Mittwoch, 25. April 2012

Demokratie im Risikomanagement


Ach, die Finanzmärkte. Was täten wir bloß ohne die Finanzmärkte? Das Leben wäre stinklangweilig. Es wäre ein langer, ruhiger Fluss, unterbrochen nur von hier und dort mal zur Wahl gehen, so alle vier Jahre im Schnitt. Das würden wir dann Demokratie nennen. Zum Gähnen langweilig!

Gut, dass wir die Finanzmärkte haben. Die bringen ein wenig Kitzel in das reizarme demokratische Einerlei: ein wenig Nervosität hier, ein bisschen Panik da, eine angemessene Dosis Beunruhigung - und schon fängt die Demokratie an zu schlottern. Schließlich hat man ihr jahrelang eingebleut, gefälligst marktkonform zu funktionieren, und irgendwie hat sie das ja auch so leidlich hingekriegt, im Großen und Ganzen; und sobald das Ding mit der Marktkonformität nicht so recht auf Wunsch klappen wollte, haben die Finanzmärkte interveniert, den Politikern ihre Beunruhigung signalisiert, die Politiker haben dem Wahlvolk die Beunruhigung der Finanzmärkte signalisiert und alles war wieder in marktkonformer Butter. Diese routinemäßig durchgezogene Show wird Ihnen präsentiert vom inoffiziellen Ministerium für Propaganda, Angst- und Panikmache.

... an den Finanzmärkten hat man eine neue Gefahr ausgemacht: die Demokratie. "Die Wahlen in Frankreich und Griechenland wie auch die Volksbefragung in Irland", so Elge Bartsch von der US-Investmentbank Morgan Stanley, "lösen Sorgen bei den Investoren, Unternehmen und Konsumenten aus."
Irre, oder? Jetzt werden bereits "die Konsumenten" in Stellung gebracht gegen "die Wähler" und "das befragte Volk". Und ich Schnarchnase dachte die ganze Zeit, das wählende oder befragte Volk bestünde - unter anderem - aus Konsumenten, auch wenn diesen Konsumenten das Geld und damit die Lust am Konsumieren immer mehr abhanden kommt, weshalb die Konsumenten ja so wählen, wie sie wählen, und so antworten, wie sie antworten, wenn sie denn befragt werden. Aber egal. Hauptsache, ordentlich Angst schüren. Wird schon was hängenbleiben in den verbohrten Wählerhirnen, wenn sie statt in die Einkaufsmeile an die Wahlurne schreiten.

Zurück zu den übersensiblen, nervösen Finanzmärkten. Statt ihnen den wohlverdienten langen, ruhigen Fluss ihrer Spekulationsgeschäfte zu gönnen, kommt ihnen dauernd diese lästige Demokratie in die Quere:
Das Volk wird zum Störfaktor

In regelmäßigen Abständen, so verlangen es die demokratischen Spielregeln, können die Krisenopfer in Wahlen über die (von den Finanzmärkten geforderten und von den Politikern verhängten Austeritäts-, vulgo: Verarmungs-)Maßnahmen abstimmen - und sie ablehnen. Diese Möglichkeit schafft Unsicherheit an den Finanzmärkten.
Sage keiner, dagegen sei kein Kraut gewachsen.
Daher hat die Politik in den vergangenen Monaten viel unternommen, um den Wählerwillen zu neutralisieren.
(Wer dafür - aus dem prallen undemokratischen Leben gegriffene - Beispiele sucht, findet sie hier.)
Aktuelles Beispiel Griechenland:
Anfang Mai wählen die Griechen ein neues Parlament. Um das Sparprogramm gegen den Wählerwillen zu immunisieren, mussten die voraussichtlichen Sieger - die Parteien Pasok und Nea Demokratie - sich bereits vorab verpflichten, den Reformkurs fortzusetzen.
Diese prophylaktische Zwangsverpflichtung dürfte die wählenden Krisenopfer einigermaßen beunruhigen, dient aber einem übergeordneten, die Mittel heiligenden Zweck, nämlich der demokratieresistenten Beruhigung der Finanzmärkte:
"Finanzmärkte wollen eine einige und starke Führung", erklärt Großinvestor George Soros.
So sieht's aus. Und damit nach Frankreich, wo der (noch nicht immunisierte) Wählerwillen für massiven Blutandrang in Investorenhirnen sorgt.

Seit am vergangenen Wochenende der Sozialist (deutsch: Sozialdemokrat) Francois Hollande das vorläufige Rennen um die Präsidentschaft gemacht hat, drehen die Finanzmärkte kollektiv am Rad und zeigen sich, gemeinsam mit den Medien, händeringend und höchst - na? - beunruhigt. Die europäischen Märkte rauschten bedrohlich in den Keller. Angst um Frankreich. Angst um den Euro. Angst um die Renditen. Angst vor Demokratie.

So richtig verstehe ich die ganze Aufregung um diesen Hollande allerdings nicht. Mal abgesehen davon, dass er nicht der erste Sozialdemokrat in Führungsposition wäre, der sich, geschmeidig wie ein Hosenverkäufer, dem nervösen Gefühlsleben der Finanzmärkte andient - wo ist das Problem? Sollte Hollande als Präsident, wider Erwarten, nicht in die Spur finden, Pfötchen geben und den Ball rapportieren, ja, mein Gott!, dann macht den Job halt ein anderer. Es wird sich schon einer finden. Technokraten gibt's schließlich überall. Speziell solche, die man ungewählt ins Amt setzen kann, falls der gewählte Volksvertreter nicht in die marktberuhigenden Puschen kommt.

Wäre ja nicht das erste Mal. Hat ja in Europa, seit der Absetzung von Papandreou und Berlusconi, schon bald eine so lange Tradition wie dieses Dorn-im-Auge-Dingens - wie hieß es nochmal? - richtig: Demokratie.

12 Kommentare:

  1. Die Märkte als eine Art RAF, welche Ironie.

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  2. Da hilft manchmal nur noch das Ziehen der Notbremse: El País - Sabotaje coordinado en nueve líneas de Metro en protesta por el 'tarifazo'
    Ein paar Aktivisten haben als Protest gegen die hohen Tarife der Madrider Metro 13 Züge durch Ziehen der Notbremse im Stand deren Weiterfahrt verzögert.
    Drei der Bremser können durch Videoaufzeichnungen identifiziert werden.
    Die Bürgermeisterin von Madrid äußert die Befürchtung, daß das Leben der Passsagiere gefährdet worden wäre. (Verstehe ich zwar nicht, aber naja.)
    Bis zu 8.000 Menschen waren davon betroffen, errechneten die Betreiber der Metro.
    Aus dem Untergrund munkelt es, daß dies erst der Beginn weiterer Aktionen sei.

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    1. "Aus dem Untergrund munkelt es, daß dies erst der Beginn weiterer Aktionen sei."

      Derweil munkelt es aus dem (griechischen) 'Obergrund', dass Law and Order jetzt in voller Blüte stehen:

      "Seit heute früh finden in Athen umfangreiche Polizeieinsätze statt. Polizeibusse mit Hunderten von Polizisten beginnen, komplette Gebäudeblocks zu blockieren und in Häuser einzudringen. Sie halten jeden fest und durchsuchen jeden, der wie ein Ausländer aussieht. Die Menschen ohne Papiere, die verhaftet wurden, werden in die neu errichteten Internierungslager abtransportiert.

      Der griechische Minister für Bürgerschutz äußerte: "Athen wird innerhalb weniger Tage gesäubert (bzw. geräumt, O-Ton 'will be cleared') sein. Wir müssen den öffentlichen Raum zurückerobern.""

      Quelle: Blog 'From The Greek Streets'

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    2. Der Link ist böse, da hat sich was eingeschlichen.

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    3. Stimmt, Warnung vor Malware.

      Das Blog selbst allerdings ist nicht böse, sondern gut, auch wenn die zitierte Meldung dort eine sehr böse ist.

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    4. Apropos "Migranten unerwünscht" - der Backlash macht vor keiner Nationalität halt:

      "Wir haben zu viele Deutsche in unserem Land!"

      In welchem Land? In der Schweiz.

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    5. Mit einer Stärkung von rechtsnationalistischen Tendenzen in Krisenzeiten konnte ja überhaupt niemand rechnen. Diese Dinge sind nachgeraderweise so einmalig in der Menschheitsgeschichte, daß wahrlich niemand beizeiten davor warnen konnte.
      Auch muß "divide et impera" irgendeinem Lateinlehrer erst in den letzten Jahren eingefallen sein, der lediglich seine Schüler mit einem weiteren Sinnspruch ärgern wollte.

      Ich sehe das alles wie Andrea Echeverri: Bandera

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  3. Ich reiche mal den richtigen Link nach: Hier.

    Vorsicht: In Firefox und Opera scheint die Seite ungefährlich zu sein, im Internet Explorer allerdings leitet jeder Besuch des Blogs auf die oben verlinkte Malware weiter. Die scheinen sich dort was eingefangen zu haben.

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    1. "im Internet Explorer allerdings leitet jeder Besuch des Blogs auf die oben verlinkte Malware weiter"

      Safari dito.

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    2. Problem behoben.

      Interessant übrigens zu erfahren, was es so alles gibt abseits kommerzieller Anbieter:

      "We have now just completed a server transfer from a commercial server to tachanka, a server that is part of the global antagonist/emancipatory movement."

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  4. @Rainer

    Und hier nun etwas wirklich Böses, um mal auf das Thema des Posts zurückzukommen.

    "Der IMF regt an, Spanien möge öffentliche Gelder lockermachen, um das Problem der Bankenrettung zu lösen."

    (Achtung, nicht jugendfrei.)

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