Samstag, 23. Januar 2010

Es ist prima so, wie es ist


Es ist neun Uhr früh und immer noch stockdunkel, was selbst für Ende Januar ungewöhnlich ist. Okay, nicht völlig dunkel, aber doch dunkelgrau, düster und irgendwie bleiern unbeweglich. Gerade so, als ob es von jetzt bis ans Ende aller Tage so düster bleiben und sich niemals mehr aufhellen wird. Man weiß es wohl besser, aber nützen tut einem das nichts. Weil die konstant zu ertragende Graustufe zweifeln lässt am natürlichen Verstreichen der Zeit.

Was tun an einem solchen bleigrauen Morgen? Zeitunglesen halt. Ein Blick auf die Wetterkarte: Es bleibt grau. Sie nennen es "ruhiges Winterwetter", mit anderen Worten, "vielfach stark bewölkt", "örtlich neblig-trüb", "stellenweise Regen möglich, der zum Teil gefriert". Da vergeht es einem doch gleich wieder, wenn schon um kein Vielfaches, so doch zumindest stellenweise oder zum Teil. "An Rhein und Mosel kann es auch regnen", erfährt man; hingegen "am Niederrhein kann es auch frostfrei sein", was die Frage aufwirft, wie es eigentlich um die Grauwerte in Niedersachsen bestellt ist?

Dort ist es genauso zappenduster wie im Rest der Republik, wenn nicht noch dusterer, jedenfalls auf dem platten Land. So duster wie es nur sein kann, fast ohne elektrischen Strom, außer für das Telefon und eine einzige Glühbirne auf dem gesamten Hof. Den Mann von der Zeitung scheint dieser Notstand mehr gestört zu haben als den Interviewpartner, den niedersächsischen Landwirt Gottfried. Im Gegenteil, der nun zum zweiten Mal von der FAZ besuchte Eigenbrötler kommt mit der winterlichen Dunkelheit gut klar. Mehr noch: Er liebt sie. Er genießt sie.
Ich liebe am Winter besonders die Dunkelheit und auch die Schatten. ... Wenn man Geister treffen will, muss man zu dieser Zeit draußen sein. Geister brauchen das Zwielicht.
Geister?, fragt entgeistert der Interviewer, und der Bauer Gottfried erklärt:
Wenn es dämmert, werden die Umrisse fließend, es verwischt sich. Neulich war im Dunkeln ganz dichter Nebel..., und da wurden die Disteln zu mächtigen Gestalten, die mir einen Schauer durch den ganzen Körper gejagt haben. Auf einmal steht so eine mannshohe Figur schemenhaft vor mir. Wenn ich dran denke, kriege ich jetzt noch eine Gänsehaut.
Du kannst wirklich nur Gespenster sehen, wenn du in der Dunkelheit bist. Das kannst du nennen oder rationalisieren, wie du willst. Wenn es dunkel ist, dann gibt es Geister.
Mit mir passierte etwas ganz Komisches, als ich das las. Plötzlich war mir so, als dränge aus dem stockdunklen Niedersächsischen ein merkwürdig stimmungsaufhellender Lichtstrahl in meine graue Großstadthütte, und meine graue Großhirnrinde konnte nicht anders, als über mein graues Großstadtgesicht ein Lächeln spazieren zu lassen. Und jedes Mal, wenn ich an Gottfrieds Liebe zur Dunkelheit denke, muss ich aufs neue lächeln, unwillkürlich - egal wie grau der Blick aus dem Fenster ist. Und nein, die Dunkelheit liebe ich nach wie vor nicht; aber ich liebe es, wie Gottfried die Dunkelheit liebt und wie er darüber spricht.

Am liebenswertesten finde ich Gottfrieds Antwort auf die letzte Frage des Interviewers:
Freuen Sie sich auf den Frühling?

Nein. Es ist prima so, wie es ist.

2 Kommentare:

  1. mein problem: ich mag winterklamotten und ich liebe den zwiebellook. mehr als alles andere. deswegen ist heißer sommer nicht so doll, weil man nur kleid oder rock mit hemdchen anziehen kann :(.. wenn ich frei hab' oder im urlaub bin, ist das ja ok, aber.. hm.

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  2. Irgendwann (bin mir fast sicher) wirst Du mir in der frühmorgendlichen Dunkelheit als Zwiebelgeist begegnen, ich werde vor Schreck vom Fahrrad fallen und beim Aufstehen murmeln: Wo der Gottfried recht hat, hat er recht...
    :)

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