Die besten Geschichten schreibt immer noch das Leben. Nein, nicht das pralle, sondern das dürre Leben der Statistiker. Vorzugsweise jener auf dem rechten ideologischen Pfad wandernder Statistiker, die ihre Zahlen rauf und runter auswerten, um sie sodann - jetzt bitte anschnallen! - zu interpretieren.
Wenn diese Statistiker beim Interpretieren von Einkommenszuwächsen - und überhaupt beim Thema Wachstum schlechthin - so richtig in Fahrt kommen, lassen sie sich gern zu Schlagzeilen wie dieser hinreißen:
Der Tatbestand der wachsenden 1 Prozent Inder
In der rhetorischen Figur '1 Prozent', wir erinnern uns, drückt sich der Tatbestand der obersten, schmal besetzten Spitze der Einkommenspyramide aus. Und jetzt wachsen die '1 Prozent', ist das nicht phantastisch? Ist das so zu verstehen, dass aus einem Prozent zwei, drei, viele Prozent Spitzenverdiener in Indien werden? Womöglich ein überwältigender Fall von Demokratisierung der Spitzeneinkommen?
Fast könnte sich der Eindruck aufdrängen, denn:
Haushalte mit einem jährlichen Einkommen von 12.500.000 Rupien wachsen rapide.
- wäre da nicht der (zugegeben, korinthenkackerische) Tatbestand, dass von "Haushalten" die Rede ist und nicht etwa von der "Zahl der Haushalte". So ist im Fortgang der Lektüre zu erfahren, dass es das Haushaltseinkommen der '1 Prozent' ist, das rapide wächst, nicht etwa die Anzahl der Haushalte, die sich mit dem stolzen Haushaltseinkommen der '1 Prozent' messen können. Was die Statistiker nicht daran hindert, jubilierend zu interpretieren:
Die gute Nachricht ist, dass Indiens 1-Prozent-Club rapide wächst.
Gigantisch. Nachgerade märchenhaft, die gute Nachricht. Das rapide Wachstum der '1 Prozent' wird bald alle Rekorde schlagen. Wie haben wir uns das demnächst alle Gürtelschnallen sprengende Wachstum des (nicht nur indischen) "1-Prozent-Clubs" vorzustellen? Frag' den Statistiker:
In den Jahren 1993-94 verdiente das obere Fünftel der Haushalte in Indien 37 Prozent des Gesamteinkommens. Dieses Einkommen (des oberen Fünftels) wuchs 2009-10 auf 53 Prozent des Gesamteinkommens und wird erwartungsgemäß 59 Prozent in den Jahren 2014-14 erreichen.
So weit klar, der Tatbestand der märchenhaften Geldvermehrung an der Spitze der Pyramide? Und das Tolle an den Spitzenverdienern ist, dass sie auch viel mehr Geld für Konsumzwecke ausgeben ("high earner, high spender"), die leisten auf der ganzen Linie was, finden anerkennend die Statistiker ("40 Prozent der Gesamtkonsumausgaben"). Um uns ein Gefühl dafür zu geben, wie märchenhaft das da oben in schwindelnder Höhe läuft, erlauben die Statistiker uns einen vergleichenden Blick auf den breiten Fuß der Einkommenspyramide:
Im Kontrast dazu steuerte der untere Teil der Pyramide gerade mal neun Prozent und die mittleren Einkommen 17 Prozent am Gesamtkonsum bei.
Kriegen einfach nichts gebacken, die da unten. Woran hapert's? Denen fehlt eben die Fähigkeit, anständig Geld zu verdienen. Sagt der Statistiker:
Dank ihrer größeren Fähigkeit, Geld zu verdienen, war der Einkommensüberschuss der Haushalte des oberen Fünftels 76 Prozent, im Vergleich zu sieben Prozent der Haushalte mit mittlerem Einkommen, und einem (Einkommensüberschuss-)Defizit von zwei Prozent am unteren Ende der Pyramide.
Bevor ich mich an den unteren Teil der Pyramide begebe und ans Zusammenkratzen meiner Einkommensüberschussdefizite mache (die alljährliche Steuererklärung droht), hier das sommerliche Summary aus dem märchenhaften Indien:
Dank ihrer besseren Fähigkeit, Geld zu verdienen, freuen sich die '1 Prozent' mitteilen zu können, dass rapide wachsende Einkommensunterschiede eine gute Nachricht sind.
Einkommenspyramide, indisch
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