Samstag, 9. Juni 2012

Halluziferogen


Die Eurokrise verschärft sich mit jedem Tag.

Ach was, viel schlimmer, sie strebt ihrem desaströsen Höhepunkt entgegen - der Kollaps ist nicht mehr aufzuhalten, nicht nur der ökonomische, politische, soziale, nein!, neuerdings steht der moralische Kollaps unmittelbar bevor, und was danach folgt, weiß jeder, dem die Dantesche Vorhölle schon immer zu langweilig und das Paradies zu sauber war und der sich wünscht, die Erde möge sich endlich trichterförmig auftun und ihn lüstern verschlingend durch mindestens die ersten drei Höllenkreise jagen, um dort unten auf ewiglich (oder zumindest längerfristig) infernalischen Genüssen zu frönen und nie, nie mehr an die krisenpanikverseuchte Oberfläche zurückzukehren, in dieses von früh bis spät an allen Nervenenden zerrende irdische Jammertal.

Weil, es ist nämlich so, dass neben all dem notorisch kaltgeschleuderten Blähdung sich jetzt auch noch eine siedendheiße Warnung vor fegefeuerpflichtigen moralischen Verlotterungen ergießt über unsere Häupter, oh voll von Wut und Wunden.

Um es kurz zu machen: Das "wahre moralische Desaster" ("a real moral desaster") steht vor der Tür. Ei, wolle mer's reilasse? Oder ihm lieber einen autoritär-paranoiden Riegel vorschieben? Ihm, dem Grundübel allen gesellschaftlichen Verfalls, dem Inbegriff moralischer Verkommenheit, der da heißt: Entkriminalisierung von Cannabis. Allmächtiger!

Anscheinend hat die rechte Opposition in Frankreich nichts mehr zu tun seit Sarkozys präsidentialem Höllenabsturz und muss jetzt gucken, wo noch ein oppositioneller Blumentopf zu holen ist. Und siehe, sie fand ihn. Bekanntlich wachsen in jedem zweiten französischen Blumentopf keine herbes de Provence, sondern die sprichwörtlichen Blumen des Bösen, also illegal heimlich gezüchteter Hanf.

Diesen zu legalisieren schickt sich die Grünen-Ministerin im Hollande-Kabinett Cécile Duflot an; die Sarkozysten laufen Amok, zeigen sich "deeply shocked", bewaffnen sich bis an die Zähne mit moralischer Ent- und Aufrüstung ("up in arms") und verstehen überhaupt keinen Spass:
"Diese Idee, Cannabis zu legalisieren, ist ein wahres moralisches Desaster."
"Die Gesundheits- und Sicherheitsrisiken, die mit dem Konsum und Handel verbunden sind, sind einfach viel zu ernst."
Ihren wahren moralischen Höhepunkt wird die Krise erreicht haben, wenn außer dem allerletzten glimmenden Joint auch noch der Sex & Rock & Roll europaweit konfisziert wurden.


Here's a little piece of advice
You're quite welcome it is free
Don't do nothing that is cut price
You know what that'll make you be
They will try their tricky device
Trap you with the ordinary
Get your teeth into a small slice:
The cake of liberty...
...is very good indeed.

7 Kommentare:

  1. OT Seit 14 Tagen frage ich mich, warum fast niemand über den Aufstand der 'mineros' in Asturien berichtet. Veelleicht hast Du ja Bock drauf. Selbstgebastelte Raketenwerfer und blockierte Autobahnen sind schon eine Erwähnung wert, wie ich finde. Ob sie einen richtigen Plan haben, ist mir nicht klar.
    Zuerst wollen sie jedenfalls die (linke) Regionalregierung stürzen.
    In den Blogs las ich, daß die 15M-Leute nicht so recht begeistert sind.
    Ein paar eindrucksvolle Bilder gibt es auf periodismo humano

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  2. Zum Thema: Ich finde es lustig, daß ein Teil der Gesellschaft einem anderen erzählen will, welche Pflanzen gut und welche schlecht sind. Die Untersuchung der Kokainfunde in den Pissbecken des Bundestages wurde, so glaube ich mich zu erinnern, ergebnislos eingestellt.

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  3. Antworten
    1. Dein Guardian-Link führt zu keinem Artikel über die Minenarbeiter in Asturien, sondern über das spanische Bankenelend.

      Hier ein Link zu einem Bericht im englischen DailyMail mit vielen starken Bildern.

      "In den Blogs las ich, daß die 15M-Leute nicht so recht begeistert sind." Kommt drauf an, welche Blogs Du liest. 15M:Oviedo beispielsweise (Oviedo ist die Hauptstadt Asturiens) bekundet hundertprozentige Solidarität und Unterstützung mit den Protesten der Mineros.

      Eine deutliche Stellungnahme der Mineros gegenüber jenem Teil von 15M, der sich den ideologischen Luxus der "Gewaltlosigkeit" gönnt, findet sich hier:

      "Wir sind nicht 15M, wir sind keine Pazifisten, wir wollen alles. Wir haben keine Angst, denn wir sind Mineros."

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  4. Den letzten hatte ich angehängt, weil diese Woche die crowdfunding-Geschichte für die Anzeige gegen Rato lief und mehrere Artikel über die Relation von Korruption und Krise erschienen waren.
    Heute unter #rescate kamen dann auch mehrere tweeds im Sinne von: Wir wollen nicht für Korruption bezahlen und die anderen Leute Europas sollten das auch nicht tun.

    Stimmt, die dailymail-Seite hatte ich diese Woche auch gesehen. Da war mir aber zuviel Rauch der brennenden Autoreifen im Spiel, aber wenigstens ist die Story in englischer Sprache.
    Die beiden anderen Einträge kenne ich auch. Mein Eindruck ergibt sich eher aus einer Vielzahl von Kommentaren, welche den Protesten der mineros Ziellosigkeit vorwarfen.

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    1. Im Guardian bekunden die englischen Bergarbeiter ihre volle Solidarität mit den spanischen Mineros:

      "Time to stand with Spanish miners"

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