Sonntag, 3. Juni 2012

Der Truthahn kurz vor Weihnachten


Eigentlich wäre alles ganz einfach gewesen.

Eigentlich ist den Iren das Neinsagen sehr leicht gemacht worden - das Nein zum europäischen Fiskalpakt. Eigentlich sind die Iren sogar ermutigt worden zum Neinsagen. Ermutigt von den jüngsten harschen Auftritten selbsternannter Eurovertreter, allen voran IMF-Lagarde mit ihren unverhohlen sadistisch vorgetragenen Plädoyers, über peripher-europäische Leichen zu gehen. Ermutigt vom herrischen Befehlston jener Euro-Feldwebel, die - gegenüber Ländern wie Irland, Griechenland, Spanien - eine Vorliebe fürs Abwatschen und Abkanzeln hegen, allen voran die deutsche Kanzlerin samt Sado-Tross.

Eigentlich hätte es den Iren leicht fallen müssen, dem Fiscal Union Treaty ('FU Treaty') ein beherztes "FU" hinterherzuwerfen. Eigentlich.

Aber es hat zum Nein nicht gereicht. Dafür sorgte im Vorfeld schwerste Propaganda-Artillerie ("Ruin vs. Aufschwung") -


- und das bracchiale Ausspielen der apokalyptischen Panik-Karte (Achtung Satire, von der Realität nur schwer zu unterscheiden!):


In die Rubrik Realsatire fällt auch der Umstand, dass, erfahrungsgemäß, irische Referenden bei einem unerwünschten 'Nein'-Ergebnis die "Chance" auf eine Wiederholung bekommen (Lissabon!), nicht jedoch bei dem erwünschten, geplanten, manipulativ durchgezogenen 'Ja'-Ergebnis - schon witzig, aber nicht zum Lachen, denn wer nicht völlig im Tiefschlaf versunken ist, hat eh längst gemerkt, dass die EU-Elite nicht das geringste Interesse an "Demokratie" hat.

(Für unsanftes Aufwachen sorgt der fundierte Vortrag des irischen Europa-Parlamentariers Paul Murphy (Socialist Party/United Left Alliance) zum Fiskalpakt und seinen europaweiten Folgen. Wer dagegen auf Brechreiz am Sonntag steht, sollte sich den euphorischen Auswurf des sozialdemokratischen EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz antun.)

Das irische Volk, schreibt der Irish Left Review, sei mit einschüchternden propagandistischen Maßnahmen in den suizidalen europäischen Fiskalpakt "hineingetreten" worden; oder, wie der Volksmund sagt: Us voting for the pact is like a turkey voting for Christmas (Ein Ja zum Pakt ist, wie wenn Truthähne für Weihnachten stimmen).

Nun mögen zwar die Truthähne bei der irischen Volksabstimmung in der Mehrheit gewesen sein; gerade deshalb lohnt sich ein Blick darauf, wer sich zum Truthahn hat machen lassen und wer nicht:
Diejenigen, die am härtesten von den Austeritätsmaßnahmen - Kürzungen und Steuererhöhungen - getroffen werden, haben in großer Zahl den Fiskalpakt abgelehnt.
Aha. Es gibt also durchaus irische Menschen jenseits des Truthahn-Status, die den ganzen inszenierten Stunt durchschaut und entsprechend mit 'No' gestimmt haben. Was für Menschen waren das?
Inoffizielle Stimmenauszählungen in den reichen und armen Gebieten von Dublin und Cork, der zweitgrößten Stadt, offenbaren eine krasse klassenspezifische Kluft im irischen Wählerverhalten.
Jetzt wird's spannend.
Die mehrheitliche Zustimmung zum Fiskalpakt kamen aus solchen Wahlbezirken, wo zwischen 55 und 75 Prozent der Ja-Stimmen aus den großen mittelschichtsdominierten Vorstädten von Dublin stammten, dort, wo ein Drittel der 4,5 Millionen Iren leben.

Am massivsten war die Ablehnung des Fiskalpaktes in städtischen Arbeiterklassebezirken, wo die erdrückenden Kosten des irischen Banken-Bailout-Programmes am stärksten zu spüren sind.
Aha. Je mittelschichtiger, desto Truthahn. Essen oder gegessen werden, wen schert's?, bis Weihnachten ist schließlich noch lange hin, und solange jemand sich noch den Truthahn zu Weihnachten leisten kann, kommt er nicht so schnell auf die Idee, selber einer zu sein.

Wer sich dagegen keinen Truthahn zu Weinachten leisten kann und auch sonst nicht mehr viel zu verlieren hat, zeigt wenig Neigung, wie ein Truthahn 'Ja' zu krähen.

Sollten sich also in naher Zukunft immer weniger Truthähne einen Truthahn zu Weihnachten leisten können - wofür der europäische Fiskalpakt unter Garantie sorgen wird -, könnte endlich dem Pakt der mehrheitliche Garaus gemacht werden.

Leider wird es dann zu spät sein.

5 Kommentare:

  1. Wir sind auch bald an der Reihe, wir dürfen über das Neue Europa ™ abstimmen! Oder auch nicht, denn es reicht ja aus, wenn der Hort der auserwählten Truthähne (Parlament) seine Zustimmung gibt.
    Du hast recht, das Ganze ist nur noch eine tierische Veranstaltung, Europa ist eine riesige Animal Farm geworden.

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  2. So was von gequirlter Quark, bei jenem sagenumwobenen geheimbündlerischen Projekt *Neues Europa* scheint es sich um nichts weiter als einen Haufen - in einer großen Kiste verpackten - Nebel zu handeln. Auf gut deutsch, heiße Luft. Wichtigtuerei. Mit aller Gewalt im Gespräch bleiben wollen.

    Bin bisher noch auf kein Medium (weder MSM noch Blog oder sonstwas) gestoßen, die auf das künstlich hochgejazzte Thema angesprungen wären. War'n miserabler Köder, leider scheint es die Welt nicht zu interessieren, was die Welt da so verzapft.

    Halt doch, einer hat geschrieben: "das Ding hat mehr Löcher als ein Schweizer Käse". Passt :).

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  3. Es hat doch glatt wer auf denen ihr Geschwätz reagiert: die europäischen Finanzmärkte. Fluppten erfreut nach oben. Was zugleich die Frage beantwortet, wem zuliebe der ganze Buhei veranstaltet worden ist.

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