Montag, 1. April 2013

Früchte des Zorns


Schauplatz:
Augusta im amerikanischen Bundesstaat Georgia.

Offizielle Armutsquote in Augusta:
31,6 Prozent

Anteil der Bevölkerung, die mit weniger als 50 Prozent des als offizielle Armutsgrenze geltenden Einkommens leben:
11,8 Prozent

Kinderarmut in Augusta:
45 Prozent

Letzte Woche ging in Augusta ein Supermarkt bankrott. Die Nachricht von der Zwangsräumung des Lebensmittelgeschäftes verbreitete sich schnell in den verarmten Nachbarschaftsvierteln; und so strömten am vergangenen Dienstag rund 300 Bewohner Augustas, die meisten mit leeren Plastiktüten in den Händen, zu dem Geschäft - in der Hoffnung, dass die Lebensmittelrestbestände unbürokratisch und gratis an Bedürftige verteilt und damit (aus der Sicht des Betreibers) kostenlos "entsorgt"würden. Sie wurden in ihrer Hoffnung enttäuscht.

Zwar hätten, nach dem Willen des ehemaligen (jetzt bankrotten) Pächters, die verbliebenen Lebensmittel an die Bevölkerung gespendet werden sollen. Jedoch meldete der Eigentümer der Liegenschaft - eine Bank mit dem klangvollen Namen Sun Trust Bank - als Folge des Räumungstitels Besitzanspruch auf die Lebensmittelbestände an und verfügte deren umgehende Vernichtung. Dies geschah vor den ungläubigen Augen der mit leeren Plastiktüten wartenden Menschen: Unter Polizeischutz wurden sämtliche - sowohl frische als auch konservierte - Lebensmittel auf große Abfallcontainer geworfen und abtransportiert Richtung Müll- beziehungsweise Vernichtungsanlage.

Als Begründung für die gezielte Vernichtung der Lebensmittel gab der zuständige Einsatzleiter der Polizei an, erstens, auf Anordnung des Immobilieneigentümers, zweitens, im Namen von Gesetz, Recht und Ordnung gehandelt und, drittens, angesichts der hungrig dreinschauenden Menschenmassen
"... ein extrem hohes Potential für einen Volksaufstand (riot)"
erkannt zu haben, für dessen Verhütung eine im großen Stil angelegte Lebensmittelvernichtung als das Mittel der Wahl erkannt worden sei.

Das Wort hat Adam Kokesh, dem allerdings die Worte fehlen:



Mir fehlen sie auch.

Das letzte Wort hat John Steinbeck:
Lebensmittel wegzuwerfen vor den Augen hungernder Familien ruft die Worte John Steinbecks in Erinnerung, der eine ähnliche Szene in Früchte des Zorns (1939) beschrieben hat:
"Es gibt Verbrechen hier, die nicht zu schildern sind. Es gibt hier Leid, das Tränen selbst nicht sprechen lassen können. Es gibt hier Misserfolg, der all unsere Bemühungen zunichte macht. Die fruchtbare Erde, die geraden Baumreihen, die starken Stämme und die reife Frucht. Und Kinder müssen sterben, weil die Orange ihren Profit nicht verlieren darf. Und die Leichenbeschauer müssen in den Totenschein schreiben - 'starb an Unterernährung' -, weil Nahrungsmittel verrotten müssen, weil sie zum Verrotten gezwungen werden. Die Leute kommen mit Netzen, um die Kartoffeln aus dem Fluss zu fischen, aber die Wächter verbieten es ihnen ... und sie stehen still und sehen zu, wie die Kartoffeln vorbeischwimmen ... sehen die Orangenberge zu einem Fäulnisbrei zusammensinken, und in den Augen der Menschen liegt ein Scheitern; und in den Augen der Hungernden steht ein wachsender Zorn. In den Herzen der Menschen wachsen die Früchte des Zorns und werden schwer, schwer und reif zur Ernte."

8 Kommentare:

  1. Hätte nicht bei Dir vorbeischauen sollen!
    Gerade noch war ich fröhlich, dass sie endlich vorbei sind,
    diese unnützen Tage der Christseligkeit, und schon bekomme ich die nächste Keule verpasst.

    Liebe Grüsse Troptard.

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  2. so:

    "... und sie stehen still und sehen zu, wie die Kartoffeln vorbeischwimmen ... sehen die Orangenberge zu einem Fäulnisbrei zusammensinken, ..."

    oder so:

    "... Gebt noch zum Ende frohen Mut.
    Ein Vogelzug grüßt auf der Reise.

    Es ist der Liebe milde Zeit.
    Im Kahn den blauen Fluss hinunter
    Wie schön sich Bild an Bildchen reiht
    Das geht in Ruh und Schweigen unter."


    ach ... scheiss Lethargie - trotz dem; frohe Ostern - oder happy erstes Wochenende nach der frühjahrs tag-und-nacht-gleiche - 11!!11
    evtl küsst uns die muse im frühjahr

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    1. hm...da ist jetzt aber Herbst gemeint, oder?

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    2. nö - ich hoffe wirklich auf ne schöne Kirschblüte - oder meinen Sie wegen der WAHL?

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    3. nö - nur scheint mir in diesem Fall der Weg von Steinbeck zu Trakl ein weiter zu sein.

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  3. Fast immer, wenn ich auf diese Seite komme, erfahre ich etwas, dass mir die Tränen der Wut in die Augen treibt. Gleichzeitig fühle ich mich vollkommen handlungsunfähig. Ohnmächtig. Schrecklich.

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    1. "...das mir Tränen der Wut in die Augen treibt."

      Ging mir ebenso beim Schreiben (und davor beim Lesen über die Geschichte in Augusta).

      "...und in den Augen der Hungernden steht ein wachsender Zorn. In den Herzen der Menschen wachsen die Früchte des Zorns und werden schwer, schwer und reif zur Ernte." (Steinbeck)

      Tränen zu Früchten.

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