Donnerstag, 28. Juni 2012

Lagerdenken


Jedes Ding hat zwei Seiten, auch das Unding.

Ein Unding ist es, was dem Athener Bürgermeister Giorgos Kaminis entfahren ist, anlässlich eines Besuches im berüchtigten Korydallos-Gefängnis in Piraeus. Dort wurde das Stadtoberhaupt von zwei weiblichen Häftlingen (laut Athens News) "thoroughly grilled", also nach allen Regeln der Fragekunst auf den Grill gelegt und auseinandergenommen, bis von dem dampfplaudernden Kaminis weder Kopf noch Kragen übrigblieb.

Jedes Problem, findet Kaminis, hat zwei Seiten, auch das Problem der Armut und der Verzweiflung:
Das Problem der Armut und Verzweiflung im Stadtzentrum (von Athen) hat zwei Seiten. Die eine Seite ist die Finanzkrise, die viele Leute in Armut gestoßen hat.
Eigentlich ein vielversprechender und vertiefenswerter Ansatz - könnte man denken. Wenn da nicht jene andere Seite wäre, über die der Bürgermeister viel lieber spricht:
Die andere Seite ist die illegale Einwanderung, die illegale Einreise von Leuten in unser Land, die sich dann fortgesetzt hier illegal aufhalten, nach einem besseren Leben Ausschau halten, nach einem Job suchen, aber keinen finden, bedingt durch die Krise. Dies hat die Situation zutiefst verschlimmert.
So redet einer, der den Fokus des Problems (Armut und Verzweiflung, verursacht durch die Finanzkrise) sachte dorthin verschiebt, wo er ihn, den Fokus, gerne haben möchte: bei den Immigranten, den Illegalen, den Kriminellen, den Sündenböcken.
Diese verarmten Massen sind der Boden, auf dem das Verbrechen blüht, denn wer nicht arbeiten kann, wird entweder zum Opfer oder zum Täter eines Verbrechens. Alles organisierte Verbrechen, egal ob wir von Prostitution sprechen, von Drogenhandel oder Schmuggel oder Bettelei, wird von illegalen Immigranten besetzt - dem müssen wir ins Auge sehen.
Gut, der wackere Bürgermeister hätte jetzt auch der einen Seite, nämlich den organisiert verbrecherischen Methoden der Finanzmarkt-Akteure ins Auge sehen können - will er aber nicht; denn sieh', die andere Seite liegt so nah, zum Greifen nah auf den Straßen Athens. Säubern heißt das Gebot der Stunde.
Rania: Glauben Sie, dass Konzentrationslager die Lösung für das Immigrationsproblem sind?
Glauben Sie jetzt bloß nicht, dass diese Frage den Bürgermeister in Verlegenheit bringt. Konzentrationslager! Ja, darf man so ein böses Störwort denn in den Mund nehmen?
Kaminis: Ich denke, es ist am besten, wenn wir sie nicht als Konzentrationslager bezeichnen, denn mit diesem Wort sind andere Arten von Einrichtungen gemeint.
Alles eine Frage der Wortwahl, Problem entstört, Hals aus der Schlinge. Jedoch, die inhaftierten Ladies lassen nicht locker:
Rania: Stört Sie der Begriff (Konzentrationslager)?
Wie man sieht, hat nicht nur jedes Ding, sondern auch jede Frage zwei Seiten: Man kann sie mit Ja oder mit Nein beantworten. Im vorliegenden Fall wäre ein Ja sicher die ehrlichere Antwort gewesen, wobei das Nein des Befragten durchaus als nicht unehrlich zu interpretieren ist.
Kaminis: Nein, aber wir wissen, dass das keine Konzentrationslager sind, sondern Inhaftierungslager.
Bei dieser sprachlichen Gymnastikübung hätte der Athener Vorturner es eigentlich belassen können. Wo er aber schon mal dabei war, sich und sein Wissen zu entlarven, setzte er kühn an zur doppelbödigen Flugrolle:
Kaminis: Der Begriff, den Sie erwähnten (Konzentrationslager), bezieht sich auf Einrichtungen, in denen Menschen gesammelt werden aufgrund ihrer Ethnie, ihrem Herkunftsland.
- und landete damit genau auf jener rutschigen Matte, die er eigentlich wortakrobatisch wegradiert haben wollte. Weil, was ist ein Immigrant, wenn nicht ein Mensch, der durch sein Herkunftsland definiert wird?

So hat jedes Ding zwei Seiten, auch ein Lager. Im einen wird konzentriert, im anderen inhaftiert. Man beachte die feinsinnigen Unterschiede. Nicht zu vergessen die Gemeinsamkeiten: In beide Lager wird deportiert.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen