Donnerstag, 9. Mai 2013

Problemgruppe auf Rädern


Problemgruppen heißen so, weil sie Probleme machen. Wer Probleme macht, macht sich nicht besonders beliebt und gehört deshalb bestraft. Nachdem hoffnungsvolle Ansätze der Problemlösung - etwa Umerziehung mit starken Strafreizen - bereits existieren für die Problemgruppe arme Kinder, oder Kinder armer Eltern, wird es Zeit, sich einer weiteren Problemgruppe zuzuwenden.

Da wäre beispielsweise die Problemgruppe alte Menschen. Gelten alte Menschen per se als Problemgruppe? Na ja, potentiell schon, spätestens seit sich das Mantra Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen auf breiter Ebene konsensual durchgesetzt hat und alte Menschen nun mal irgendwann zum Arbeiten zu alt und darum nur noch ökonomisch nutzlose Fresser sind. Okay, okay, wollen wir mal nicht so sein, schränken wir das Problemgruppenpotential wohlwollend ein und sagen: Solange alte Menschen imstande sind, ihr Essen aus eigener Kraft zu finanzieren und zuzubereiten, drücken wir ein Auge zu. Weil, die fallen ja niemandem groß zur Last, trotz verminderter ökonomischer Nutzenstiftung, sind also allenfalls als Problemgruppe zweiter Ordnung anzusehen.

Dagegen verursacht die Problemgruppe arme alte Menschen Probleme ungeahnten Ausmaßes. Die wollen essen und nichts dafür tun! Genau wie ihre Problemkollegen am anderen Ende der demographischen Skala, nur dass die armen Kinder viel leichter in den Zwangsgriff zu bekommen sind als die armen Alten. Ein echtes Problem. Wie soll man arme alte Leute bestrafen? Geht ja irgendwie nicht, weil, wie sieht das denn aus. Ein Aufschrei der rührseligen Öffentlichkeit wäre womöglich die Folge. Also, lieber nicht bestrafen. Andererseits, es muss etwas geschehen. Denn so kann es nicht weitergehen. Schließlich ist die Problemgruppe arme alte Menschen explosionsartig am Wachsen und im Begriff, unserer tüchtigen Leistungsgesellschaft die letzten Haare vom Kopf zu fressen.

Nun hat der amerikanische Kongress eine geniale Problemlösungsstrategie aus der Tasche gezogen und auch gleich ganz schnell verabschiedet. Auf die Frage: Wie lässt sich ein Problem lösen? hat er die einzig durchschlagende Antwort gefunden: indem das Problem abgeschafft wird. Mit anderen Worten: indem die Problemgruppenangehörigen abgeschafft werden. Im Falle der problematischen armen alten Menschen geht das ganz einfach und noch dazu schön unauffällig, sodass keiner etwas mitkriegt und sich niemand echauffieren muss über drakonische Sparmaßnahmen, die wie üblich die Falschen treffen:  Man will die armen alten Menschen einfach aushungern.

Dazu wird zweckmäßigerweise der Hebel an Sozialprogrammen angesetzt. Essen auf Rädern? Viel zu teuer. Was hocken die auch alle zuhause herum - arm, alt, gebrechlich, gehbehindert - und warten gierig auf warme Mahlzeiten, Lieferung frei Haus, ohne die geringste Gegenleistung? Das kann so nicht weitergehen. Rabiates Kürzen der Zuschüsse ist das Mittel der Wahl. Im Einzelfall werden dann halt - statt bislang 1.500 - pro Tag 200 Mahlzeiten weniger ausgeliefert. Und ab 1. Mai die Zahl der Bedürftigen mit Anspruch auf Essenslieferung "eingefroren". Hungry, anybody? Pech gehabt. Dumm gelaufen.
Für euch. Wir müssen sparen, you know. An euch, you know.

Drum setzen wir euch alte, arme, nutzlose Fresser jetzt hübsch auf strenge Diät. Alles weitere erledigt sich von selbst. Passiert ja alles hinter verschlossenen Türen. Bei euch zuhause. Statt euch das Essen auf Rädern in die Wohnung reinzurollen, rollen wir euch in Kürze auf Rädern aus eurer Wohnung raus. Mit den Füßen voraus, wie man so schön sagt. Ist ja ganz normal, dass alte Menschen irgendwann mal sterben. Denkt sich keiner was dabei.

Außer uns: geschafft, wieder eine Problemgruppe weniger.


2 Kommentare:

  1. Es gab zum angeblichen Rentnerproblem mal diesen Kalauer: "Seit 1. Mai 2013 dürfen deutsche Rentner bei ROT über die Fussgängerampel gehen. Ab 1. Juli 2013 müssen sie bei ROT über die Fussgängeampel gehen."

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  2. Wie sagte Herr Maucher bereits 1997 so treffend? „Wir haben einen gewissen Prozentsatz an Wohlstandsmüll in unserer Gesellschaft. Leute, die entweder keinen Antrieb haben, halb krank oder müde sind, die das System einfach ausnutzen.“
    Und was macht man mit Müll, damit nicht das ganze Haus zu stinken anfängt?
    Eben.
    Alternativ dazu: Soylent Green.

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