Freitag, 15. Juni 2012

Aufrührerisches


Es ist früh am Tage und ich reibe mir verwundert die Äugelein.

Übermorgen wird in Griechenland gewählt.

Laut der letzten Umfragen war, erstens, die linke Partei Syriza zügig nach oben geschnellt, und laut griechischem Gesetz dürfen, zweitens, zwei Wochen vor den Wahlen keine Umfragen mehr veröffentlicht werden - ein brandgefährlicher Status quo, der, drittens, in den letzten beiden Wochen zu melodramatischer Panikmache genutzt wurde.

Die um ihre politischen Besitzstände besorgten Euro-Macher überschlugen sich in exaltierten, an Endzeit-Pathetik nicht zu überbietenden Warnungen und Drohungen, gerichtet an die griechischen Wähler, falls Letztgenannte die Stirn, die Dreistigkeit und das demokratische Recht hätten, sich für jene Partei allen Übels zu entscheiden: Schmoren sollt ihr in der Hölle, verantwortungslose Griechen, spätestens am Montag nach dem Wahlsonntag drehen wir euch den Geldhahn zu, am Dienstag wird das Universum einstürzen und ab Mittwoch könnt ihr dann sehen, wo ihr bleibt.

Die Kernbotschaft der dauerdelirierenden Scharfmacher war dabei stets dieselbe: Griechen, um aus eurer Zwangslage, eurer Misere, eurer Hungersnot, eurer Arbeitslosigkeit wieder herauszufinden, müsst ihr nichts tun als genau jene Parteien wählen, die mitgeholfen haben, euch in Misere, Hungersnot und Arbeitslosigkeit zu zwingen. Zwar wurde das nicht so platt gesagt, war aber nichtsdestotrotz so platt gemeint.

Kostprobe? In diesem Wahlwerbespot stößt die rechtskonservative Nea Democracia, parteipolitischer Hauptgegner von Syriza und hauptverantwortlich für die in Griechenland herrschenden apokalyptischen Zustände, ins Horn der drohenden Apokalypse, sollten die Griechen so intelligent sein, ihr Kreuzchen an unerwünschter Stelle zu machen:

(für englische Untertitel auf 'cc' klicken)

Und jetzt zu meinen geriebenen Äugelein:
Dies ist eine sehr bittere Wahl für das griechische Volk. Es ist aufgerufen, genau den alten Wachtposten zu wählen, der es in diesen Saustall hineingetrieben hat.
Korrekte Aussage. Trifft ins Schwarze. Trifft den Nagel der ganzen verlogenen Hetzkampagne auf den Kopf. Durch und durch stimmig, aber noch kein Grund, sich die Augen zu reiben. Jetzt die Preisfrage: Wer hat's gesagt?

Nee, nee, falsch - kein vom Satan besessener Syriza-Linker, kein zynischer Kritiker des korrupten Establishments, kein intelligenter griechischer Wähler. Alles falsch.

Vielmehr kommt das stimmige Statement (via Keep Talking Greece) - Augen reiben! - aus dem Mund des vom Satanismus infizierten Establishments höchstpersönlich, aus eben jener Ecke, wo der verlogene Wahl-Hype auf Hochtouren getrieben wurde. Nämlich aus dem Mund eines deutschen EU-Funktionärs. Der es allerdings vorzieht, namentlich lieber nicht genannt zu werden, weil derlei offenherzig zynische Aussagen "etwas heikel seien angesichts des Problems, dass am Sonntag Wahlen stattfinden". Mit anderen Worten: Angesichts dieses "Problems" scheint die Stunde der unverblümten Wahrheit gekommen zu sein. Nur halt anonym, versteht sich. Will sich ja keiner den Mund verbrennen.

Warten wir mal ab, was der Sonntag bringt. Obwohl, eigentlich gibt es gar nichts abzuwarten, denn der Wahlausgang scheint eh klar zu sein, zumindest was seine optionalen Konsequenzen betrifft: ein simples Entweder-Oder-Modell, auf den Punkt gebracht wiederum von einem deutschen EU-Funktionär (man erfährt nicht, ob es derselbe war, weil die Typen ja allesamt anonym zitiert werden wollen):
Eine vertrauliche Nachricht aus der deutschen Botschaft in Athen warnt vor "Aufruhr an den Finanzmärkten", sollte Tsipras (Syriza) gewinnen, und vor "Aufruhr in den Straßen", sollte Tsipras nicht gewinnen, sagte ein deutscher Funktionär.
So viel Aufruhr war selten. Welcher Aufruhr wird gewinnen? Der Druck der Märkte oder der Druck der Straße? Die Nerven liegen blank. Dazu noch der ganze Aufruhr um den Fußball. Man weiß nicht, was noch kommen mag. Reibt sich aber schon mal die Äugelein.


1 Kommentar:

  1. Heute hat sich auch noch die Financial Times Deutschland (via Keep Talking Greece) reingehängt mit einer ungebetenen Wahlempfehlung für die Griechen bzw. einer Warnung vor den üblichen Verdächtigen:

    "Widersteht den Demagogen!"

    Das Kommentariat tobt. Zu recht. Am sauersten sind die in Deutschland lebenden griechischen Leser der FTD. Lesenswert.

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