Samstag, 30. Juni 2012

Da lacht die Yacht


Wenn zwei das Gleiche sagen, meinen sie noch lange nicht dasselbe. Wäre ja noch schöner. Wo kämen wir da hin? Ins Steuerparadies Griechenland.

Erinnert sich noch jemand an Christine Lagarde (das ist jene IMF-Grande-Dame, deren fürstliches Gehalt aus Steuergeldern finanziert wird und die selbst keinen Cent Steuern bezahlt), die sich mit ihrer warmherzigen Aufforderung, arbeitslose griechische Eltern möchten doch bitte erst mal ihre Steuern bezahlen, bevor sie ihre Kinder auf der Straße verhungern lassen, kürzlich in die Nesseln gesetzt hatte? Die infolge des über sie hereinbrechenden shitstorms geflissentlich zurückruderte und meinte, sie hätte das ja nicht so gemeint, sondern ganz anders, nämlich so, dass die zahlungskräftigeren unter den Griechen endlich mal ihren Steuerverpflichtungen nachkommen sollten?

Und was ist eigentlich aus jenen EU-Steuer-"Kommissaren" (deutscher Provenienz) geworden, die vom deutschen Hauptkommissar Schäuble nach Athen delegiert wurden, um dort - steuereinzugstechnisch - nach dem Rechten zu sehen? Haben die bei jenen, wo es etwas zu holen gibt, also bei den zahlungskräftigeren unter den Griechen, etwas geholt? Wenn ja, wieviel, wenn ja, bei wem? Oder haben sie nur bei denen zugelangt, die - steuerbegünstigt - ihre Kinder auf der Straße verhungern lassen?

Und überhaupt, haben plötzlich alle die vollmundige EU-Rhetorik vergessen: Kampf der Korruption! Nieder mit der Steuerhinterziehung in Griechenland! Bringt endlich euren verfilzten Laden in Ordnung, gebt den Steuersündern keine Chance! Glaubt bloß nicht, ihr könnt von uns Hilfe erwarten, bevor ihr euren maroden Steuerapparat nicht an die korrekten deutschen, eh, nordeuropäischen Standards angepasst habt!

War das alles nur Propaganda? Falls ja, hat sie perfekt funktioniert. Mittlerweile kommt sich jeder x-beliebige Depp an jeder x-beliebigen deutschen Straßenecke als etwas Besseres vor, wirft sich in die Brust wie King Louis und findet keine Leiter, die lang genug wäre, um ihm von seinem hohen Ross herunterzuhelfen: Zahlt erst mal eure Steuern, ihr da unten, vorher läuft gar nichts und schon gleich gar nicht mit unserem Geld! Jawohl, unserem Steuergeld!

Eigentlich sind sich alle einig: Die Griechen sollen gefälligst ihre Steuern zahlen. Alle ziehen am gleichen Strang, aber - Gott behüte! - nicht am selben. Wehe, es kommt einer und zieht am gleichen Strang, kommt aber vom politischen Katzentisch und heißt Syriza.
George Stathakis, kürzlich gewählter Syriza-Parlamentarier und Wirtschaftsprofessor an der Universität Kreta, erklärte gegenüber dem EUobserver, die Oppositionspartei werde versuchen, die Steuererleichterungen für griechische Reedereien einzudämmen.

Er sagte, diese Maßnahmen würden pro Jahr Einnahmen zwischen 700 Millionen und einer Milliarde Euro generieren und außerdem helfen, den Steuersektor aufzuräumen.

Den etwa 50 griechischen Familien im Reederei-Geschäft gehört eines von fünf Großfrachtschiffen in der gesamten europäischen Flotte.

Ihr Vermögen ist schwierig zu schätzen, weil sie in andere Märkte diversifiziert haben und viele von ihnen in Steuerparadiesen wie der Schweiz oder United Kingdom leben. Allerdings haben sie allein im Jahr 2010 15 Milliarden unversteuertes Einkommen nach Griechenland rückgeführt.
Ist das nicht Musik in den Ohren aller, die schon immer sagten, Griechenlands Augiasstall gehöre endlich ausgemistet und die Gürtel aller - wirklich aller! - enger geschnallt? Falsch. Sie sagten es, meinten es aber ganz anders. Sie meinten es erstens so, wie der EUobserver seinen Artikel überschreibt:
No EU austerity for Greek super-rich
- und zweitens so, wie wir es schon immer ahnten, aber erst wussten, nachdem sich Syriza in der Sache zu Wort gemeldet hat: Wenn zwei das Gleiche sagen, meinen sie Grundverschiedenes. Und machen dies der Gegenseite unmissverständlich klar:
Brüssel - Die griechische linksgerichtete Partei Syriza wird in keiner Form irgendeine Unterstützung seitens der EU erhalten bei ihrem Bemühen, die Reeder dazu zu bewegen, mehr Steuern zu zahlen.
Wäre ja noch schöner! Diese linken Wadenbeißer von Syriza bei etwas zu unterstützen, dessen man sich selbst per Lippenbekenntnis gerade entledigt hat? Wo kämen wir da hin? Auf die griechische Luxusyacht. Wie der griechische Geldwäsche-Experte Michel Koutouzis bemerkt, unterhalten die Magnaten der griechischen Reedereien engste Beziehungen zu jenen EU-Spitzenpolitikern, ...
Der reichste von ihnen, Spiros Latsis, verursachte im Jahr 2005 einige Aufregung, als EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso auf seiner Yacht Urlaub machte, just zur selben Zeit, als er (Barroso) mit der Überwachung einer EU-Entscheidung bezüglich Reederei-Kartellen beauftragt war.
... die der Korruption und der Steuerhinterziehung den Kampf angesagt haben.

Alles dummes Zeug, kommentierte die EU-Kommission, das sei doch "nur eine alte Männerfreundschaft", das Ding zwischen Barroso und Latsis. Außerdem, wie könne man nur so kleinkariert sein und eine sieben Jahre alte Männerfreundschaftsgeschichte aufwärmen, eine Geschichte, so alt, dass sich beim besten Willen keiner mehr an die letzte Begegnung der beiden Kreuzfahrer erinnern könne, also bitte, was sollen solche Albernheiten:
Auf die Frage des EUobserver, wann die beiden Männer sich zum letzten Mal getroffen hätten, antwortete der Sprecher von Barroso: "Ehrlich, keine Ahnung. Es fällt mir schwer zu erkennen, welche Relevanz eine sieben Jahre alte Geschichte haben soll hinsichtlich der griechischen Reedereien von heute."
Alte Geschichten, olle Kamellen, alles verjährt. Wenden wir uns also den weniger irrelevanten und aktuelleren Dingen zu. Dingen, die sogar die EU-Kommission für relevant genug hält, um sie zu erwähnen:
Laut der Europäischen Kommission leben in Griechenland zwei Drittel der Bevölkerung mit Einkommen unterhalb der offiziellen Armutsgrenze.

Was das Thema der Obdachlosen betrifft, beschreibt die Kommission die Situation in Griechenland in den düstersten Farben. Wie in dem (Quartals-)Bericht betont wird, nahm in Griechenland 2011 die Anzahl der Obdachlosen im Verhältnis zu 2009 um 25 Prozent zu.
War noch was? Irgendwelche Maßnahmen in Sicht, um der Armut und der Obdachlosigkeit beizukommen? Aber klar doch. Nee, nicht was Sie jetzt denken, reiche Reeder besteuern oder ähnlichen relevanzfreien Humbug. Viel besser:
Schließlich führt die Kommission an, dass im zweiten Halbjahr 2012 in Griechenland eine Kürzung der Sozialausgaben um 18 Prozent erwartet wird.
Da lacht die EU-Yacht. Und draußen, vor den Toren, freuen sich die Investoren.

3 Kommentare:

  1. Nicht nur die Anzahl der Obdachlosen nahm in Griechenland im Jahr 2011 um 25 Prozent zu, sondern auch die Anzahl der Suizide: um 25 Prozent im Jahr 2011 in Athen.

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  2. ...es wird ganz einfach Zeit, dass die Bevölkerung mittels Selbstjustiz gegen die korupten Subjekte in Politik und Wirtschaft vorgeht....

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    1. Falsch. Es wird Zeit, dass Leute ihr Hirn einschalten, bevor sie anonym solchen Hohlstoff ausdünsten.

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