Montag, 25. April 2011

Aus zweiter Hand


Die Vergutscheinisierung des prekären Lebens macht gewaltige Fortschritte. Amerika hat dabei wieder mal die Nase vorn: Während hierzulande noch über Bildungsgutscheine für Arme debattiert wird, ist man drüben einen Schritt weiter (via angryblacklady).

Ein republikanischer Abgeordneter des Staates Michigan namens Bruce Caswell zeigte viel Fingerspitzengefühl und obendrein Sinn fürs Visionäre, indem er einen Haushaltsentwurf vorlegte, nach dem Pflegekinder künftig nur noch in Second-Hand-Klamottenläden (zum Beispiel jenen der sogenannten Heilsarmee) eingekleidet werden sollen.

Um zu verhindern, dass staatliche Bekleidungszuschüsse in teuren Modegeschäften (wie zum Beispiel Walmart oder H&M) verprasst werden, ist die Ausgabe von Bekleidungsgutscheinen geplant, die ausschließlich in Second-Hand-Läden einzulösen sind - endlich der angemessene Lifestyle für solche Kinder, die oft als zweitklassig betrachtet werden.

Sage niemand, die Sparmaßnahme des konservativen Politikers habe keinen erzieherischen Wert: Sollte der lokale Second-Hand-Laden gerade keine abgelaufenen Kinderschuhe in passender Größe im Sortiment führen - bitte, Thrift-Stores sind schließlich keine Luxuskaufhäuser -, geht das Kind eben barfuß zur Schule. Jawohl, geht, denn Busfahren verweichlicht und ist außerdem viel zu teuer.

Überhaupt, Stichwort abgelaufen. Visionär an dem Plan des republikanischen Sparbrötchens ist ja, dass das Secondhand-Prinzip beliebig ausgeweitet und auf andere Bereiche des täglichen Grundbedarfs angewendet werden kann. Zum Beispiel abgelaufenes Essen, warum ist da bisher noch keiner draufgekommen! Alle zwei Tage ein Gutschein für drei Tage altes Brot, das macht das Kind satt und hält seine Zähne gesund. Na gut, vielleicht noch einen Gutschein für zwei zerbeulte Konservendosen, wir wollen nicht kleinlich sein. Fleisch dagegen kommt höchstens einmal die Woche auf den Tisch, da tun es ein paar Lebensmittelmarken für anderweitig nicht mehr absetzbares Gammelfleisch.

Unbestätigten Gerüchten zufolge wird der Abgeordnete in Bälde einen neuen, diesmal bahnbrechenden Coup aus dem Ärmel ziehen: Um das kostensparende Secondhand-Versorgungsmodell zu optimieren, soll es künftig armen Familien erlaubt sein, sich ausschließlich dem - eigentlich illegalen - Dumpster Diving ("Containern") hinzugeben; selbstverständlich unter strenger staatlicher Kontrolle. Und nur gegen Vorlage eines Berechtigungsgutscheins.

4 Kommentare:

  1. Aktive Prekarisierung kennt keine Grenzen (schon gar nicht im Land der unbgerenzten Möglichkeiten).

    // Geht kopfschüttelnd ab.

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  2. Unter druebe habbe "mir" damals was anderes Verstande.
    Gruss Kaychen

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  3. Elend, das.

    Was mich mehr ängstigt ist das Potenzial, welches solchen sozialfaschistischen Ideen innewohnt. Man könnte ja wirklich mal schätzen, wie lange es braucht, bis hier ein c-prominenter Hinterbänkler mit solchen Dingen ins Rampenlicht tritt.

    Unstrittig dürfte aber sein, dass die meisten Befürworter nicht allzu lange für die Generalentschuldigung brauchen werden: „Man wird doch noch mal sagen/denken dürfen, dass...“.

    Elend, das. Immer noch.

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  4. Interessanterweise hat der Typ wörtlich hinzugefügt (habe ich jetzt erst gelesen), dass seine Gutschein-Idee keinerlei Spareffekt für den Staat Michigan haben würde.

    Wenn er sich diesen Hirnriss also - erklärtermaßen - nicht als Sparmaßnahme ausgedacht hat, als was denn dann? Richtig, als Erniedrigungsmaßnahme. Immer druff auf diejenigen, die eh schon ausgegrenzt werden.

    Na ja. Vielleicht wird der Kerl ja auch von der Heilsarmee gesponsert. Oder bestochen. Man weiß es nie.

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