Samstag, 10. November 2012

Übelkeit


In mir steigt gerade eine kleinere Übelkeit hoch. Also das, was der Volksmund als ein leichtes Kotzgefühl bezeichnet. Nichts Dramatisches, nur eine kleinere Übelkeit, eine sich abzeichnende Magenverstimmung, die sich aber zu einem chronischen Problem auswachsen könnte, insofern das am 6. November in Amerika mit knapper Mehrheit gewählte sogenannte kleinere Übel sich anschickt, zu einem dauerhaften Phänomen zu werden.

"The Smellabration" by Mr. Fish

Das mit den Gefühlen ist natürlich so eine Sache, seien es Kotz- oder andere Gefühle. Andere Länder, andere Gefühle. Während die um vier Jahre verlängerte Amtszeit des sogenannten kleineren Übels von dessen Anhängern angemessen überschwenglich gefeiert wird, macht sich andernorts eine bemerkenswert abgestumpfte Gefühlskälte breit. In Pakistan beispielsweise:
Islamabad nahm die Nachricht von Obamas Sieg mit einem unbeeindruckten Gähnen zur Kenntnis... "Die Hauptsache, für die die Leute sich hier interessieren, sind Angriffe von Dronen (ferngesteuerte Raketen)," sagte ein TV-Kameramann beim Aufbauen seiner Technik vor der US-Botschaft. "Schließlich wissen wir alle, dass sich nichts ändern wird, egal wer (in Amerika) an der Macht ist."
Ein pakistanischer General im Ruhestand kommentierte,
"Viele Leute hier mögen Obama nicht wegen des Problems mit den Dronen,"
fügte jedoch beschwichtigend hinzu,
"aber die gute Nachricht ist, dass (seine Wiederwahl) eine Kontinuität verspricht und Obama wenigstens derjenige ist, der weiß, mit wem und mit was er es zu tun hat."
Vermutlich liegt es an jener erwartbaren außenpolitischen Kontinuität, weshalb das Land im mittleren Osten gleichgültig gähnte statt in Freudentaumel auszubrechen. Ist es ihm zu verdenken? Deutlich gefühlvoller reagiert die pakistanische Zivilbevölkerung, wenn ihresgleichen von einem mörderischen Dronenangriff erwischt wird, kollateral, versteht sich:


Der zehnjährige Junge hieß, als er noch lebte, Naeemullah. Er wurde verletzt, nachdem ein ferngesteuerter Flugkörper in zwei Nachbarhäuser ("zwei verdächtige militante Verstecke") eingeschlagen, Granatsplitter und herumfliegende Trümmerteile durch die Wand in sein Haus geborsten und in seinen Körper eingedrungen waren. Eine Stunde, nachdem der Vater seinen Sohn fotografiert hatte, starb Naeemullah an seinen Verletzungen.

Anhänger des für vier weitere Jahre amtierenden Herrschers über drones, kill lists und einer darüberhinaus eigens kreierten disposition matrix bezeichnen solche Kollateralschäden an der Zivilbevölkerung als das kleinere Übel (gern auch als "smart warfare" eines noch smarteren Präsidenten), gemessen an den viel verheerenderen Schäden einer flächendeckenden Bombardierung. Grund genug, das wiedergewählte sogenannte kleinere Übel frenetisch zu bejubeln und sich nicht allzu zimperlich anzustellen, wenn mal wieder eine Menge unbeteiligter, unschuldiger Menschenopfer in die Luft gejagt wurden - bei mehr als 300 von Obama bislang autorisierten Dronenangriffen in Pakistan.

Unfair wäre es allerdings, jetzt dem smarten Präsidenten vorzuwerfen, er sei nichts als ein hartgesottener, gefühlskalter Brocken. Ist er nicht! Ihn hat nämlich vorgestern die menschliche Rührung übermannt, als er seinen Wahlhelfern für deren übermenschlichen Anstrengungen dankte, denen er seinen Wahlsieg verdankte. Da hat er sich, während er smart an seinem Kaugummi weiterkaute, doch glatt verstohlen ein paar Tränen (ich glaube, es waren zwei) aus den Augen gewischt und damit bewiesen, dass er, der Präsident der Herzen, ein - ja doch! - ein Herz hat. Fast hat es ihm vor lauter Dankbarkeit das Herz zerrissen, was wiederum seine erfolgreich kampagnenführenden Anhänger zu herzzerreißenden Jubelausbrüchen bewegte.

Apropos übermannt. Kaum waren dem dankbaren Wiedergewählten die Tränen der Rührung über die Wangen gekullert, ging das stockkonservative Macho-Gezetere los: was für ein weinerlicher Waschlappen - und der will ein mannhafter, kriegsstarker Präsident sein?
Das wirkt fehl am Platze: Der Präsident der Vereinigten Staaten bricht in Tränen aus, als er seinen Kampagnenhelfern dankt für deren unermüdlichen Einsatz für seine Wiederwahl.
- wobei beschwichtigend angemerkt wird, auch ein harter Kerl namens Putin habe es schon mal öffentlich in die Kameras kullern lassen und sei trotzdem nachweislich ein beinharter Kerl geblieben. Da wird sein amerikanischer Kollege doch auch mal Gefühl zeigen dürfen, ohne dass ihm deshalb die Maskulinität in Abrede gestellt wird.

Und überhaupt - wenn's wirklich hart auf hart kommt, sollte er unbedingt baldmöglichst zeigen, was er so drauf hat als echtes Mannsbild, dem der Ruf des kleineren Übels vorauseilt: schnell mal den nächsten Dronenangriff autorisieren auf ein paar Kinder irgendwo im mittleren Osten, und schon ist wieder alles im Lot.

Wenn da bloß diese kleinere Unpässlichkeit in meiner Magengegend nicht wäre.

1 Kommentar:

  1. Vielen Dank für diesen Beitrag. Ich appelliere auch an alle, wenn sie jetzt sagen: "ein Präsident mit Herz, den hätte ich auch gewählt", mal ihren Verstand überprüfen sollen. Die Welt ist so abartig. Wenn ein Kinderschänder oder Mörder aus der Haft kommt, hat es so jemand sehr schwer wieder in eine Wohnung in seiner Heimat zu ziehen, zurecht! Bei Lebensmittelspekulanten und Kriegsverbrecher, diese Leute werden bis aufs höchste von der Bevölkerung verehrt und gehen straffrei aus. Also Mord ist Mord, ob ich jemand nun von Angesicht zu Angesicht töte oder einen Knopf drücke, das Resultat ist exakt das Selbe. Manche Menschen glauben einfach, solange es ein Bürger 2ter Schicht oder besser noch im fernen Land betrifft, dann ist es nicht so schlimm und sei es auch ein Kind.

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