Sonntag, 1. April 2012

Bürger ohne Bürgersteig


1. April 2012. Gerade ein bisschen im Internet rumgelesen. Festgestellt, dass es heutzutage immer schwieriger wird zu unterscheiden, ob man einem Aprilscherz aufsitzt oder einfach nur eine der normal gewordenen Absurditäten vorgesetzt bekommt.

Natürlich dachte ich sofort an einen schlechten Aprilscherz, als ich las, die britische Regierung habe - als Teil ihrer jüngsten Reformbemühungen - angekündigt, alle Bürgersteige des Landes zu entfernen.
Auf seiner wöchentlichen Pressekonferenz sagte David Cameron zu Journalisten,

"Ich kann zwar die sentimentale Bindung verstehen, die viele Leute zu Bürgersteigen haben, aber wir müssen uns nun mal den Tatsachen stellen. Die Welt hat sich verändert, wir leben in einer Zeit, wo wir mehr denn je von unseren Autos abhängen; daher kann sich das Land nicht länger leisten, den Zugang zu öffentlichen Straßen zu beschränken."
Verständlich. All diese verkehrsbehindernden Bürgersteige machen den Autofahrern das Leben immer schwerer. Deshalb will der britische Premier sämtliche städtischen Trottoirs aufbuddeln und mit schön glattem Asphalt ersetzen, damit dem Autoverkehr endlich die volle Breite der Straße zugute kommt.

Es sei höchste Zeit, so ein Sprecher des britischen Pendlerverbandes, das Straßensystem fit zu machen fürs 21. Jahrhundert. Die Bürgersteig-Abrissarbeiten seien ohnehin längst überfällig, denn:
"Ich meine, wer geht denn überhaupt noch zu Fuß heutzutage? Okay, mal abgesehen von ein paar armen Leuten."
An der Stelle zog ich zum ersten Mal die mutmaßliche aprilscherzige Komponente in Zweifel und dachte: Könnte ja was dran sein, oder? Zumal beim Weiterlesen deutlich wurde, dass der - nur schwachen Widerstand leistenden (es ist überall dasselbe) - Oppositionspartei Labor vorgeworfen wurde, sie lasse sich von der organisierten Fußgängerlobby massiv unter Druck setzen. Erpressung durch Lobbyisten? Damit macht man keine Scherze!

Ein paar ewiggestrige Bedenkenträger hatten sich betroffen geäußert, durch den flächendeckenden Trottoir-Abriss könnte möglicherweise den wenigen verbliebenen Fußgängern eine gewisse Lebensgefahr drohen; dramatisierende Schwarzmalereien, die vom Verkehrsministerium prompt als gegenstandslos vom Tisch gefegt wurden:
"Es gibt überhaupt keinen Grund zu befürchten, dass zwei Tonnen schwere Metallbrocken mit 30 kmh Fahrgeschwindigkeit - ohne Barriere zwischen ihnen und diesen matschig-zerbrechlichen Fußgängern - irgendeine Gefahr darstellen könnten. Gegenteiliges zu behaupten ist nichts als absurde Panikmache."
Das ist wunderschön Orwell-mäßig - nachgerade realistisch - ausgedrückt und kann sich schon deshalb um keinen Aprilscherz handeln.

Außerdem, dachte ich, sind Fußgänger ja hartgesottene, weil leidgeprüfte, und darum wehrhafte Bürger und werden sich schon irgendwie zu helfen wissen, wenn ihnen ihr Recht auf einen Bürgersteig streitig gemacht wird. Wenn also der Bürgersteig zur Straße gemacht wird, müssen die Bürger halt in Gottes Namen die Straße zum Bürgersteig machen:


Mit 'Druck der Straße' hat dies übrigens absolut nichts zu tun.
Kein Aprilscherz.

1 Kommentar:

  1. Ich finde das sehr sinnvoll. Wenn die Leute sich unentwegt in ihren Fahrzeugen aufhalten, dann würde sich auch binnen kurzem die desolate Situation mit den zu teuren Mietwohnungen in London City entspannen.
    Thumbs up, David!

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