Gut, dass wir darüber geredet haben. Über das Thema Solidarität.
Das Wort wird immer beliebter, ist derzeit in aller Munde, geht besonders leicht über strichschmal zusammengepresste Lippen und kommt bei gleichzeitig straff gen Süden gezogenen Mundwinkeln am glaubwürdigsten rüber. Dachte sich die deutsche Queen of Austerity beim Kofferpacken, bevor sie gen Süden zog, wo sie morgen in Athen aufschlagen wird, um den Griechen einen vom trojanischen Pferd zu erzählen, oder vom troikanischen Pferd, ist ja egal. Hauptsache solidarisch aufgezäumt, "die Reise steht als Zeichen für deutsche Solidarität".
Da der griechische Ministerpräsident ein Kenner der Materie ist und weiß, wie Solidarität buchstabiert wird - nämlich so: Regierungspolitiker halten zusammen wie Pech und Schwefel beim Abzocken der griechischen Bevölkerung zugunsten global operierender Banken -, hat er einen eindringlichen Appell an seine Landsleute gerichtet, "Frau Merkel bitte so willkommen zu heißen, wie sie es verdient", nämlich "wie es einem Führer einer großen Macht und eines befreundeten Landes wie Deutschland gebührt".
Es sieht so aus, als ob Samaras beim Wort genommen wird. Selbstverständlich wollen die Griechen der Frau Merkel einen gebührenden Empfang bereiten; nur gehen halt die Meinungen auseinander, was darunter zu verstehen sei (ist ein bisschen so wie mit der Solidarität). Nicht jeder bringt es so elegant zum Ausdruck wie der Syriza-Vorsitzende Tsipras, der seinen Aufruf zu Anti-Merkel-Protestdemonstrationen kommentierte mit den Worten: "Herr Samaras sagte, wir sollten Frau Merkel so empfangen, wie sie es verdient, und wir sind vollständig einer Meinung mit ihm." Und er empfiehlt dem hohen Besuch aus Deutschland, doch mal - um Solidarität zu bekunden - durch die heruntergewirtschaftete Athener Innenstadt mit ihren geschlossenen Läden und obdachlosen Menschen spazierenzugehen und bei der Gelegenheit gleich noch ein paar Austeritätsdiktate zu verkünden.
Ich finde ja, es gebührte einer solidarisch gestimmten deutschen Politikerin, ruhig mal einer der vielen griechischen Suppenküchen einen solidarisch gespeisten Besuch abzustatten, am besten barfuß und mit "blutendem Herzen" (O-Ton Merkel über ihre warmen Gefühle gegenüber den Griechen, gepaart mit der kaltlächelnden Forderung nach noch mehr sozialen Streichungen und noch mehr "Reformen" des Arbeitsmarktes, sprich: nach noch mehr Verarmung, Verslumung, Verelendung). Nur leider geht das gar nicht so einfach, weil die meisten Suppenküchen ja fest in griechisch-nationalistisch-faschistischer Hand sind und keine ausländischen Mitfresser dulden. Die darf da also gar nicht rein, die Merkel! Ein wahrhaft ungebührlicher Empfang.
Aber gebührte es dann nicht einer deutschen Regierungschefin, gegenüber einer immer populärer werdenden Neonazi-Partei und deren rassistischem Sozialservice öffentlich Position zu beziehen? Wo ihr der griechische Regierungschef doch dieser Tage eine perfekte Steilvorlage lieferte?
Samaras warnte, die explodierende Arbeitslosigkeit und politische Unruhen riskierten genau jenen Aufruhr, der die Weimarer Republik in Deutschland nach dem ersten Weltkrieg ausgehöhlt und den Nazis den Weg geebnet hatte.Och nö, lieber nicht. So sehr blutet das solidarisch pochende Kanzlerinnenherz dann doch nicht, und das mit der ungebührlichen deutschen Vergangenheit, och nö, warum sollte das ausgerechnet von einer deutschen Politikerin ausgerechnet in Griechenland aufs Tapet gebracht werden? Gut, die jüngsten rowdyhaften Auftritte von Golden-Dawn-Abgeordneten im griechischen Parlament erinnerten schon etwas ungut an ähnliche Szenen, wo Nazi-Vertreter zwischen 1929 und 1932 im Deutschen Reichstag randaliert hatten, aber bitte, wie lange sollen die ollen Kamellen denn noch aufgewärmt werden? Könnte ja ein paar alte Wunden aufreißen und eventuell ungemütlich werden, och nö, lieber nicht.
Apropos Blut. Das floss vor wenigen Tagen, als aufgebrachte griechische Werftarbeiter das Verteidigungsministerium besetzten, ihren seit einem halben Jahr ausstehenden Lohn verlangten und das Ministerium meinte sich mit Polizeigewalt verteidigen zu müssen. Wie wär's mit ein wenig Solidarität, Frau Merkel? Eingedenk des schönen Sinnspruches aus Ihrem Hause, dass dem, der fleißig arbeite, dafür auch etwas zustehe?
Och nö, wissense, da könnt' ja jeder kommen und die Hand aufhalten, und überhaupt, diese Werftarbeiter ham ja nur einen, genau: einen einzigen Tag pro Woche gearbeitet, weil's halt mehr Arbeit nicht gab, und dafür woll'n die jetzt Geld, noch dazu sechs Monate rückwirkend, für einen Arbeitstag pro Woche - ja, soll ich als fleißig arbeitende deutsche Kanzlerin mich vor diese Faulpelze stellen und deren überzogene Forderungen unterstützen? So weit kommt's noch. Dass die Griechen notorisch faul sind, hab' ich ja schon oft genug gesagt, muss mich ja nicht ständig wiederholen, ne, noch dazu, wo die Troika den Griechen jetzt endlich die Sechstagewoche aufs Auge gedrückt hat, war aber auch Zeit, ne, wo inzwischen schon mehr als ein Viertel aller Griechen und 55 Prozent aller jungen Griechen einer Nulltagewoche frönen, ne. Von daher, och nö, lieber nicht.
via anticap
Jedenfalls sind für den morgigen Besuchstag eine ganze Reihe von Willkommens-, Protest- und Besetzungsaktionen geplant. Was den griechischen Gastgeber Samaras veranlasste, "ein energisches Signal der Entschlossenheit" auszusenden, schließlich dürfe dem "Führer einer großen Macht" das Land keinesfalls als "sturmfreie Bude von Linken und Gewerkschaftern" präsentiert werden. Er beließ es nicht bei Worten, sondern schritt zur Tat, verhängte ein Demonstrationsverbot in der ganzen Stadt, ließ vier U-Bahn-Stationen schließen, machte 7.000 Polizisten mobil, holte Verstärkung aus der Provinz, rief die auf Metallzäune spezialisierte MAT (Spezialeinheit zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung) zu Hilfe, stellte umfassenden polizeilichen Objektschutz sicher und Wasserwerfer bereit. Immerhin, hieß es, käme die Führerin jener großen Macht in freundschaftlicher, unterstützender, ja solidarischer Mission.
Also wird morgen die Führerin der großen Macht Deutschland mit einem pompösen polizeistaatlichen Aufgebot so empfangen werden, wie es einer deutschen Führerin gebührt. Ob es den hohen Besuch aus Deutschland stören wird, dass satte 70 Prozent der Merkel-schützenden griechischen Polizei mit der erstarkenden Neonazi-Partei Golden Dawn sympathisieren?
Och nö, jetzt bitte nicht irgendwelche aufgewärmten Reminiszenzen an irgendeine deutsche Vergangenheit, hört das denn nie auf, Mönsch, da kommt man als deutsche Führerin und will helfen, und dann solche bizarren...och nö, echt jetzt, nö, stört mich kein bisschen, also denn mal Kudos und Tschüss bis morgen, ne.
Es geht aufwärts mit Griechenland. Besonders die Zahlen über Konkurse und Suizide.
AntwortenLöschenNicht zu vergessen die Zahlen über Prostitution und HIV-Erkrankungen.
AntwortenLöschenÜbrigens hat grade Keep Talking Greece einen offenen Brief an Merkel veröffentlicht, Tenor: Angie, fahr zur Hölle, aber wenn du schon unbedingt kommen musst, dann bring gefälligst einen Koffer voll Kohle mit zur Deckung all der Kosten, die der bankrotte griechische Staat für deine Sicherheit und deinen Schutz ausgeben muss. Lesenswert.
Auch bemerkenswert: Ein starkes Statement zu Merkels Athenbesuch von Manolis Glezos, 90 Jahre alt, Widerstandskämpfer gegen die deutsche Besetzung, hat im Mai 1941 die Naziflagge von der Akropolis gestohlen.
AntwortenLöschen"It is time to add our voices to the chairman of the German Left Party (Die Linke) B. Rixinger who, on the occasion of the arrival of Angela Merkel in Greece, asked her to listen to the voices of those who resist the savage cuts that threaten to deepen the polarization in the country and who warned that Greece is in danger of a humanitarian catastrophe.
We are already paying for this polarisation in my country with the advent of Golden Dawn. Are we going to sit idly by, also waiting to see the consequences of the humanitarian catastrophe? Then it will be too late, not only for Greece, but for Europe as a whole."
(Mit den Zahlen pro Golden Dawn geht es auch steil aufwärts.)