihnachtsgeschäft.
"Die tatsächlichen Abverkäufe bleiben hinter den ursprünglichen Erwartungen für Dezember zurück. ... Die Dezemberverkäufe enttäuschten, gemessen an den Zielvorgaben."
Nur Ächzen und Schrumpfen - und kein Wachstum, nirgends?

Doch, an der Front der galoppierenden Verblödung. Weil, was hat die Leute daran gehindert, ihre sauer verdienten respektive nicht vorhandenen Kröten zum Jahresende unbekümmert zu verknattern?
"... die ungünstigen Wetterbedingungen ..."
- ja freilich, es war zu warm oder zu kalt oder es hat zu viel geschneit oder zu wenig oder gar nicht oder irgendein anderer Niederschlag ist - entgegen ursprünglicher Erwartungen - nicht vom Himmel gefallen, und sei es ein wenig Hirn, mit dem der Herrgott da oben immer mehr zu geizen scheint, aber sei's drum, schlechtes Wetter kommt immer gut, und sind wir nicht alle ein bisschen Hirnschrumpf und überhaupt, war's das?

Nein, auf der nach oben offenen Jahresendverblödungs-Skala geht noch was: Neben dem unerwartet ungünstigen Wetter habe nämlich
"... die unerwartet niedrige Käuferfrequenz zu den niedrigeren Abverkäufen beigetragen."
- mit anderen Worten, die ursprünglich hohen Erwartungen wurden von der unerwartet niedrigen Käuferfrequenz enttäuscht. Mit dem Hirn werde das nichts mehr in diesem Jahr, denn, so ließ der Herrgott in seinen geschrumpften Erwartungen ächzend verlauten, die da unten seien zu blöd zum Auffangen.

Donnerstag, 27. Dezember 2012

Rettungskräfte


Was wurde 2012 nicht alles gerettet! Allem voran natürlich der Euro, dicht gefolgt von der Eurozone, Europa im allgemeinen und Griechenland im besonderen. Von Bankenrettungen ganz zu schweigen. Schweigen wollen wir auch von all dem, was diesen Rettungen zuliebe rettungslos über Bord geschmissen wurde (Arbeitsplätze, Arbeitsrecht, Minimallöhne, Renten, Sozialsysteme, und, und, und). Ufert ja sonst aus.

Nun neigt sich das Jahr zu Ende, und man könnte es eigentlich gut sein lassen mit der ganzen Retterei, weil, 2013 geht's in die nächste Runde, wo voraussichtlich jeder nur noch seinen eigenen Arsch retten wollen werden wird. Jedoch - irgendwie haben die Retter sich an ihre bescheuerte Rettungsrhetorik so sehr gewöhnt, dass sie kurz vor Torschluss noch eine delikate Kapriole oben drauf legen müssen:
"Weihnachten wurde gerettet!"
Huch. Hatte es nicht immer geheißen, dass ab Weihnachten der rettende Erlöser höchstpersönlich unterwegs sei? Wieso in drei Teufels Namen musste jetzt der Retter gerettet werden? Antwort, ganz einfach: Wenn einer dieser neuzeitlichen Retter von Rettung spricht, meint er in aller Regel seine eigene Kohle, und mit Weihnachten meint er: seinen Weihnachtsumsatz, sprich also: "Mein Weihnachtsumsatz wurde gerettet!" Gerettet vor was? Vor dem befürchteten Absturz. Gerettet von wem?
"Weihnachten wurde gerettet von der festlichen Stimmung."
Haben das jetzt alle? Nochmal ganz langsam zum Mitschreiben: Erst drohten die Weihnachtsumsätze fürchterlich den Bach runter zu gehen, wurden dann aber, quasi in einem last-minute-Coup, von der weihnachtlichen Kaufstimmung gerettet. Klingt wie ein saisonaler Notarzteinsatz, oder? Uff, seufzt der Einzelhandel, hörbar erleichtert, da haben wir grade nochmal die Kurve gekriegt, und wem verdanken wir die umsatzrettende Notmaßnahme? Jetzt bitte anschnallen, dann weiterlesen: der Krise!
"Je tiefer wir in die Krise geraten, desto mehr gibt es Momente wie diesen, wenn die Leute zu sich selbst sagen: Scheiße, einfach mal loslassen."
Ohne Scheiß, genau das hat er gesagt, zwar nicht "Scheiße", sondern "merde", weil es ein französischer Einzelhändler war, das aber im Originalton. Immerhin wissen wir jetzt, was unter festlicher Stimmung zu verstehen ist, nämlich "Scheiße, einfach mal loslassen", nämlich sich in weihnachtlich-entspannter Vorfreude von der krisenbedingt knappen Knete zu emanzipieren.

Früher wurde dieses Phänomen Konsumdruck genannt, heute sagt man halt "festliche Stimmung"; wem da nicht warm ums Herz und - scheiß' drauf - leer im Geldbeutel wird, der ist nicht mehr zu retten.

Mittwoch, 26. Dezember 2012

Hast du Eier oder was


Es liegt was in der Luft. Was ist das bloß?

Zwar weihnachtet es aus allen Rohren, aber irgend etwas stimmt da nicht. Die Tage beginnen mit lärmendem Vogelgezwitscher, fröhlichem Hundegebell und hyperaktivem Insektengebrumme, erst gestern hat mich ein Krokus geküsst, die Sonne scheint unbekümmert zum Fenster rein, so dass es offen steht, linde Lüfte hereinwehen und ich - ohne Socken - auf dem Sofa lümmele, in milder (für die Jahreszeit zu milder) Stimmung Jahresendzeitfiguren aus Schokolade verzehre und anfange zu halluzinieren: Sind das am Ende gar die Ohren eines Schokohasen, in die ich beiße?

Ein Blick in die Schütten des globalen Einzelhandels lehrt mich, dass alles ganz normal, nämlich im frühlingsgrünen Bereich ist und ich mir keine Sorgen machen muss: Pünktlich zum 2. Dezember 2012 wurden die ersten Schokoladenostereier feilgeboten, unter dem Slogan:

"Die Eier sind da!
Der Frühling liegt in der Luft"


- und weil im durchgeknallten Kapitalismus der Frühling nun mal im Dezember in der Luft liegt, haben durchgeknallte Einzelhändler auch die Eier, synchron zur vorzeitigen Ostereierausschüttung festliche Weiße-Weihnachts-Musik vom Band abzunudeln, welchem Band?
Na, von jenem:

's Christkind lässt sein blaues Band
wieder flattern durch die Lüfte.

Wie, was flattert wann? Na, zu Ostern natürlich, wann denn sonst, dem Zeitpunkt, wo es anfängt, so lecker zu riechen:

Süße, wohlbekannte Düfte
streifen ahnungsvoll das Land.

Wie, nach was riecht's an Ostern? Nach Adventsbäckerei, wonach denn sonst:

Plätzchen träumen schon,
wollen balde kommen.

Eben, spätestens am Gründonnerstag müssen die Adventsplätzchen backfrisch in den Schütten liegen, damit das klar ist, da kann dieser olle Mörike sich im Grab drehen, wie er will -

Horch, von fern ein leiser Glockenton!

Glocke, wieso Glocke? Na, weil bald Ostern ist, und nicht eher wird der Einzelhandel ruh'n, bis er es geschafft haben wird, Ostern und Weihnachten endgültig zu synchronisieren -

Christkind, ja du bist's!

- also was jetzt?

Ostern ist gekommen!

Er will es nämlich so. Wer? Na, der Verbraucher, wer denn sonst.

Gut, dass morgen die Läden wieder geöffnet haben. Kann keine Nikoläuse mehr sehen. Muss dringend Schokoladenostereier besorgen.

Montag, 24. Dezember 2012

Crisis Christmas



Christmas tree for the poor

Sonntag, 23. Dezember 2012

Vom Geben und Nehmen


Friede auf Erden, im Einzelhandel und den Satten ein Wohlgefallen.

Vor ein paar Tagen verhagelte der britische Fernsehsender BBC die allseits friedlich-besinnliche Weihnachtsstimmung mit einer besorgniserregenden Meldung: Laut Aussagen der Polizei schieße die Anzahl der Ladendiebstähle in die Höhe, weil immer mehr verarmte Menschen sich - "infolge des wirtschaftlichen Abschwunges in Großbritannien" - nicht anders zu helfen wüssten, um an Essbares zu gelangen.

Nachdem der Reporter von Müttern berichtet hatte, die beim Klauen von Babynahrung und Milchpulver erwischt wurden, fragte er zunächst einen Mann auf der Straße, ob er wirklich glaube, die Leute klauten "aus Verzweiflung" oder nicht vielleicht doch eher "aus Gier"? Sodann ließ er einen Vertreter des Einzelhandels zu Wort kommen, der beklagte, seine darbende Branche müsse jetzt Sicherheitsetiketten sogar auf solchen Produkten des täglichen Bedarfs anbringen, bei denen es völlig "unrentabel" sei, solche teuren elektronischen Anti-Diebstahl-Tags anzubringen.

Wer soll das bezahlen, fragte mit wachsender Besorgnis der Reporter und kam zu dem Schluss, der Ladendiebstahl - also die Ladendiebe - seien schuld an all den Preiserhöhungen, die von den Nichtladendieben bezahlt werden müssten. Und er ermahnte die Schuldigen, es gebe doch "eine Alternative" zu derart verantwortungslosem Handeln, nämlich die vielen wohltätigen Tafeln und "charity foodbanks", wo die verzweifelten Armen sich ihre gierigen Mäuler stopfen lassen könnten.

Weil, gerade an Weinachten solle keiner hungern müssen, und man müsse nur feste an den Weihnachtsmann glauben, dann werde alles gut und alle satt.

Dazu passen aktuelle Umfrageergebnisse, dass immer mehr verarmte Menschen glauben, beim Weihnachtsmann handele es sich in Wahrheit um einen dicken alten Kommunisten, der die frohe Botschaft verbreite, Reichtum gehöre angemessen verteilt, und wem davon nicht gegeben werde, der müsse sich halt, in Gottes Namen, nehmen.


Samstag, 22. Dezember 2012

Blaue Weihnachten


Es begab sich aber genau 50 Jahre vor der heutigen Zeit, dass der Trompeter Miles Davis bedrängt wurde von seiner Plattenfirma Columbia: Er solle einen Song beisteuern zu dem Weihnachtsalbum Jingle Bell Jazz - ein Ansinnen, das dem querköpfigen Musiker widerstrebte, weil ihm nun mal alles Rührselige und Konventionelle widerstrebte.

Hilfesuchend wandte Davis sich an den nicht minder querköpfigen, unkonventionellen Jazzvokalisten Bob Dorough und maulte herum:
"What the fuck am I supposed to play for them? 'White Christmas'?" 
(Jack Chambers, Milestones) 
- worauf die beiden Kratzbürsten gemeinsam ins Studio gingen und den wunderbar querköpfigen, unkonventionellen Titel 'Blue Xmas (To Whom It May Concern)' aufnahmen:



Merry Christmas.
I hope you have a fine one,
But for me it's blue.

Blue Christmas,
That's the way you see it when you're feeling blue,
Blue X-Mas,
When you're blue at Christmas time you see right through
All the waste
All the sham
All the haste
And plain ol' bad taste.

It's a time when the greedy
Give a dime to the needy.

Lots of hungry homeless children
In your own backyards
While you're very busy addressing
Twenty-zillion Christmas cards.

Merry Christmas.
I hope yours is a fine one,
But for me it's blue.

Mittwoch, 19. Dezember 2012

Let austerity groove you


Egal, wo man hinschaut:
überall der gleiche Phrasenauswurf.

Zum Heulen.

Hier die auf Hochtouren stampfende britische Dreschmaschine, satirisch vergroovet von 2012:Mashed:

Zum Lachen.



Montag, 17. Dezember 2012

Warnschuss vor den Bug


Eigentlich dachte ich mir nichts Böses. Eigentlich suchte ich nur nach einem medialen deutschen Pendant, nachdem Angela Merkel einer englischsprachigen Zeitung ein aktuelles Interview gegeben und darin nachhaltig gewarnt hat. Gewarnt wovor? Kommt gleich.

Jedenfalls googelte ich nach 'Merkel warnt vor ...' und wurde auf der Stelle erschlagen von Abertausenden von Suchergebnissen. Wovor die Frau alles warnt! Die ist die ganze Zeit nur am Warnen, das aber hingebungsvoll. Ansonsten macht sie nicht groß irgendwas - kein Wunder, die kommt vor lauter Warnen nicht dazu, irgendwas zu machen. Geschweige denn Großes. Weil sie den lieben langen Tag warnen muss. Warnen wovor?

Merkel warnt (alles O-Ton, alles aktuelle Meldungen):

- vor schweren resp. schwierigen Zeiten
- vor Ende des Aufschwungs
- vor Staatsbankrott
- vor hohem Maß an Antisemitismus
- vor Alkoholmissbrauch unter Jugendlichen
- vor Schwarz-Grün
- vor Rot-Rot
- vor einer Debatte über große Koalition nach der Bundestagswahl
- vor Kontrollverlust
- vor Krieg
- vor Überlastung Deutschlands
- vor Überforderung Deutschlands
- vor Spaltung der Eurozone
- vor falschen Sehnsüchten in der Krise
- vor überhitzter Euro-Debatte
- vor Hysterie
- vor Verrohung des Geistes
- vor (doch, ohne Scherz!) zu viel Sparehrgeiz

- und wenn sie nicht gestorben ist, dann warnt sie noch heute, nämlich in der Financial Times (via Reuters), und jetzt kommt's:
Merkel warnt vor den Kosten des Sozialsystems
Europa werde "sehr hart arbeiten" müssen, um sein Sozialsystem - das großzügigste der ganzen Welt - aufrechtzuerhalten und global wettbewerbsfähig zu bleiben, sagte Angela Merkel, Kanzlerin von Deutschland.
A-ha. Ärmel hoch, Leute, Zähne zusammen, da müsst ihr durch und keine weiteren Fragen, bitte.


Sonntag, 16. Dezember 2012

Neues aus der Heilanstalt


Die selbsternannten Rettungssanitäter kriegen den Hals nicht voll. Nachdem das Geschäft mit der sogenannten Rettung der Eurozone vorbildlich nach Plan läuft, muss jetzt eine neue siegreiche Rhetorik her; eine Rhetorik, die die Lichtgestalt des Retters adelt zum Halbgott in Weiß, zum Heiler, ach was, zum Heiland, wo der doch demnächst geboren ward und, rein saisonal gesehen, einer Heiligsprechung der Heilsbringer nichts mehr im Wege steht.
Seit dem Sommer haben sich die Spannungen in der Eurozone merklich gelöst.
- ließ die Europäische Zentralbank vor zwei Tagen verlauten und notierte
... eine Reihe von Indikatoren, dass die Eurozone beginne zu heilen.
Eurozone, o Haupt voll Blut und Wunden, endlich wirst du wieder gesund! Geheilt von was? Von all den Blessuren, die dir zugefügt wurden. Geheilt von wem? Na, von denen, die dir die Blessuren zugefügt, dich hernach gerettet und nunmehr geheilt haben. Weil, in der Heilanstalt Europas kommt alles aus einer Hand, das nennt man effizientes Therapieren.

Noch sei der Patient allerdings in kritischer Verfassung, hieß es auf der Pressekonferenz des Europäischen Kurpfuscherverbandes: Bei der letzten Chefvisite habe man gewisse "Schwächesyndrome" verdoktert. Schwächesyndrome? Womöglich ein dezentes Eingeständnis ärztlicher Kunstfehler? I wo. Die größte Schwachstelle im Heilungsprozess, laut Diagnose der Chefbanker im weißen Kittel, seien
"... die fallenden Profite der Banken"
- aber ansonsten sei die Fieberkurve an der europäischen Reha-Front erfreulich am Sinken und die wirtschaftliche Genesung im Steilanstieg, abzulesen an der jüngst gestiegenen Export- und Wettbewerbsfähigkeit Spaniens und Italiens, die sich den gefallenen Lohnkosten verdanke; ein laut EZB klar "positiver" Befund, auch wenn diese Verbesserung des Gesundheitszustandes
... ihren schweren Preis habe, nämlich hohe Arbeitslosigkeit und sinkende Einkommen: "Diese Anpassung hat einiges gekostet, aber wenigstens können wir sagen, die Anpassung hat stattgefunden."
- womit der EZB-Vizechefkittel Constancio die alte hippokratische Weisheit zum Ausdruck brachte, dass die heilende Rosskur ("Anpassung") ohne Schmerzen nicht zu haben und fallende Löhne nun mal leichter zu verschmerzen sind als fallende Bankprofite und, summa summarum, die Operation erst dann als gelungen betrachtet werden könne, wenn der Patient tot sei. Vorher, so der Heilkundler von EZBs Gnaden, sei es fahrlässig, von vollständiger Heilung zu sprechen.

Unterdessen hat ein anderer Heilkundiger gerade dem Krankenbett Griechenland einen Besuch abgestattet, also jenem Patienten der europäischen Heilanstalt, dessen Heilung bekanntlich am weitesten fortgeschritten ist. Der Besucher, immerhin ein hartgesottener Traumatherapeut aus Deutschland, steht immer noch unter Schock, nennt das,
... was da gerade unter unser aller Augen geschieht, eine "gigantische Verdrängungsleistung". Besonders der Abwehrmechanismus der Politiker funktioniere hervorragend.
- und fragt sich,
"... wieviel diese Gesellschaft noch aushalten kann, bevor sie explodiert."
Alles halb so wild, kontern die EZB-Spindoktoren: Solange sich die Spannungen in der Eurozone merklich lösen, halten wir an unserer gigantischen Verdrängungleistung fest, können noch viel mehr Verdrängung aushalten, bevor irgendeine Gesellschaft explodiert und wünschen allen Patienten auf der europäischen Intensivstation:


Gute Besserung und ein frohes Fest!

Freitag, 14. Dezember 2012

Kürzungen müssen sein


Eins der größten Probleme, die einem das Weihnachtsfest komplett versauen können, ist ein zu großer Weihnachtsbaum. Also, ein zu hoher oder zu langer Weihnachtsbaum, der an die Zimmerdecke stößt oder gar an der Spitze abknickt, weil die Decke zu niedrig oder jedenfalls der Weihnachtsbaum zu lang ist. Gottlob gibt es rechtzeitig zum Fest eine so maßgeschneiderte wie formschöne Problemlösung zum passgenauen Kürzen des überlangen Baumstammes:


Erhältlich in der spanischen - ich ahnte schon immer, warum ich dieses Land so mag, jetzt weiß ich es - Hauptstadt Madrid. Dort wurde gestern der erste Guillotinen-Shop in ganz Europa eröffnet. Unter dem in ganz Europa beliebten Austeritäts-Slogan "Recortes, son necesarios..." (Kürzungen müssen sein) läuft die Produktpromotion auf Hochtouren, und wer denkt bei Kürzungen nicht sofort an das Drama des zu langen Weihnachtsbaumes? Eben.

Wobei zum Erwerb einer solchen Kürzungsmaschine noch nicht mal zwingend ein zu langer Weihnachtsbaum vorausgesetzt ist: Die Guillotine macht sich auch gut als dekorativer Solitär in einer passenden Zimmerecke, meinetwegen da, wo sonst der Gummibaum steht; oder man stellt sie als schnittige Installation gleich dorthin, wo sonst der Weihnachtsbaum steht, je nachdem, es gibt ja auch Leute, die Weihnachten lieber baumlos verbringen.

Durchaus schlüssig argumentieren die Ladenbetreiber, der Anblick von Guillotinen auf Protestdemonstrationen sei bereits zur Gewohnheit geworden (damit meinen sie natürlich spanische Demos, keine deutschen); sie gälten nicht nur als Reminiszenz an vergangene revolutionäre Zeiten, wo Köpfe noch hemmungslos - und völlig unmetaphorisch - rollten, sondern nähmen inzwischen einen quasi zeitgemäß-folkloristischen Status ein, was die naheliegende Frage aufwerfe:
"Warum nicht stets eine Guillotine zur Hand haben?" 
Also, so für den Alltagsgebrauch halt, sei es im privaten Wohnzimmer, in irgendeiner Tapas-Bar, oder vielleicht am besten gleich auf einem öffentlichen Platz? Lässt man seiner Kreativität erst mal freien Lauf, eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten.

Das schlanke Schneidewerkzeug ist übrigens voll öko: aus massivem, nicht vom Aussterben bedrohtem Pinienholz (regenwaldfrei) gefertigt und von daher politisch völlig korrekt, mit starker handwerklicher Anmutung, extrem robust und für den Dauereinsatz geeignet, vermutlich unkaputtbar - was will man mehr?

Eine Anschaffung fürs Leben; na gut, fürs eigene auf jeden Fall.



Mittwoch, 12. Dezember 2012

Haka!*


So was Cooles:



*Haka ist der Ritualtanz der Maori. 
Er dient der Einschüchterung des Gegners und 
wird von dramatischem Sprechgesang der Krieger begleitet. 
Man betrachtet den Haka als eine Art Symphonie, 
bei der die verschiedenen Körperteile die vielen Instrumente darstellen. 
Die Hände, Arme, Beine, Füße, Stimme, Augen, Zunge 
und der Körper als Ganzes 
vereinigen ihre individuellen Expressionen zu einer Aussage. 
Gefühle wie Mut, Ärger, Freude 
werden durch die Bewegung der einzelnen Körperteile ausgedrückt.
Das Äußere drückt das Innere aus.

Montag, 10. Dezember 2012

Ich bring' euch gute neue Mär


Heute schon für dumm verkauft worden? Nein? Dem kann abgeholfen werden. Nichts leichter als das! Denn die Große Verarsche nimmt ihren Lauf, unaufhaltsam. Gut, Verarsche ist jetzt kein besonders schönes Wort, nennen wir es Veräppelung, das kommt der Sache näher und dem derzeit GröVaZ (Größter Verarscher aller Zeiten) sowieso.

Ist es doch die Elektronikfirma Apple, die mit meteoritengroßen Pferdeäpfeln - vulgo: horseshit - um sich wirft; unschwer zu erkennen an dem Gestank, welcher der als vorweihnachtliche frohe Botschaft maskierte PR-Bluff ausdünstet. Just am globalen Nikolaustag (6. Dezember) packte der Apple-CEO Tim Cook die saisonale Gelegenheit beim Schopf und seinen patriotischen Zuckerbrot-Sack aus:

Vom fernen China komm' ich her,
ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr.
Allüberall auf den Tannenspitzen
sag ich vergoldete Pferdeäpfel sitzen.

Hat Cook natürlich im Wortlaut nicht so gesagt, sondern so:
Apple-CEO Tim Cook verkündete, eine der existierenden Mac-Produktlinien ab nächstem Jahr exklusiv in den USA herstellen zu wollen. Cook, der 1998 zu Apple kam, sagte, er glaube, es sei wichtig, mehr Jobs in die Vereinigten Staaten zu bringen,"daran arbeiten wir seit Jahren".
- und es fiel ihm dabei zwar kein Zacken, aber ein stinkender Pferdeapfel aus der Krone, wo doch er derjenige gewesen war, der vor rund einem Jahrzehnt geglaubt hatte es wichtig zu finden, die amerikanische Apple-Produktion nach China zu verbringen.

Und droben aus dem Himmelstor
sah mit großen Augen das Christkind hervor,

- rieb sich ungläubig die großen Augen und fragte den Pferdeäpfelproduzenten, was das dauernde Hin und Her eigentlich solle, weil, dann hätten die Jobs ja gleich in Amerika bleiben können oder wie, und überhaupt, ob ihm vielleicht die Löhne der Chinesen zu teuer geworden und das amerikanische Lohnniveau endlich tief und konkurrenzfähig genug gesunken sei, dass Amerika als kostengünstiger Produktionsstandort China den Rang ablaufe? Aber nein, entgegnete Ruprecht der Apfelspezialist, der mit dem Sack angetreten war, um die Rute zu schwingen:
"Es geht dabei gar nicht so sehr um die niedrigeren Lohnkosten, sondern um Qualifikationen (skills)." 
- ließ zur Erläuterung gleich noch einen fallen:
Cook sagte, das amerikanische Bildungssystem scheitere daran, genügend Leute mit jenen Qualifikationen zu produzieren, die für moderne Fabrikationsprozesse benötigt würden.
- und erinnerte das Christkind daran, was er, Apple-CEO Tim Cook, schon die ganze Zeit postuliert habe:
"Es muss ein fundamentaler Wandel in unserem Bildungssystem stattfinden, um diese Arbeitsplätze hierher zurückzubringen."
worauf das Christkind fast aus allen Wolken fiel, weil es an die vielen - infolge von "modernen Fabrikationsprozessen", 18-Stunden-Tagen und Sklavenlöhnen - aus den Fenstern gefallenen jungen Chinesen denken musste und die an den Foxconn-Außenfassaden aufgespannten Netze zur Suizidverhinderung.

"Knecht Ruprecht", rief es, "alter Ganove,
glaubst du, dass ich dir das abkoofe?"

- und fragte den alten Ganoven Cook, ob er um die neuen amerikanischen Apple-Produktionsstätten herum schon genügend Anti-Suizid-Netze aufgespannt habe?

Ach was, erwiderte Ruprecht mit der Rute, erstens seien die meisten Amerikaner gar nicht qualifiziert genug, um aus dem Fenster zu springen, und zweitens: Wozu gebe es all die für Sklavenarbeit maßgeschneiderten amerikanischen Hochsicherheitstrakte, die den Suizidprophylaxe-Etat im Stammland so angenehm niedrig hielten?,

... und sprach: "O lieber Herre Christ,
meine Reise fast zu Ende ist:
Ist erst die ganze Welt ein Knast,
stimmt der Profit und alles passt!"

- schwang wohlgemut seinen Sack über die Schulter und rief zum Christkind hinauf, es solle sich keine Sorgen machen, schließlich sei das amerikanische Bildungssystem auf einem guten Weg:

"... denn Pferdeäpfel und Mandelkern,
das essen fromme Kinder gern!"

- und die unfrommen Kinder, nörgelte das Christkind, was ist mit denen? Pfft, antwortete der Pferdeäpfelverteiler und sprach:

"Ich hab' die Rute doch bei mir,
schau nur, die Rute, die ist hier;
doch für die Kinder nur, die schlechten,
die trifft es auf den Teil, den rechten!"

- war jedoch schon außer Hörweite, als es von oben nachhallte:

Christkindlein sprach: "So ist es recht;
so geh', Profites treuer Knecht!
Doch nimm' auf Erden dich in Acht,
denn schon in mancher stiller Nacht
ward manch ein Knecht
mit Fug und Recht
um seinen ruhigen Schlaf gebracht!"


Donnerstag, 6. Dezember 2012

Das große Arbeitslos gezogen


Immer diese Arbeitslosigkeit! Dabei wäre das Problem mit der Arbeitslosigkeit gar nicht so schlimm, wenn nur die vielen Arbeitslosen nicht wären. Darum will jetzt - in einem ersten Schritt - die EU die hohe Arbeitslosigkeit verbieten. Nächste, weit wirksamere - weil das Übel an der Wurzel packende - Maßnahmen sollen folgen: Wie verlautet, will die EU demnächst die Arbeitslosen selbst verbieten. Dann wird endlich Schluss sein mit der Unzufriedenheit der arbeitslosen europäischen Bevölkerung, und die EU kann sich in aller Ruhe ihrer eigentlichen Aufgabe - der Integration aller von den Arbeitslosen befreiten Länder, Völker und Wirtschaften - widmen.

Bis dahin ist allerdings noch der eine oder andere arbeitslose Mensch unauffällig zum Verschwinden zu bringen. Wie das gehen soll? Ganz einfach - mit Arbeitslosen! Eine italienische Supermarktkette macht es vor: Dort gibt es nämlich Arbeitslose zu gewinnen. Teilnahmeberechtigt ist im Prinzip jeder, wobei es sich natürlich in erster Linie um Arbeitslose handelt, die an Arbeitslosen interessiert sind, ist ja klar, denn wer sonst sollte auf ein Arbeitslos scharf sein?

Ganz leicht wird es jedoch den Arbeitslosen in Italien nicht gemacht, an ein Arbeitslos ranzukommen. Wäre ja auch zu einfach! Etwas Mühe müssen die sich schon geben, bisschen Eigeninitiative zeigen und in Vorleistung gehen: Mit einem Minimumbeitrag von 30 Euro (Einkauf von Lebensmitteln) sind sie dabei, die Arbeitslosen, und dafür bekommen sie ein Arbeitslos aus der Supermarkt-Lotterie, und wenn sie Glück haben, gewinnen sie mit ihrem 30-Euro-Arbeitslos einen Arbeitsplatz im Supermarkt und sind dann mit einem Schlag ihre Arbeitslosigkeit los. Hey, wenn das keine coole Arbeitsbeschaffungs-, ähm, Arbeitslosenbeseitigungsmaßnahme ist!

Man nennt so etwas übrigens 'win-win', weil ja alle Beteiligten an der Maßnahme gewinnen: Der Arbeitslose gewinnt einen Arbeitsplatz (okay, nur einen befristeten Aushilfs-Teilzeit-Job, aber immerhin als Lagerarbeiter oder Gabelstapelfahrer, das ist doch schon mal was), und der Supermarkt gewinnt einen Haufen Geld aus dem Erlös der Losverkäufe. Übrigens auch aus dem Verkauf der Nieten, wie das halt so ist bei einer Lotterie.

Im Rahmen ihres ehrgeizigen Programmes zur restlosen Beseitigung der Arbeitslosen zeigt sich die EU  begeistert von der cleveren Übergangsmaßnahme der italienischen Händler und hat letzteren - im Gegenzug - versprochen, ihnen ein Stückchen vom EU-Friedensnobelpreiskuchen abzugeben; schließlich wird auf diese Weise in Bälde Frieden an der europäischen Arbeitslosenfront herrschen.

Bis es so weit ist, hat die EU auf ihrem jüngsten Gipfeltreffen einstimmig beschlossen, das Unwort 'arbeitslos' (sofern es nicht großgeschrieben wird) ein für alle mal auszumerzen, also zu verbieten. Wer das Unwort trotzdem weiterhin verwendet, muss zur Strafe alle europäischen Arbeitslosen auf einem (von der europäischen Kommission DIN-normierten) Gabelstapler die nächsten zehn Jahre im Kreis durch die Eurozone fahren und darf nur in solchen EU-Ländern anhalten, wo gerade mal wieder ein Fachkräftemangel™ herausposaunt wurde.

Wie berichtet, wurde in den Fuhrpark an EU-normierten Gabelstaplern bereits kräftig investiert; dieser wurde - bedarfsgerecht - um prophylaktische 11,9 Prozent ausgebaut und mit der harmonisierenden Aufschrift versehen: "Bei uns bleibt keiner auf der Strecke!"

Mittwoch, 5. Dezember 2012

He took five and left



"Dave Brubeck has taken his final time out."
via 



Thanks for all that jazz, Mr. Brubeck.

Montag, 3. Dezember 2012

Schwanensee auf Spanisch


"El lago de los cisnes" (Schwanensee)
Street art in Valencia, Spanien
Dezember 2012

"Not so surreal that it seems.
You will understand better watching this video..."

Video: El lago de los cisnes:

"You can read more about this theme here(englisch)

oder hier (deutsch)

Sonntag, 2. Dezember 2012

Euro-Vision


Nicht jeder, der Visionen hat, muss zum Arzt gehen. Visionen sind was ganz Normales.

Merkel zum Beispiel hat die Vision, nächstes Jahr wiedergewählt zu werden, und keiner schickt sie deswegen zum Arzt, auch nicht, wenn sie - wie gestern - verdreht Visionäres von sich gibt wie "Ich werde weiter das tun, was für Deutschland und Europa am besten ist" und dies als "deutsche Solidarität" bezeichnet, was einerseits von fortgeschrittener Verwirrtheit zeugt, andererseits noch lange kein Grund sein muss, sich in Behandlung zu begeben, solange die sich überlagernden Visionen eine Konsistenz und der galoppierende Wahnsinn Methode aufweisen, was an der fortgesetzt visionären Drohgebärde, Europa auf Biegen und Brechen zusammenhalten - neudeutsch: "integrieren" - zu wollen, unschwer abzulesen ist, wobei das "auf Biegen und Brechen" insofern keinen behandlungsbedürftigen Realitätsverlust darstellt, als das europäische Gebälk sich längst ächzend biegt und, wo noch keine Brüche, so doch tiefe Risse in ihm zutage treten, was jedoch den wahren Eurovisionär nicht erschüttern, geschweige denn in die Hände des nächstbesten niedergelassenen Arztes treiben kann.

Leise rieselt und bröckelt es derweil an der einzigen und wahren Eurovisionsfront, nämlich der des alljährlichen European Song Contest™: Ein Land nach dem anderen bricht von der völkerverbindenden Megaträllerei weg - nach Portugal haben jetzt Griechenland und Zypern ihre Teilnahme für nächstes Jahr abgesagt. Begründung: leere Kassen. Kein Geld, weder für Brot noch für Spiele. Was, wenn das so weitergeht? Wenn Spanien, Italien und Irland sich von der großen eurovisionären Sause verabschieden? Wann wird - der Logik des voranschreitenden europäischen Pleitegeiers folgend - Frankreich aussteigen? Einfacher gefragt: Welches Land wird irgendwann - rein eurovisionstechnisch gesehen - übrig bleiben?
Nicht auszudenken!

Etwa jenes Land, das sich vor 30 Jahren mit schlichter Poesie sowie noch schlichterer, gemäß deutschem Reinheitsgebot völlig groovebefreiter Melodie und Rhythmik in die europäischen Herzen tremolierte? Warum nicht? Warum nicht nochmal? Was spricht gegen ein publikumswirksames, kostengünstiges Remake - etwa so: Deutschland zeigt allen anderen, wie man sparen und gewinnen kann bei weitgehend ausgeschalteter Konkurrenz; man nehme also "Ein bisschen Frieden", frische den betagten Song mit ein bisschen poppiger Freude und Eierkuchen auf (nicht allzu sehr, soll ja erkennbar deutsches Liedgut bleiben), stelle Merkel ans deutschsolidarische Mischpult, lasse großzügig alle nichtdeutschen Europäer zugucken (ohne Stimmrecht, versteht sich) und mitklatschen (auf die '1', auf was sonst) und betone, dass das bisschen Frieden Ihnen präsentiert wurde von der Europäischen Union,  die ja nicht umsonst "für über sechs Jahrzehnte, die zur Entwicklung von Frieden und Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten in Europa beitrugen", den diesjährigen Friedensnobelpreis erhalten hat und stolz verkünden darf: Deutschland - 12 Punkte! Und jetzt alle.

Visionen halt. Und kein Arzt weit und breit.

Mittwoch, 28. November 2012

Geh, wohin dein Hintern dich trägt


Mir wackelt der Hintern vor Lachen. Der Hintern, das ist jenes Gebilde, was irgendwo hinten am Körper angebracht ist. Daher der Name. An anderen Menschen nagen dahingehend leise Zweifel:
... nach einem Tag wie heute weiß ich nicht mal mehr, auf welcher Seite meines Körpers der Arsch angewachsen ist.
Ist das herrlich oder nicht? Es ist nicht herrlich, es ist oberherrlich. Eins steht fest: Der Mann, der dies bekennt, hat einen Arsch in der Hose, völlig wurscht, wie herum er seine Hose trägt. Aus letzterer lässt er zum Thema "Was ist Zivilisation?" ein "kurzes, eher tonloses WTF?" entweichen, welches sodann, sprachlich angereichert, den Raum mit herrlich dicker Luft füllt:
Einerseits möchte ich damit meiner Begeisterung über die Courage und Vernunft erheblicher Teile der ägyptischen Bevölkerung Ausdruck verleihen. Nachdem der von unserer (zivilisierten, westlichen) Seite viel beachtete Arabische Frühling den Ägyptern schlussendlich, wenn man die aktuellen Gesetzesinitiativen betrachtet, auch nur einen neuen GRÖFAZ-Kandidaten beschert hat, gehen die doch glatt wieder auf die Straße! Anstatt sich wie normale (zivilisierte, westliche) Menschen ins winterliche finstere Kämmerlein zurückzuziehen und ausgiebig die allgemeine Sinnlosigkeit jeden Protests zu beweinen, fangen die einfach an wieder zu protestieren. Wenn wir davon schon nichts lernen wollen, dann sollten wir uns wenigstens anständig schämen.
Genau dasselbe dachte ich heute, als ich das sah:



- hielt es jedoch nicht für nötig, etwas darüber zu schreiben, weil, ja, wieso eigentlich? Ich fürchte fast, in mir war so ein degenerierter westlich-zivilisierter Impuls am Werk nach dem Motto 'bringt ja eh nix, lass es bleiben'. Also ließ ich es bleiben, ohne weiteres Reflektieren, zu welchem mich jetzt - verspätet, aber immerhin - der Mann mit dem Arsch in der Hose angeregt hat. Schämen tu ich mich auch ein bisschen, um genau zu sein: anständig.

Gottlob verschafft dieser Kerl seinen ketzerischen Gedanken weiterhin Luft:
Bei uns (zivilisierten, westlichen) Staatsbürgern hingegen tobt ein Sturm im Wasserglas Furz im Schnapsglas, weil die Bundesregierung einen von ihr selbst in Auftrag gegebenen Bericht, in dem so oder so nichts steht, was nicht jeder seit Jahren wüsste - so es denn jemanden interessierte - so überarbeitet hat, dass er zum offiziellen Regierungsnarrativ passt. Welch vollkommen unvorstellbar ekelerregender Verrat an allen humanistischen Idealen der letzten 25.000 Jahre! Jemand gibt einen Bericht in Auftrag und verlangt dann, dass darin nur das formuliert wird, was er dort auch lesen will!
Was ist das für ein Land, in dem der Skandal nicht darin besteht, über Jahre hinweg und unter Mitwirkung aller Parteien, aktiv steuernd immer größere Teile der arbeitsfähigen Bevölkerung in immer schlechter bezahlte Niedrigstlohnarbeit zu drücken, währen die Vermögen und "Einkommen" der stetig abnehmenden Zahl der wirklich Wohlhabenden sich in immer exorbitantere Höhen aufschwingen, sondern absurderweise darin, dass jenes Gremium, das genau diese Entwicklung seit Jahren im vollen Licht der Öffentlichkeit mit allem Nachdruck betreibt, eine "kritische" Berichterstattung darüber nicht veröffentlichen mag.
Egal, auf welcher Seite seines Körpers dieses Mannes Arsch angewachsen ist, eins steht fest: Er hat das Herz auf dem rechten Fleck und das Gehirn dort, wo es hingehört. Und bringt mich mit beidem zum Lachen und gleichzeitig zum Schämen: ein Volltreffer.
Die Ägypter haben ein echtes Parlament und eine vernünftige, demokratisch agierende Regierung verdient.
Und wir?
Und wir haben schon, was wir verdienen.
Noch ein Volltreffer. Befund: Herz, Hirn und Hintern an genau der richtigen Stelle. Ohne jeden Zweifel. Herrlich, das.

Dienstag, 27. November 2012

Messages from Greece



A message from Greece:

Männer und Frauen ohne Job, ohne Einkommen, ohne Zuhause. Eine Supermarktkarre zum Transport der Überreste einer ehemals annehmbaren Bleibe: ein paar in Tüten gestopfte Klamotten, ein paar Decken, ein Schlafsack. Ein Camping-Gaskocher, ein Topf und ein Löffel. Und ein Dach aus Plastik zum Schutz gegen Novemberregen und -kälte. 
In einem öffentlichen Park, irgendwo in Griechenland. Im Griechenland des Jahres 2012, dem dritten Jahr der Troika-Rettung, der Kreditvereinbarungen und der Austeritätsgesetzgebung: 'Camper' durch Gesetzeskraft. 
A message from Greece:
Verdoppelung der Tafel-Gäste in Griechenland innerhalb der letzten zwei Jahre:
100-prozentiger Anstieg der Personen, die bei Tafeln Zuflucht suchen
A message from Greece:
Schock in Athen: Menschen suchen nach Essen in Mülltonnen
Verrottetes Gemüse, angeknackste Eier, abgelaufene Milchprodukte, alte Brotlaibe...eine Handvoll irgend etwas Essbares. Menschen, die sich noch nicht einmal einen Laib Brot für 80 Cent leisten können. Szenen einer Gesellschaft, die in verzweifelte Armut abstürzt (Video). Szenen, die sich in immer mehr Vororten der griechischen Hauptstadt abspielen.
"Bitte hängt Lebensmittel und Brot außerhalb der Mülltonne hin"
(Gefunden an einer Mülltonne in Kallithea, 
einem Mittelschichtsvorort im Süden Athens)
Ich habe mich schon einige Male gewundert, wieso die Leute Plastiktüten mit altem Brot an die Mülltonnen meiner Nachbarschaft hängen, und ob es tatsächlich Menschen in unserem Mittelschichtsumfeld gibt, die das alte Brot mit nach Hause nehmen. Dann kam dieses Bild und hat meine Frage beantwortet. In Griechenland im Jahr 2012, im Griechenland der Europäischen Union und der Eurozone.
A message from Greece:
Griechenland in der Krise - dramatischer Anstieg von Suiziden: 
3.124 Menschen in den Jahren 2009 bis 2012
Das entspricht einem Suizidanstieg von 37 Prozent zwischen 2009 und 2011.
2009: 677
2010: 830
2011: 927
2012: 690 bis zum 23. August
A message from Greece:
Was tun?
Wir müssen uns auflehnen, wir müssen etwas tun, denn sie werden uns alle arm machen. Schluss, aus fertig. Die Menschen haben Hunger.
Und wie?
Es gibt kein 'Wie'. Wenn wir über das 'Wie' zu lange nachdenken, sind wir erledigt.
Was tun?
Alles besetzen. Alles dichtmachen. Aber nicht für ein paar Tage, sondern länger als einen Monat.
Was tun?
Schwierige Frage. Irgendwie ist diese Art von Protest ermüdend geworden und außerdem unzureichend. Was soll ich sagen? Wenn der Minister ankündigt, dass die Streikenden tun, was sie zu tun haben, dann tun wir das, was wir zu tun haben. Ich glaube, wir müssen anfangen zu besetzen, um die Menschen zu mobilisieren, denn die meisten von ihnen sind müde geworden.
Und wie soll das praktisch geschehen?
Praktisch? Das will ich nicht aussprechen ...
Doch, sagen Sie es!
Im Grunde mit Gewalt, aber nicht im Sinne von losziehen und Leute töten. Ich weiß nicht, ob ...
Was tun?
Nichts, was heißt: was tun ...
Nichts?
Aufstand. Aufstand des Volkes, losziehen und all die Politiker abschlachten.
(Video 'A message from Greece' via From the Greek Streets
A message from Greece:


A message from Greece:
Wir müssen uns mit den Menschen organisieren, um dieses Regime zu stürzen.
Wir sollten uns nicht stark machen für Wahlen für ein Parlament, das zu einem Feigenblatt eines grausamen Regimes verkommen ist, das seine Menschen vernichtet und das Land ausverkauft. Wenn wir so weitermachen mit der Verfahrensweise der Parlamentswahlen wie beim letzten Mal, dann legalisieren wir de facto alle Gesetze, die den Verantwortlichen und Kollaborateuren an dieser nationalen Tragödie Asyl gewähren. Wir legalisieren die "internationalen Verpflichtungen" des Landes und die Praktiken und Ziele unserer Gläubiger (derzeit eine Opferung der ganzen Bevölkerung, internationale Stigmatisierung der Griechen, offene Erpressung, Verhängung eines Besatzungsregimes usw.). Diese Vorgehensweise ist nach den Grundsätzen der internationalen Rechtsordnung als kriminelle Handlung gegen die griechische Bevölkerung einzustufen. Sie verletzt die grundlegenden Menschenrechte und ist als solche von den internationalen Gerichten zu verfolgen.
Man kann heute nicht einfach nach Wahlen schreien, wie wir sie bisher kennen. Man muss nach Demokratie für die Menschen rufen.
Den Zähler auf Null zurückstellen und von vorne beginnen. Und zwar in einer Art, die im internationalen Recht anerkannt ist; alle rechtlichen Zusicherungen und Garantien verfallen, die von der herrschenden Clique willkürlich oder illegal vorgenommen wurden.
Unser grundlegendes Ziel ist, einen politischen Generalstreik von langer Dauer zu organisieren, der als zentrales Thema haben müsste "Übergeben Sie die Macht, gehen Sie nach Hause und nehmen Sie Ihre schlechten Chefs bloß mit!" Von diesem Ziel werden wir nicht abweichen, denn dann würden wir den Kampf für die Demokratie aufgeben.
Im Moment zeigt das Land alle Anzeichen eines Kollapses, wie ihn Argentinien 2001 erlebt hat, als es komplett kollabierte und absichtlich in einen dreijährigen Bürgerkrieg gezwungen wurde, der Tausende von Opfern hinterließ. Mit diesem Chaos droht uns (Ministerpräsident) Samaras, und damit es im Land auch wirklich herrscht, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: die Fortsetzung der heutigen Politik und politisches Personal, das so eingeschworen ist, dass es das Chaos der Massenvernichtung von Menschen organisiert. Von oben und mit voller Absicht.
Je mehr wir zulassen, dass der Weg von lokalen und ausländischen Häuptlingen bestimmt wird, umso mehr ist ein Ding sicher: Die Anzahl der Opfer wird sich erhöhen, bis selbst dem Ignorantesten das Ausmaß der Vernichtung klar wird, dem das griechische Volk anheimfällt.
Angesichts dieser Situation haben wir nur eine Pflicht: das Überleben unseres Volkes und die Befreiung unseres Landes. Viele haben nur im Selbstmord einen Ausweg gesehen, was zu vielen Tausend Toten in den letzten zwei Jahren geführt hat. Allerdings kann man sich auch für die Würde entscheiden anstatt für den Selbstmord. 
Wir sollten für unsere Würde als Mensch kämpfen, als Bürger, als Volk und als Grieche. Es steht einem Menschen nicht an, sich wie ein Tier behandeln zu lassen. Es steht dem Volk nicht an, sich wie ein streunender Hund in seiner Angst vor Gangstern zu ducken, die es all die Jahre bestohlen und haben und nun in die Sklaverei verkaufen wollen. Und es steht einem Griechen nicht an, sein Land ohne Kampf, ohne Schlacht, ohne Krieg an die zu übergeben, die ihn mehr betrogen haben als es jede Besatzungsmacht jemals vermochte.
Aus einem Interview (Übersetzung aus dem Griechischen: Edit Engelmann) mit dem griechischen Ökonomen Dimitris Kazakis, Aktivist bei EPAM ("Vereinigte Volksfront").

EPAM strebt als parteiübergreifende politische Bewegung ein unabhängiges, freies Griechenland an und organisiert im ganzen Land soziale Projekte wie Lebensmittelsammlungen, Tauschprojekte und Kooperativen aller Art. Kazakis wird - wegen seiner radikal basisdemokratischen Haltung und seines Plädoyers für die Wiedereinführung der Drachma als Währung - von den Massenmedien gemieden und meidet seinerseits die Massenmedien als verlängerten Arm der EU-Politik und damit des Ausverkaufs der griechischen Bevölkerung. Er ist Herausgeber der während der Krise ins Leben gerufenen Zeitschrift "Xoni" (auf deutsch etwa: Horn, Sprachrohr, Megaphon), die inzwischen an fast jedem griechischen Kiosk erhältlich ist.

A message from Greece:

'Utopia on the horizon', ein Dokumentarfilm von ROAR (Reflections on a Revolution) über die Krise und die Anti-Austeritäts-Bewegung in Griechenland: 
Gewidmet all denen, die sich entschieden haben zu kämpfen
Das dramatische Porträt eines Landes, das am Rande des Kollapses taumelt; und von Menschen, die sich entschieden haben zu kämpfen, um eine neue Welt aus den Ruinen einer alten Welt aufzubauen.
Utopien sind keine schwärmerischen Tagträume. 
Utopien entstehen aus harten Erfahrungen der Verzweiflung, der Enttäuschung, der Aussichtslosigkeit, des Scheiterns, des Lernens und des ungebrochenen Willens weiterzukämpfen.
Utopie heißt Kampf.


Donnerstag, 22. November 2012

Unbekannte Fluchobjekte




Huch. 
Was so alles passieren kann, wenn man nicht aufpasst. 
Vor allem beim Fliegen.
Drum sollte man immer gut aufpassen, 
speziell beim Besteigen eines Fliegers.
Natürlich auch auf Schuhe; 
auf die sollte man stets besonders gut aufpassen.
Am allermeisten aber auf fliegende Schuhe.
Guten Fluch!
Wenn auch mit Fluch.
Huch.

Montag, 19. November 2012

Wanderers Einkehr


Ha. Zwei Fundstücke animieren mich zu einer nachträglichen Referenz an meinen gestrigen Beitrag, wo es um ein Gipfelerlebnis in Cádiz und
- der Gipfel! - gegen Austeritätspolitik demonstrierende Polizisten in Madrid ging.

Zum einen dies:
Protestierende spanische Polizisten:
"Bürger, vergebt uns, dass wir nicht die wirklich Verantwortlichen für diese Krise verhaften: Banker und Politiker."
war am Samstag auf einem Transparent zu lesen.

Liest sich gut. Könnte fast ans Herz gehen. Die Polizei entschuldigt sich bei den Bürgern, quasi daneben gegriffen zu haben! Weil, eigentlich hätte die Polizei ja - eigentlich, hätte sie die cojones dazu gehabt - dann hätte die Polizei eigentlich, ja, was eigentlich tun sollen? Wir probieren es einfach nochmal:
"Bürger, vergebt uns, dass wir nicht die wirklich Verantwortlichen für diese Krise verprügelt haben: Banker und Politiker."
Liest sich noch besser. Könnte allen, die am 14. November während des Generalstreiks von der Polizei verprügelt und (wahlweise mit Gummigeschossen oder Tränengas, gern auch beidem) beschossen wurden, fast ans Herz gehen. Fast. Wären da nicht die Schusswunden, die blutenden Köpfe und die blauen Flecke am ganzen Körper, sowie die realistische Aussicht, bei der nächsten Protestaktion aufs neue übel zugerichtet zu werden, von einer reumütigen Polizei: Bitte vergebt uns bereits heute für unsere Übergriffe von morgen, weil, wir meinen das gar nicht so, wir meinen das eigentlich ganz anders - wir verstehen uns, oder?

Zum andern das:

"Der Wanderer über dem Nebelmeer"

Spanischer Polizist beim Gipfelerlebnis:

Über allen Gipfeln ist Ruh',
in allen Wipfeln spürest du
kaum einen Hauch.
Nicht nur Bürger wandern, sondern
wir auch:
Dann schweigen die Knüppel auf der Straße,
das Gas und die Wasserwerfer.
Aber warte nur, balde
schlagen wir wieder zu.

Sonntag, 18. November 2012

Starker Stoff


In der südspanischen Stadt Cádiz muss gestern schwer was los gewesen sein. Anlässlich eines ibero-amerikanischen (Spanien, Portugal, Lateinamerika) Gipfeltreffens haben sie sich dort die Naturkräuter gegenseitig um die Ohren gehauen, dass es nur so gequalmt hat.

Der bolivianische Präsident Evo Morales wollte das Kauen von Coca-Blättern legalisiert haben, - etwas, was zuhause in den Anden sowieso jeder tut, von den Vereinten Nationen jedoch mit einem Verbot belegt ist, welches wiederum die Vereinigten Staaten von Amerika mit Zähnen und Klauen sowie dem Argument verteidigen, Coca-Blätter seien der gefährliche Rohstoff für das gefährliche Rauschgift Kokain, dessen Hauptkonsument weltweit die Vereinigten Staaten von Amerika sind. Bitte gut durchkauen und auf der Zunge zergehen lassen.

Ferner ging der mexikanische Präsident Felipe Calderon auf die Barrikaden, weil ein paar US-amerikanische Bundesstaaten das Rauchen von Marijuana legalisiert haben wollen, - etwas, was in Amerika sowieso jeder tut, von Calderon jedoch mit Zähnen, Klauen sowie dem Argument bekämpft wird, "sein Land könne sich keinesfalls auch nur einen einzigen Schritt zurück leisten im Kampf gegen Drogenhandel" und die ganze Kriminalität, und außerdem mache der Genuss von Marijuana gewalttätig und überhaupt.
Bitte in angemessenes Papier rollen und tief inhalieren.

Undokumentiert ist, worauf während des festlichen Gipfel-Dinners herumgekaut und wieviele Ofenrohre anschließend zu Verdauungs- und Erleuchtungszwecken herumkreisten. Dokumentiert ist jedoch die jüngste Erleuchtung des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy; der geht nämlich auf Betteltour bei den ehemaligen spanischen Kolonien Lateinamerikas:
In einem historisch zu nennenden Rollentausch hofierten die rezessionsgeplagten Länder Spanien und Portugal die Regierungschefs ihrer ehemaligen lateinamerikanischen Kolonien - Länder mit inzwischen stärkstem Wirtschaftswachstum.
Die Lateinamerikaner, so Rajoy, sollen sich jetzt mal gefälligst erkenntlich zeigen und den Spaniern "helfen, ihre tiefe finanzielle Krise zu überwinden mithilfe von Investitionen", - jetzt, wo "die Rollen vertauscht seien", die früheren Kolonien prosperierten und also ruhig mal den krisengebeutelten Ex-Kolonialherren unter die Arme greifen könnten.
"Unsere Augen sind auf euch gerichtet: Wir brauchen mehr Lateinamerika."
- sekundierte der spanische König Juan Carlos und vergaß nicht, eindringlich hinzuzufügen, dass
"... in Spanien schwierige Situationen in Erscheinung treten, verursacht durch die finanzielle und wirtschaftliche Krise."
- womit er gewiss auf die schwierigen Situationen anspielte, die derzeit auf Spaniens Straßen in Erscheinung treten, wo Hunderttausende von Menschen gegen die ihnen aufgehalste finanzielle und wirtschaftliche Krise protestieren, sowie (zeitgleich zu dem Gipfeltreffen in Cadiz) über 5.000 gegen Kürzungsmaßnahmen in Madrid demonstrierende Polizisten, die wissen wollen, wie sie, bitteschön, weiterhin auf jene Hunderttausende einprügeln sollen, wenn ihnen, den Polizisten, die Renten gekürzt und das Weihnachtsgeld gestrichen werden?

Noch ist nicht dokumentiert, wie die früheren spanischen Überseekolonien auf den von Rajoy angetragenen Klingelbeutel reagiert haben. Fest steht nur, dass sich die herzzerreißende Betteltour gestern im symbolträchtigen Cádiz zugetragen hat, jener spanischen Hafenstadt also, die vormals in schwunghafter Blüte gestanden hatte, zu jener Zeit, als dort die erbeuteten Schätze der Azteken und Inka aus dem fernen Lateinamerika importiert worden waren.

Hoher Dröhnfaktor in Cádiz, alles in allem. Man wäre nicht ungern dabeigewesen. Schon um zu wissen, was die bei so einem Gipfel alles rauchen, wenn sie lange genug darauf herumgekaut haben.

Freitag, 16. November 2012

Sleep well with Deutsche Bank



Der russische Dokumentarfilmer Victor Kossakovsky hat einen kleinen dreiminütigen Film gedreht.

Ort: eine Deutsche-Bank-Filiale in Berlin.
Handlung: Ein paar Menschen ohne Wohnsitz schlafen auf dem Boden des Geldautomaten-Vorraumes. Zwei Bankkunden betreten den Raum, steigen über die schlafenden Gestalten und ziehen Geld aus einem Automaten. Dann betritt eine Frau den Raum und bleibt zögernd in der Eingangstür stehen.
"...eine Frau öffnete die Tür zu den Geldautomaten, und als sie wahrnahm, dass drinnen Menschen schliefen, schloss sie langsam wieder die Tür und ging auf Zehenspitzen weg, während sie sagte, 'schlaft gut!'"
Victor Kossakovsky, NYTimes
Der Film heißt Lullaby (Schlaflied) und wird untermalt von dem träumerischen Lied Lullaby der udmurtischen Sängerin Nadezhda Utkina. Das Kunstwerk aus Film, Musik und Gesang ist so subtil, so melancholisch, so berührend und so verstörend, dass ich mich vor weiteren Worten scheue und lieber immer wieder den Film auf mich wirken lasse. Ich glaube, wenn Kunst so zu wirken vermag, dann - und nur dann - ist sie: Kunst.


Donnerstag, 15. November 2012

Fuchteln und Knuddeln


Einfach zum Knuddeln, diese Deutschen. Vor allem, wenn sie in jedes stereotype Fettnäpfchen reintreten, vorzugsweise mit voller Breitseite und extra ungeniert im Ausland, wo der Gestus des besserwisserischen Zuchtmeisters besonders gut ankommt. Wenn dann das deutsche Knuddelpaket auch noch auf den Namen 'Fuchtel' hört und erwartet, dass alle auf den Fuchtel hören, bloß weil der Fuchtel den Schulmeister gibt und mit dem oberlehrerhaften Zeigefinger ("Wofür die Griechen 3.000 städtische Müllabfuhrleute brauchen, das schaffen die Deutschen mit 1.000 Mitarbeitern!") herumfuchtelt, dann darf der Fuchtel sich nicht wundern, wenn er mit ein paar fliegenden Eiern geknuddelt wird.

War natürlich, wie üblich, alles "nur ein Missverständnis" und gar nicht so gemeint, als ob man die Griechen in typisch deutscher Manier von oben herab behandeln wolle. I wo. Deshalb legte der Fuchtel auch gleich nach, dass er "vollstes Verständnis für die Probleme der Griechen" habe und niemand ihnen das Recht aufs Demonstrieren absprechen dürfe. Selbst die Deutschen nicht. Wieso der Fuchtel dann allerdings zielsicher ins nächste bereitstehende Fettnäpfchen meinte schliddern zu müssen:
"Wir müssen ihnen (den Griechen) die Möglichkeit zum Demonstrieren und Protestieren geben, denn das ist das Recht eines jeden Bürgers in einer Demokratie."
- und damit expressis verbis kundzutun, unter wessen Fuchtel er die protestierenden Griechen sieht, wissen noch nicht mal die Götter. Vielleicht sollte bald das delphische Fettnäpfchen-Orakel befragt werden.

Willkommen, bienvenido, benvenuto!


Gestern hat Angela Merkels sprichwörtlicher Mutterwitz mal wieder gnadenlos zugeschlagen und, als der Tag zur Neige ging, seine tiefen Spuren hinterlassen.
... sie (Merkel) heiße die Proteste willkommen und jedermann habe ein Recht zu demonstrieren, schließlich "habe ich 34 Jahre in einem Land gelebt, wo man nicht demonstrieren durfte"
- gab sie großherzig am 14. November zum Besten, wo in ganz Europa gestreikt und protestiert werden durfte gegen die Austeritätspolitik Merkelscher Machart. In den späten Abendstunden wurde die staatstragende deutsche Grußbotschaft in Spanien, Portugal und Italien zügig beim Wort genommen und gnadenlos zugeschlagen.

Willkommen auf den Straßen Europas.

Portugal today

Mittwoch, 14. November 2012

Ohne Grenzen


Rockaways, Queens (New York City)

Ärzte ohne Grenzen - wer denkt da nicht an Dritte-Welt-Länder? An wirtschaftlich unterentwickelte Staaten? An medizinische Nothilfe in Krisen- und Kriegsgebieten? Wo war die nochmal, die sogenannte Dritte Welt? Richtig, in den industriell hoch entwickelten Industriestaaten der sogenannten Ersten Welt. Der hoch entwickelte Kapitalismus schafft es nämlich nicht mehr, in seinen eigenen Krisengebieten die humanitäre Nothilfe samt erforderlicher Koordination und Logistik bereit zu stellen. Vielleicht will er es auch gar nicht schaffen. Vielleicht scheren ihn humanitäre Notstände auf eigenem Boden noch weniger, als man bislang dachte. Jedenfalls fühlt er sich überfordert.
Im Gefolge des Hurrikans Sandy haben 'Ärzte ohne Grenzen' ihr erstes Krankenhaus in den Vereinigten Staaten errichtet. Eine Woche, nachdem Sandy über New York gestürmt war und Elektrizität und öffentlichen Nahverkehr lahmgelegt hatte, eröffneten 'Ärzte ohne Grenzen' befristete Notkliniken in den Rockaways - ein abgelegener Teil von (New Yorker Stadtteil) Queens am Atlantischen Ozean -, um sich um Bewohner von Hochhäusern zu kümmern, die immer noch ohne Strom und Heizung leben und von dem Sturm isoliert wurden.
Vom Sturm isoliert wurden? Seit der Sturm die Halbinsel verwüstet hatte, wurden die Bewohner Rockaways nicht vom Sturm, sondern von jeglicher Hilfe isoliert:
Die Situation in Far Rockaways ist entsetzlich und völlig außer Kontrolle. Ans Haus gebundene alte Menschen können ihre Wohnungen nicht verlassen, weil sie keine Treppen steigen können. Sie brauchen Medikamente und ärztliche Versorgung, zusätzlich zu Essen und Wasser. Aus einem der Gebäude wurde gestern ein Leichensack gezogen. Es gibt dort keine National Guard, kein Rotes Kreuz oder sonst irgendeine Organisation für Katastrophenhilfe.
- und wer es noch nicht erraten hat, der kann es sich - mithilfe seiner Desasterkapitalismus-gestählten Phantasie - fast denken: Bei den zuerst vom Sturm, dann von offizieller Hilfe isolierten Bewohnern von Rockaways handelt es sich überwiegend um arme, alte, gebrechliche oder kranke, jedenfalls hilfsbedürftige Menschen. Was soll's, um alles und alle kann er sich nun mal nicht kümmern, der hoch entwickelte Kapitalismus. Ärzte ohne Grenzen, übernehmen Sie.

Obwohl. Andererseits ist der Desasterkapitalismus US-amerikanischer Prägung um grenzwertige "einzigartige Lösungen" zur Behebung von katastrophenbedingten Notständen nicht verlegen. Allein in Staten Island (New York) haben über 5.200 Menschen infolge des Sturmes kein Dach mehr über dem Kopf. Nur rund zwei Dutzend von ihnen konnte bislang mit einer Notunterkunft geholfen werden. Wohin mit dem lästigen Rest?


Antwort: Ab in den Knast. Zu irgendeiner Zweitverwertung müssen stillgelegte Gefängnisse ja gut sein, im Kapitalismus, auch wenn diese heruntergekommen, "mit deaktivierter Infrastruktur", also ohne funktionierendes Abwassersystem und Heizung vor sich hin gammeln. Könnte sich um ein zukunftsweisendes Konzept zur "Lösung" des im hoch entwickelten Kapitalismus um sich greifenden Obdachlosenproblems handeln: endlich alle unter einem Dach. Schlecht versorgt, aber unter Kontrolle. Und, nötigenfalls, hinter Schloss und Riegel.

Was will man mehr? Musik, bitte:


Redman's Hurricane Sandy Relief Freestyle

Samstag, 10. November 2012

Übelkeit


In mir steigt gerade eine kleinere Übelkeit hoch. Also das, was der Volksmund als ein leichtes Kotzgefühl bezeichnet. Nichts Dramatisches, nur eine kleinere Übelkeit, eine sich abzeichnende Magenverstimmung, die sich aber zu einem chronischen Problem auswachsen könnte, insofern das am 6. November in Amerika mit knapper Mehrheit gewählte sogenannte kleinere Übel sich anschickt, zu einem dauerhaften Phänomen zu werden.

"The Smellabration" by Mr. Fish

Das mit den Gefühlen ist natürlich so eine Sache, seien es Kotz- oder andere Gefühle. Andere Länder, andere Gefühle. Während die um vier Jahre verlängerte Amtszeit des sogenannten kleineren Übels von dessen Anhängern angemessen überschwenglich gefeiert wird, macht sich andernorts eine bemerkenswert abgestumpfte Gefühlskälte breit. In Pakistan beispielsweise:
Islamabad nahm die Nachricht von Obamas Sieg mit einem unbeeindruckten Gähnen zur Kenntnis... "Die Hauptsache, für die die Leute sich hier interessieren, sind Angriffe von Dronen (ferngesteuerte Raketen)," sagte ein TV-Kameramann beim Aufbauen seiner Technik vor der US-Botschaft. "Schließlich wissen wir alle, dass sich nichts ändern wird, egal wer (in Amerika) an der Macht ist."
Ein pakistanischer General im Ruhestand kommentierte,
"Viele Leute hier mögen Obama nicht wegen des Problems mit den Dronen,"
fügte jedoch beschwichtigend hinzu,
"aber die gute Nachricht ist, dass (seine Wiederwahl) eine Kontinuität verspricht und Obama wenigstens derjenige ist, der weiß, mit wem und mit was er es zu tun hat."
Vermutlich liegt es an jener erwartbaren außenpolitischen Kontinuität, weshalb das Land im mittleren Osten gleichgültig gähnte statt in Freudentaumel auszubrechen. Ist es ihm zu verdenken? Deutlich gefühlvoller reagiert die pakistanische Zivilbevölkerung, wenn ihresgleichen von einem mörderischen Dronenangriff erwischt wird, kollateral, versteht sich:


Der zehnjährige Junge hieß, als er noch lebte, Naeemullah. Er wurde verletzt, nachdem ein ferngesteuerter Flugkörper in zwei Nachbarhäuser ("zwei verdächtige militante Verstecke") eingeschlagen, Granatsplitter und herumfliegende Trümmerteile durch die Wand in sein Haus geborsten und in seinen Körper eingedrungen waren. Eine Stunde, nachdem der Vater seinen Sohn fotografiert hatte, starb Naeemullah an seinen Verletzungen.

Anhänger des für vier weitere Jahre amtierenden Herrschers über drones, kill lists und einer darüberhinaus eigens kreierten disposition matrix bezeichnen solche Kollateralschäden an der Zivilbevölkerung als das kleinere Übel (gern auch als "smart warfare" eines noch smarteren Präsidenten), gemessen an den viel verheerenderen Schäden einer flächendeckenden Bombardierung. Grund genug, das wiedergewählte sogenannte kleinere Übel frenetisch zu bejubeln und sich nicht allzu zimperlich anzustellen, wenn mal wieder eine Menge unbeteiligter, unschuldiger Menschenopfer in die Luft gejagt wurden - bei mehr als 300 von Obama bislang autorisierten Dronenangriffen in Pakistan.

Unfair wäre es allerdings, jetzt dem smarten Präsidenten vorzuwerfen, er sei nichts als ein hartgesottener, gefühlskalter Brocken. Ist er nicht! Ihn hat nämlich vorgestern die menschliche Rührung übermannt, als er seinen Wahlhelfern für deren übermenschlichen Anstrengungen dankte, denen er seinen Wahlsieg verdankte. Da hat er sich, während er smart an seinem Kaugummi weiterkaute, doch glatt verstohlen ein paar Tränen (ich glaube, es waren zwei) aus den Augen gewischt und damit bewiesen, dass er, der Präsident der Herzen, ein - ja doch! - ein Herz hat. Fast hat es ihm vor lauter Dankbarkeit das Herz zerrissen, was wiederum seine erfolgreich kampagnenführenden Anhänger zu herzzerreißenden Jubelausbrüchen bewegte.

Apropos übermannt. Kaum waren dem dankbaren Wiedergewählten die Tränen der Rührung über die Wangen gekullert, ging das stockkonservative Macho-Gezetere los: was für ein weinerlicher Waschlappen - und der will ein mannhafter, kriegsstarker Präsident sein?
Das wirkt fehl am Platze: Der Präsident der Vereinigten Staaten bricht in Tränen aus, als er seinen Kampagnenhelfern dankt für deren unermüdlichen Einsatz für seine Wiederwahl.
- wobei beschwichtigend angemerkt wird, auch ein harter Kerl namens Putin habe es schon mal öffentlich in die Kameras kullern lassen und sei trotzdem nachweislich ein beinharter Kerl geblieben. Da wird sein amerikanischer Kollege doch auch mal Gefühl zeigen dürfen, ohne dass ihm deshalb die Maskulinität in Abrede gestellt wird.

Und überhaupt - wenn's wirklich hart auf hart kommt, sollte er unbedingt baldmöglichst zeigen, was er so drauf hat als echtes Mannsbild, dem der Ruf des kleineren Übels vorauseilt: schnell mal den nächsten Dronenangriff autorisieren auf ein paar Kinder irgendwo im mittleren Osten, und schon ist wieder alles im Lot.

Wenn da bloß diese kleinere Unpässlichkeit in meiner Magengegend nicht wäre.