Sonntagnachmittag. Ich gucke zum Fenster raus, was auf der Straße so los ist. Nichts Besonderes. Ist ja Sonntagnachmittag.
Mein Blick wandert zum gegenüberliegenden Haus. Vier Stockwerke, Balkone zur Straße. Auf dem obersten Balkon steht eine rundliche ältere Frau mit grauem Kopftuch. Nichts Besonderes. Ohren, Schläfen und Hals sind vom Kopftuch bedeckt. Auch nichts Besonderes.
Die Frau lehnt sich an das Balkongeländer, blinzelt behaglich der Sonne entgegen und raucht eine Zigarette. Nichts Besonderes, sage ich mir, finde jedoch gleichzeitig, dass das schon ein besonderer Anblick ist, irgendwie, weshalb ich mich in den Anblick vertiefe und es zumindest bemerkenswert finde, dass die rundliche ältere Frau mit Kopftuch nicht etwa pafft, sondern genüsslich inhaliert und den ausgestoßenen Rauchwölkchen mit einem Ausdruck tiefen Wohlbehagens hinterherschaut.
Nach einer Weile bewegen sich die knallbunten Strippen der offenen Balkontür, ein rundlicher älterer Mann mit Schnauzbart tritt auf den Balkon und stellt sich neben die Frau ans Geländer. Beide blinzeln behaglich in die Sonne und schweigen. Dann dreht der Mann den Kopf zur Frau und schaut sie an, die Frau dreht den Kopftuchkopf zum Mann und schaut ihn an. Wortlos überreicht sie ihm die brennende Zigarette.
Während der Mann genüsslich inhaliert, schauen beide versonnen den Rauchwölkchen hinterher. Kurz darauf überreicht er der Frau wortlos die brennende Zigarette.
Gaffenderweise denke ich: Das ist jetzt aber wirklich etwas Besonderes!, und frage mich, ob meine Vorstellungswelt bezüglich älterer Menschen - ob mit oder ohne Kopftuch oder Schnauzbart - vielleicht etwas zu stereotyp ist? Schließlich pflege ich auch eine gewisse Abneigung gegen das Stereotyp des spießigen Fenstergaffers und betätige mich gerade selbst hingebungsvoll als solcher.
Wie ich so gaffe und vor mich hin denke, sagt der Mann etwas zu der Frau. Es muss etwas Lustiges gewesen sein, denn beide fangen an zu lachen, so sehr, dass sie sich am Balkongeländer festhalten müssen. Sie können gar nicht mehr aufhören zu lachen. Die Frau krümmt sich vor Vergnügen, der Mann haut ausgelassen aufs Geländer. Die Zigarette wandert weiterhin vom einen zum andern.
Ich gucke und gaffe und habe keine Ahnung, worüber die beiden lachen, habe auch weder eine Zigarette noch sonst etwas geraucht, muss aber bei dem Anblick so lachen, dass mein Bauch anfängt wehzutun. Zur Erleichterung stütze ich meinen Kopf in beide Hände und gluckse unkontrolliert übers Fensterbrett.
Grinsend und mit ausgestrecktem Finger zeigt der schnauzbärtige Mann auf die glucksende Frau aus dem gegenüberliegenden Fenster; die Frau mit dem Kopftuch schaut dem Finger nach und beginnt erneut zu kichern. Der Mann sagt etwas, sie kichert noch mehr. Die glucksende Frau gluckst noch mehr. Der Mann haut aufs Geländer. Der Sonntagnachmittag ist gerettet.
Obwohl eigentlich gar nichts Besonderes war.
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