Sprache an sich ist ja etwas Schönes, Sprachverarmung hingegen ein eher unschönes Phänomen. Wo doch unsere Sprache für alles und jedes ein prägnantes Wort bereit hält und damit besonders die mündliche Kommunikation so sinnstiftend wie schmückend bereichert.
Nun gibt es jedoch Situationen, wo das Schmückende den Kommunizierenden sonstwo vorbeigeht, und wo gerade das Sinnstiftende nach wenig elaboriertem Duktus und möglichst knappen Sätzen verlangt. Alles andere liefe in solchen Situationen auf Ressourcenverschwendung hinaus. Ein typisches Beispiel ist die Situation des Renovierens eines Ladenlokals; wo also ein bestehendes Chaos über den Zwischenstatus des Sekundärchaos gezielt in den Endzustand der frisch gestrichenen Neuordnung transformiert werden soll. Das Ganze bei maximaler Zeitknappheit, was schon für sich ein effizientes Kommunizieren via knapper Sätze rechtfertigt.
Kein Wort zu viel, hieß also am Wochenende die Devise. Als hilfreich hat sich der Gebrauch von Schlüsselwörtern erwiesen; Wörter also, die mit einem Schlag jedem Beteiligten klar machen, worum es geht; Wörter, die umgehend Reaktionen auslösen; Wörter, die dem Handwerkelnden den zeitraubenden intellektuellen Prozess der Wortfindung ersparen. Aber eben auch Wörter, die aussagekräftiger und plastischer rüberkommen als das traditionelle Dingsda.
Im vorliegenden Fall hieß das Schlüsselwort: Moped. Und zwar kurz ausgesprochen, so als ob es mit zwei P geschrieben wird. Mir persönlich war dieses Wort völlig neu (sofern seine Bedeutung über die eines motorbetriebenen, stinkenden, lärmenden Zweirades hinausgeht). Aber obwohl ich noch nie zuvor etwas davon gehört hatte, habe ich das Moped seit diesem Wochenende unverzüglich in meinen aktiven Wortschatz aufgenommen.
Es ging schon am Freitagabend los mit der pragmatischen Sprachverhunzung. Denn um am Samstag die Decke streichen zu können, mussten am Freitag alle zu Dekorationszwecken von der Decke hängenden Objekte - Liebhaber-Segelflugzeuge, schmiedeeiserne Kerzenhalter, antike Kinderfahrräder, ein monströser goldener Putto und einiges mehr - abgenommen werden.
"Kann mal einer die ganzen Mopeds von da oben runterholen?" Das war Freitagabend, und da guckte ich noch ziemlich begriffsstutzig.
Ab Samstagmorgen fing ich an, mich an die Entkomplexisierung der deutschen Sprache zu gewöhnen. Fragte mich einer nach "dem Moped da drüben", wusste ich sofort, es kann sich nur um Pinsel, Spachtel oder Malrolle handeln, im Einzelfall auch um einen Hammer. Reichte ich statt des gewünschten Schleifgerätes irrtümlich die Bohrmaschine rüber, hieß es: "Nein, ich meine das andere Moped!", und der Fall war klar.
Später, als ich auf dem rollbaren Bistrotisch stand, um die Deckenbordüre zu streichen, ging mir ganz selbstverständlich von den Lippen: "Kann mal einer mein Moped weiterschieben?" Ohne weiteres überflüssiges Wortvergeuden wurde ich geschoben.
Irgendwann maulte ein Streicher:
"Kann mal einer das Moped (=Radio) ausmachen?"
"Wieso das denn?"
"Weil ich dieses blöde Moped (=Musik von
Modern Talking) nicht mehr hören kann."
Alternativ wurde eine CD mit dem
Köln Konzert von Keith Jarrett eingelegt. Als die Stelle kam, wo der Pianist seinen Kopf gegen den Flügel schlägt, entfuhr es einem der Streicher: "Mann, das ist ja 'n Moped!", wobei unklar war, was er genau damit meinte - den Flügel, den Kopf oder den musikalischen Geniestreich -, aber alle waren sich einig, dass der Streicher recht hatte und das Köln Konzert mopedmäßig gut zum Streichen passte.
Weil das Renovierungswochenende im Zeichen des Frühlings stand, blieb die Eingangstür meist geöffnet, obwohl der Laden geschlossen war, was manchen Frühlingsspaziergänger veranlasste, neugierig das Chaos zu betreten. Sehr zum Gefallen von
Fräulein Jekyll, die das Gefühl bekam, endlich auch etwas zu tun zu haben: Genervt von all den Räum- und Renovierungshyperaktivitäten beschloss sie, jedem unbefugten Betreter ihres Reviers die Hölle heiß zu machen. Respektvoll wichen die Eindringlinge zurück.
"Huch. Wie heißt denn das Hundchen?"
Antwort: "Moped."
Als wenig später aus anderen Gründen Fräulein Jekyll ein wenig renitent wurde, hieß es:
"Wer geht mit dem schwarzen Moped Gassi?"
Fräulein Jekyll fühlte sich aufgewertet.
Natürlich gab es auch befugte Betreter (sprich Stammgäste), die daran zu erkennen waren, dass das schwarze Moped vertraulich an ihnen hochsprang und jegliches Randalieren unterließ. Einer von ihnen musterte mich und fragte:
"Ich kenne Sie gar nicht, sind Sie neu hier?"
und bekam höflich zur Antwort:
"Darf ich bekannt machen, das ist die Mrs. Moped."
Merke: Ein Moped sagt mehr als tausend Worte.
Am Sonntagabend schließlich war es Zeit, all die Mopeds wieder an die frisch gestrichene Decke zu hängen. Ein besonders rares Sammlerstück wurde vom Chefsammler aufsehenerregend kommentiert:
"Das ist das Original-Dreirad vom kleinen Lenin! Ich schwör's."
Es folgte eine spannend erzählte Räuberpistole, wonach ein russischer Gast vor Jahren das hölzerne Raumschiff des längst verblichenen Politpromis dem Chefsammler als Geschenk verehrt habe. Die Sache ist nicht verbürgt, klang aber geschichtsträchtig.
Der Jüngste in der Renovierungs-Combo - offenbar zu jung, um russische Revolutionäre zu kennen - machte runde Augen und fragte: "Lenin? Nie gehört. Was soll der denn für'n Moped gewesen sein?" Die ältere Generation machte rollende Augen und gab Geschichtsnachhilfe. Der Junior pfiff beeindruckt durch die Zähne, sagte: "Nee, echt jetzt? Ist ja voll der Wahnsinn!", und fuhr fort:
"Schickes Moped."
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Dem Lenin sein Moped