Samstag, 28. April 2012

Seuchenbekämpfung


Was für ein herrlicher Frühlingstag. Der Himmel nur blau und sonst gar nichts, Vögel trällern seit dem frühen Morgen, das Thermometer hat bereits vor drei Stunden die 20-Grad-Marke gerissen und mich hat's eben kreuzelend vom Hocker gerissen. Weil mir schlecht wurde, so schlecht.

Wie neulich schon kurz erwähnt:
Seit heute (Mittwoch) früh finden in Athen umfangreiche Polizeieinsätze statt. Polizeibusse mit Hunderten von Polizisten beginnen, komplette Gebäudeblocks zu blockieren und in Häuser einzudringen. Sie halten jeden fest und durchsuchen jeden, der wie ein Ausländer aussieht. Die Menschen ohne Papiere, die verhaftet wurden, werden in die neu errichteten Internierungslager abtransportiert.
Zu diesem Vorgang äußerte der griechische Minister für Zivilschutz, Michalis Chrysochoidis:
Athen wird innerhalb weniger Tage gesäubert (bzw. geräumt, im O-Ton: "will be cleared") sein. Wir müssen den öffentlichen Raum zurückerobern.
Das war am Mittwoch. Da fühlte ich mich schon leicht unpässlich. Heute ist im Detail zu lesen, welche akute Gefahr droht, wenn der öffentliche Raum nicht schleunigst zurückerobert wird:
Auch heute (27. April 2012) wurden die behördlichen Kontrollen in mit Ausländern überbelegten Athener Wohnungen mit der Begründung fortgesetzt, dass diese Seuchenherde darstellen.
Seuchenherde. Ausländer. Überbelegt. Die Assoziationsmaschinerie rattert. Flaues Gefühl im Magen.

Die festgenommenen Menschen
... wurden von den Ärzten des KELPNO ('Nationaler Träger für Ansteckungskrankheiten', war bei der Räumungsaktion anwesend) untersucht um festzustellen, ob sie an Infektions-, übertragbaren oder sonstigen Ansteckungskrankheiten leiden.
Ansteckung. Krank. Ansteckungsgefahr. Gefahr für die öffentliche Gesundheit. Wieso fühle ich mich im Magen-Darm-Trakt auf einmal so ungesund?
Wie von der Polizei bekannt gegeben wurde, werden Wohnungskontrollen in verschiedenen Gebieten Athens durch gemischte Einsatzgruppen auf alltäglicher Basis erfolgen,
Gemischte Einsatzgruppen. In verschiedenen Gebieten. Auf alltäglicher Basis. Damit ihr euch schon mal dran gewöhnt, Leute. Ist doch was ganz Normales. Mir dreht sich der Magen herum.
... während an die Bürger, welche die überzählige Unterbringung von Immigranten in Wohnungen feststellen, appelliert wird, sich telefonisch oder per SMS an die Rufnummer 100 an die Einsatzzentrale der Polizei zu wenden.
Immigranten untersuchen, räumen, verhaften. An Bürger appellieren.
Liebe Bürger, Ausländer sind keine Bürger. Falls ihr das noch nicht gemerkt habt, sagen wir euch das jetzt mit allem Nachdruck.
Bürger, wehrt euch gegen Ausländer.
Bürger, unterstützt die Polizei.
Bürger, meldet alle verdächtigen Elemente der Polizei.
Bürger, helft der Polizei, den öffentlichen Raum zurückzuerobern.
Bürger, holt euch keine ansteckenden Krankheiten bei den Ausländern.
Bürger, lasst euch anstecken von unserer Kampagne im Dienste der Volksgesundheit.

Und, Bürger, vergesst nicht: Es herrscht Wahlkampf.
Mit allen Mitteln. Auch den dreckigsten.
Macht mit beim Säubern unserer Stadt.
Wir versprechen, euch nach der Wahl fürstlich zu belohnen. Mit noch mehr Reformen. Noch mehr Einschnitten. Noch mehr Verarmung. Noch mehr Hunger. Noch mehr Elend.
Aber dafür mit weniger Ausländern.

Mann, ist mir kotzübel.


23 Kommentare:

  1. "Es herrscht Wahlkampf.
    Mit allen Mitteln. Auch den dreckigsten."


    so ist es.

    "Failos Kranidiotis, persönlicher Berater von Nea-Dimokratia-Parteichef Antonis Samaras und Parlamentskandidat in Piräus, hat eine Idee zur Lösung des Migrantenproblems, deren Ursprung in der dunklen Vergangenheit Europas liegt. Er möchte, dass alle Immigranten mit einem gut erkennbaren Mal am Körper dauerhaft gekennzeichnet werden."

    die herrschaften werden in ihren grabbelkisten wühlen und alles herausholen, was auch nur annährend erfolgversprechend aussieht, um ihre positionen nicht räumen zu müssen - und rassismus ist ein all-time-favourit dabei. wie weit das "erfolg" haben kann, hängt aber nicht unwesentlich davon ab, wer sich mit welchen inhalten auf den strassen zeigt. und in diesem sinne:

    auf in den mai!

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  2. @ mo: Ich hätte nicht gedacht, dass meine Vorhersage nun sooo bald wahr werden würde. Ich dachte ganz lange, dass das doch Satire sein müsse. Bei dem Namen Failos Kranidiotis schon! Aber offensichtlich scheint das ernst zu sein.

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  3. ...so ein Pech...die meisten deutschen Spezialisten für Säuberung sind ja schon verstorben inzwischen....

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  4. In Spanien läuft die Hatz gegen Ausländer vorerst anders. Einmal davon abgesehen, daß die Küstenwache bereits auf dem Mittelmeer und vor den kanarischen Inseln aktiv dafür sorgt, daß manche der kleinen aus Afrika kommenden Flüchtlingsboote das spanische Festland nicht erreichen, indem sie durch "Welle machen" zum kentern gebracht werden, soll im Rahmen der Kürzungen im Gesundheitswesen Immigranten ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung die Zuwendungen der Gesundheitsversorgung stark gekürzt werden.
    El País - Trato personas, no asegurados”

    [..] Semfyc, la sociedad que preside Basora, con más de 20.000 profesionales, “manifiesta su rechazo a la decisión ministerial de limitar el acceso a la sanidad a los inmigrantes ‘sin papeles”. Además, desea “advertir de los riesgos sanitarios” de dejarlos “sin el acceso a una atención continuada, ya que restringir su atención a través de las urgencias puede generar mayores gastos y dificultar el control de enfermedades”. [..]

    Warum ich das mit dem "zum Kentern bringen" behaupte? Ich war '93 auf einer Veranstaltung in Madrid auf der gegen die brutalen Machenschaften der Guardia Civil auf See und in den Immigrantengefängnissen demonstriert wurde.

    Die Kürzungen im Gesundheitswesen sind übrigens auch für die Rentner sehr unerfreulich, weil bei Hüftgelenkoperationen und Rollstühlen von (rest)staatlicher Seite gespart werden soll.

    @Frau Mop: Kennst Du die "Yayoflautas"? Das erste Video (23 min.) ist toll gemacht. iaioflautas.org
    Hier noch ein Artikel im El País über sie: Unos 50 'yayoflautas' ocupan la sede de Interior en Barcelona

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  5. @Rainer

    Das Thema Immigration aus einer ganz anderen Perspektive: Schau Dir doch mal diesen Artikel in der NY Times an:

    Arbeitslose Spanier, hauptsächlich aus dem Ingenieur(!)bereich, immigieren nach Deutschland, wo sie mit Handkuss genommen und umworben werden. Was sagst Du dazu?

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    1. Das ist schon möglich. Im El País gab es immer wieder Artikel dazu. Ich habe aber bisher keine Vergleichszahlen zu früheren Jahren gefunden, die zeigen, ob der Zuzug von Spaniern sich stark erhöht hätte.
      Die andere Seite ist, daß ich immer wieder hörte, daß auch große Firmen wie Siemens, ABB oder Bosch praktisch Einstellungsstopp verfügt haben und die Stellenvergabe über das Vitamin B der Familienzugehörigkeit funktioniert.
      Wie das bei kleinen Firmen aussieht, weiß ich nicht.
      Die Spanier, die ich hier selbst kenne, sind schon vor einigen Jahren hierher gekommen und bekommen wenigtens einigermaßen vernünftige Löhne. Aber gegenüber den selbst nach fünf Jahren Berufserfahrung gezahlten 1200-1400€ brutto in Madrid, Barcelona oder Bilbao, wo die Miete für eine kleine Bude schon um die 1000€ betragen kann, ist wohl alles besser.
      Ob die aktuellen Zuwanderer zuerst Zeitverträge erhalten, geht aus dem Artikel der nyt auch nicht hervor.
      Ich hatte mal vor einiger Zeit auf 'spaniards.es' ein bißchen geschmökert und dabei festgestellt, daß einige mit einer Ingenieursausbildung hier in Deutschland arbeitslos geworden waren und deshalb erwogen, wieder in ihr Land zurückzukehren.
      Ich denke, daß sich die Gesamtzahlen vor allem deswegen in einem überschaubaren Rahmen bewegen, weil das Erlernen der deutschen Sprache eine große Hürde darstellt.

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    2. in dem zusammenhang aus der "faz":

      Vom Biochemiker zum Au-pair

      (bei der "eingekehrten ruhe" scheint der wunsch der vater des gedankens zu sein, wenn man sich die aktuellen news von heute aus spanien betrachtet - ganz zu schweigen von den nächsten tagen).

      wir hatten die woche im rahmen von edj ein kleines informelles treffen mit einem jungen griechischen paar, welches gerne hier in d-land bleiben möchte - grund ist die völlige perspektivlosigkeit. sie haben eine menge erzählt, was ich teils schon wusste, teils aber auch unbekannt war. letzteres galt auch für die info, dass ein job mit einem monatseinkommen von 200 € dort inzwischen als gut gilt und entsprechend begehrt ist. so geht klassenkampf heute, wenn auch nur von einer seite...

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  6. Vom Biochemiker zum Au-pair:

    "Wenn ich hier in Deutschland jemanden kennenlerne, dann vermeide ich das Thema erst einmal. Ein bisschen habe ich mich am Anfang geschämt."

    Diese Scham in Deutschland wegen einer "Arbeit unter Ihrer Würde", ich kann ein Lied davon singen...

    "Meine Gastfamilie kann aber schnell Ersatz bekommen, glaube ich, sogar massenweise spanische Akademiker. ...Rechtsanwälte, Architekten, Ingenieure darunter."

    Bienvenidos im deutschen akademischen Prekariat! Vielleicht kommen wir endlich mal auf die Idee, uns als Europäer zusammenzuschließen statt die "lohndrückenden" Immigranten als Konkurrenten zu betrachten, die den Deutschen die Billigjobs wegnehmen. "so geht klassenkampf heute, wenn auch nur von einer seite." Eben. Auch im europäischen Maßstab.

    Übrigens selten dämliche, unbedarfte Fragen, die der Interviewer dem Spanier stellt:

    "Finden Sie, dass das Schicksal es schlecht meint mit Ihrer Generation?"

    Das Schicksal. Na klar. Genau wie die Finanzkrise, die ja bekanntlich als Naturgewalt, einem unberechenbaren Tsunami vergleichbar, über uns gekommen ist. Handelt sich bestimmt auch um irgendein höheres Schicksal.

    "Von Ferne sieht es so aus, als nähmen die jungen Spanier die Misere mit Gleichmut hin und feierten fröhlich weiter. Warum gibt es keine Revolution?"

    Von Ferne kann ein gutdotierter FAZ-Schreiber es sich leisten, mit Tomaten auf den Augen daherzupalavern. Obwohl, vielleicht bezieht er ein höchst prekäres Zeilenhonorar? Ist am Ende gar selbst akademischer Prekarier? Na ja, solange er für wenig Honorar für die honorige FAZ schreiben darf, besteht kein Grund zur Scham. (Sarkasmus-Modus Ende)

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    1. Statt unter 'Wirtschaft' wäre der Artikel besser bei 'Fragen Sie Frau Annette' oder ähnlichem aufgehoben.
      Der Tenor ist wohl der, daß ein jeder, sodenn er nur gewillt ist, eine Chance erhält und den Anschluß nicht verpaßt.
      Bei solchen Artikel würde es mich nicht wundern, wenn die Person und die gesamte Story um diese herum frei erfunden wären oder wie das heute kürzer heißt: @FAZ:OMGWTF#Fail.

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    2. Muss doch noch mal darauf zurückkommen:

      "Von Ferne sieht es so aus, als nähmen die jungen Spanier die Misere mit Gleichmut hin und feierten fröhlich weiter. Warum gibt es keine Revolution?"

      Zehntausende Spanier waren gestern auf der Straße, in Barcelona, Valencia, Bilbao. Nicht um gleichmütig weiterzufeiern, sondern um Rajoy die Faust zu zeigen gegen seine martialischen Kürzungen in Bildung und Gesundheit.

      Stand etwas darüber in der FAZ? Och nö.

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    1. Bei Reuters gibt es eine phantastische interaktive Grafik über die Rezession in Echtzeit in ganz Europa: Spanien, Griechenland, Portugal, Italien, Irland, England, Holland, Belgien, Dänemark, Tschechien, Slowenien.

      Ruhig auch mal auf das angeblich so stabile Deutschland klicken. Ist zwar noch nicht im roten Bereich, aber die linke (interaktive) Grafik spricht Bände. Have fun.

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  8. Ich habe jetzt doch mal ein bißchen gewühlt, was die Entwicklung der Auswanderungszahlen in Spanien anbelangt.
    Auf La emigración desde España, una migración de retorno steht folgendes:

    La gran mayoría de los que emigran desde España son migrantes que retornan a su país de origen.

    Die große Mehrheit derer die aus Spanien auswandern sind Immigranten, die in ihre Herkunftsländer zurückkehren.

    Nach Deutschland sind 2010 etwas mehr als 2.000 gebürtige Spanier ausgewandert. Die Grafiken sprechen für sich.
    Die 'autóctonos' sind die gebürtigen Spanier. Wie man sieht sind die Zahlen sehr gering, haben sich aber seit 2004 mehr als verdoppelt.
    Man kann also getrost alle heimeligen Geschichten wie die in der faz als Berichte von Einzelschicksalen einordnen.
    Eine Auswanderungswelle wie zu Zeiten der franquismo als über eine Million Menschen das Land verließen, gibt es beileibe nicht.

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    1. "Die große Mehrheit derer die aus Spanien auswandern sind Immigranten, die in ihre Herkunftsländer zurückkehren."

      Soweit ich das dem verlinkten Artikel entnehmen kann, ist das erst mal nur eine Behauptung, die von keiner der Grafiken gestützt wird, weil es keine Grafiken/Zahlen über rückkehrende spanische Arbeitsemigranten der letzten Jahre gibt. (Hab allerdings nicht den kompletten Text gelesen.)

      Aber egal, mal empirische Butter bei die Fische:
      Die nach Deutschland Emigrierten der 60er/70er hatten damals überwiegend auch keine Absicht, hier dauerhaft zu bleiben, blieben aber großteils dennoch. Weil sie zwischenzeitlich ihre Perspektive geändert haben bzw. sich ihre Perspektive auf Rückkehr ins Herkunftsland geändert hat.

      Wenn also jetzige Emigranten aus Spanien subjektiv ihre Perspektive äußern, wieder ins Herkunftsland zurückkehren zu wollen, dann bleibt mit Sicherheit abzuwarten, ob und wie sich die objektive Perspektive im Herkunftsland ändern wird. Schließlich emigrieren sie ja unter dem Vorzeichen von Krise und desaströser Wirtschaft/Arbeitslosigkeit. Und irgendwie sieht es absolut nicht danach aus, als ob sich an dieser objektiven Perspektive in den nächsten Jahren/Jahrzehnten etwas ändern wird. (Außer dass diese Perspektive sich höchstwahrscheinlich doch verändern, nämlich noch mehr verschlechtern wird.) Warum also sollten sie in absehbarer Zeit zurückkehren wollen? Selbst wenn sie zum jetzigen Zeitpunkt sagen, dass sie gern zurückkehren würden?

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    2. De facto wurde Südamerikanern vor einigen Jahren Geld angeboten, damit sie Spanien verlassen.
      Ich dachte aber, es ginge dir hier um die Frage, ob massenhaft Spanier nach Deutschland kämen, um hier zu arbeiten.
      Diese muß eindeutig mit 'Nein' beantwortet werden. Refenziert wird in dem Artikel auf 'EURES', also den europäischen Zusammenschluß der Landesarbeitsämter.
      Die sollten wohl über die Mobilitätszahlen verfügen.

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    3. Hier ist noch ein kurzer Artikel: Think Spain - Spanish emigration to Germany on the rise

      The number of Spanish citizens living in Germany increased by 4.5% in 2011 making a total of 4,792 people, according to the German Federal Office of Statistics (Destatis).

      Ansonsten hast Du natürlich recht mit deiner Bemängelung der Quellen. Ich wollte aber keine Seminararbeit darüber abliefern, sondern mich selbst davon vergewissern, daß die Zahlen niedrig sind. :-))

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    4. "Ich dachte aber, es ginge dir hier um die Frage, ob massenhaft Spanier nach Deutschland kämen, um hier zu arbeiten."

      Nein, ich fragte weder nach "massenhaft" noch nach "einer Auswanderungswelle wie zu Zeiten des franquismo", sondern danach, was ein Fachmann (Ingenieur) dazu sagt, dass in Deutschland plötzlich händeringend spanische Ingenieure gesucht werden? Der Mär vom "Fachkräftemangel" bin ich bislang noch nicht aufgesessen, habe aber schon von Zehntausenden arbeitslosen Ingenieuren in D gehört und weiß definitiv, dass viele von denen am Taxistand anzutreffen sind. Nicht als Fahrgast, sondern als Fahrer.

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    5. Ach so, das habe ich dann allerdings anders verstanden. Nein, da habe ich keinen wirklichen Überblick, halte aber den Fachkräftemangel auch für eine gepflegte Mär, solange es arbeitslose Ingenieure gibt.

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