Donnerstag, 19. Dezember 2013

Abschied von der Schrebergartenkultur


Ich habe mich aus der Blogwelt verabschiedet, ohne die Gründe zu benennen, die mich dazu bewegt haben. Dies möchte ich nachholen.

Die Gründe liegen in einem wachsenden Unwohlsein gegenüber dem Status quo, wie ich ihn in der Szene deutscher politischer Blogs wahrnehme. Ausdrücklich nicht gemeint sind einzelne politische Blogbeiträge von hoher oder höchster Qualität, denen meine uneingeschränkte Anerkennung gilt; gemeint ist vielmehr das weitgehend beziehungslose, unverbindliche, mich selbstreferentiell dünkende Nebeneinander in der hiesigen Szene.

Dieses beziehungslose Nebeneinander halte ich nicht für zufällig, sondern von den je individuellen Bloggern - aus welchen Gründen auch immer - so gewollt, denn sonst, so denke ich, wäre aus dem beziehungslosen Nebeneinanderherdümpeln längst ein intensiver agierendes Geflecht des Miteinander geworden, bei aller Wahrung individueller Unterschiede, Eigenheiten und - nicht nur, aber auch: politischer - Interessen.

Mir drängt sich das Bild einer Schrebergartenkolonie auf, wo jeder sich in seiner eigenen Parzelle eingebunkert, um sich herum einen wehrhaften Zaun gezogen hat - fest verschlossen von einer vergitterten, nur selten einladend offenstehenden Gartentür - und misstrauisch die Nachbarparzellen beäugt, stets in Sorge, wer hat den längeren, den längsten, pardon, den dicksten Zucchini gezüchtet.

Die Kommunikation der einzelnen Parzellen untereinander geht gegen Null, wenn ich einmal absehe von sporadischen, mir eher belanglos denn substantiell erscheinenden Kommentaren. Hin und wieder, alle paar Schaltjahre mal, ein anderes Blog zu verlinken, erlebe ich nicht als Kommunikation, höchstens als Pflichtübung nach dem Motto: muss sein, weil, wie sieht das denn sonst aus? Miteinander geredet - im Sinne eines gemeinsamen politischen Anliegens, geboren aus dem unerträglich wachsenden Druck um uns herum - wird nicht. Mag sein, das passiert hinter den Kulissen, aber was hinter den Kulissen passiert, zählt nicht; was zählt, ist das Bild vorne auf der Bühne, dort, wo der Vorhang hoch- und notorisch das Visier runtergelassen wird.

Still und starr ruhen die Parzellen nebeneinander. Niemand kommt niemandem in die Quere. Niemand hat mit niemandem etwas zu schaffen. 'Bleib mir bloß vom Leib', scheint in unsichtbarer Schrift über den vergitterten Gartentüren zu stehen, '... und vergreif dich ja nicht an meinen Zucchini, sonst kommt mein Hund, der ist scharf und beißt dich, ist viel größer und schärfer und bissiger als dein Hund und außerdem mindestens genauso dick wie meine Zucchini, da kommst du mit deinem Scheißköter und deinen Micker-Zucchini nie ran, nie im Leben, also versuch's erst gar nicht.' Still und starr ruhen die Parzellen nebeneinander.

Niemand kommt niemandem in die Quere. Die Zucchini wachsen, die Zäune wachsen, die Hunde wachsen - was will man mehr. Gewachsene Strukturen. Funktioniert doch alles bestens. Funktioniert sogar von ganz allein. Funktioniert sogar regelrecht autonom und selbstbestimmt - weil von allen so gewollt - und ohne jeglichen vereinsmeierischen Wasserkopf.

Wobei, andererseits, jeder durchschnittliche, echte, deutsche, voll spießige Schrebergartenverein mehr Kooperation und Kommunikation pflegt und mehr Gemeinschaftssinn drauf hat als die vereinslose deutsche Polit-Schrebergartenkolonie. Still und starr ruhen die Parzellen nebeneinander. Auf keinen Fall - Allmächt! - die Zäune stutzen oder gar - horribile dictu! - einreißen. Stutzen? Einreißen? Wenn das jeder täte! Geht gar nicht. Bleib mir bloß vom Leib. Hast du meine neuen Zaunlatten gesehen? Noch länger als deine. Bildest dir ein, du hättest die dickeren Zucchini? Pah, guck dir meine Zaunlatten an. Länger geht nicht.

Still und starr ruht das Bühnenbild.

In den letzten Jahren haben mich - bloggend und überhaupt - vorwiegend die Ereignisse und Entwicklungen im Ausland beschäftigt. Hauptsächlich südeuropäisches Ausland. Spanien. Griechenland. Auch Naher Osten, Nordafrika. Viel (Nord)Amerika. Gelegentlich England. Die überall stattfindende Radikalisierung brannte mir unter den Nägeln: die Radikalisierung von Menschen, von Bewegungen, von Protesten, von Widerstand; die Radikalisierung immer unmenschlicher werdender, immer unmenschlicher zurückschlagender Systeme, deren Totalitarisierung, deren Degenerieren zu polizeistaatlichen Regimes, deren immer nackter zutage tretender Gewalt gegen Menschen, die eigentlich nur eines möchten: leben, und zwar voller Lebensfreude und ohne hungern zu müssen.

Naturgemäß stillte ich mein Informationsbedürfnis durch das systematische Suchen und Aufsuchen ausländischer Informationsquellen, in erster Linie englischsprachiger, international orientierter Blogs. Weil mein Interesse an den Entwicklungen im Ausland immer stärker wuchs, tauchte ich immer tiefer ein in die Welt dieser nichtdeutschen politischen Blogs, ihrer Art der Informationsweitergabe, ihrer Professionalität, ihrer selbstverständlichen Vernetztheit untereinander. War beeindruckt, mitunter überwältigt von der diskursiven Offenheit; von der stillschweigenden oder expliziten Übereinkunft, dem Bewusstsein, dass da ein großes, bedrohlich wachsendes Problemfeld nicht nur individuell, sondern zugleich kollektiv zu beackern ist; von dem wechselseitigen Durchdringen, Einmischen und Anregen; von den niedrigen Zäunen und den ständig offenstehenden Gartentüren. Dauernd reden die miteinander, besuchen sich in einer Tour gegenseitig, bringen irgendwas mit oder kommen mit leeren Händen, um mit vollen Händen zurückzukehren in den eigenen, mit frischem Gedankengut zu bewirtschaftenden Garten.

Diese fruchtbare, weil sich wechselseitig befruchtende, lebendige politische Diskurskultur hat mich ungemein befeuert und inspiriert.

Jedesmal, wenn ich von meinen ausgiebigen Streifzügen zurückkehrte und mich in der hiesigen Schrebergartenkolonie umschaute, befiel mich ein Gefühl klaustrophobischer Enge. Ich begann mich wie ein Fremdkörper zu fühlen und fing an zu frösteln angesichts der still und starr nebeneinander ruhenden Parzellen. Was für ein ungesunder Dauerfrostzustand der selbstgewählten Vereinzelung, des manischen Sich-Abgrenzens und -Abschottens der individuellen Profilierung zuliebe, dachte ich und zog meinen Mantel fester um mich.

Irgendwann bekam ich das Gefühl, dass in der permagefrosteten Schrebergartenkolonie immer größere Eiszapfen wachsen. Eiszapfen, die es an Länge locker aufnehmen können mit den längsten, größten, dicksten, tollsten Zucchini. Ich spürte den Frost klirren.

Eines Tages fror es mich so sehr, dass ich dachte, gleich frieren mir die Finger über der Tastatur ab.

Da beschloss ich, die Flucht nach vorne anzutreten.


Freitag, 13. Dezember 2013

Feierabend


Ich höre mit der Bloggerei auf.

Zum Abschied gibt es ein stimmungsvolles Video von dem wunderbaren, aus Puerto Rico stammenden, wunderbar frechen, wunderbar schrägen, wunderbar kratzbürstigen anarchistischen Filmemacher Frank Lopez alias The Simulator, der auf submedia.tv seine subversive "news show" produziert.

Hier kommt die neueste Folge von
"It's the End of the World as We Know It and I Feel Fine":

Front End Loader Dreams from the stimulator on Vimeo.

War noch was? Ja klar:
"Love and Tacos!"
(Frank Lopez)
Auf deutsch: Good bye!

Samstag, 7. Dezember 2013

Thanks Mandela


Die Kaskaden der Seligsprechung Nelson Mandelas seitens des kapitalistischen Westens - der schon immer gegen Ausbeutung, rassistische Gewalt und Apartheid war - haben heute ihren (vorläufigen) visuellen Höhepunkt erreicht:

Zu Ehren Nelson Mandelas 
wurde das Empire State Building (New York City) 
in den Farben der südafrikanischen Nationalflagge illuminiert.

Wegen all des verlogenen süßlichen Politkitsches, der sich da stündlich eruptiv entlädt, drohe ich jeden Moment in ein gefährliches Insulinkoma zu verfallen und muss dringend gegensteuern:

Ruppiger Reggae, roh und so funky, als ob er direkt aus der Tiefe irgendeiner Mülltonne in Soweto gekrochen kommt, kämpft gegen Ausbeutung, rassistische Gewalt und Apartheid, und am Ende reichen zwei Worte:

Thanks Mandela



Freitag, 6. Dezember 2013

Mandela zum Anfassen


Hier gibt es einen unglaublich guten, unglaublich gut geschriebenen "Rückblick auf Nelson Mandela als Pop-Phänomen" zu lesen, verfasst von Robert Rotifer, einem in London lebenden Wiener.

Gut, weil sehr, sehr kenntnisreich und ausdifferenziert.
Gut geschrieben, weil überaus lebendig und engagiert erzählt, von den eigenen biografischen Erfahrungen mit dem Mandela-Phänomen plastisch durchwoben sowie von keinerlei abgehobenem musikakademischem Fachsprech getrübt.

Ich liebe es, wenn profunder musikalischer Sachverstand verschmilzt mit einer so beseelten, körperlich spürbaren Schreibe, wenn der Schreiber - statt auf fachsimpelnde Distanz zu gehen - mich anfasst und rüberbringt, dass er es mag, angefasst zu werden.

21 years in captivity
Shoes too small to fit his feet
His body abused but his mind is still free
Are you so blind that you cannot see? I said...
Free Nelson Mandela, I'm begging you
Free Nelson Mandela
Als ich diese Zeilen als 14- oder 15-jähriger zum ersten Mal hörte, war das meine erste Begegnung mit dem Namen Mandelas. Und ich war ganz sicher nicht der unpolitischste Mensch in meinem Alter. Es war die Zeit der großen Boykott-Bewegung gegen das Apartheid-Regime in Südafrika. Welche Orangen oder Bananen man kaufte, wurde zum großen Politikum. Aber wie jeder Aktivismus, der sich über einen Konsumboykott äußert, hatte auch dieser aus der jugendlichen Perspektive des Taschengeldempfängers betrachtet einen eher abstrakten Anstrich.
Der Autor erzählt von seiner Begegnung mit der Band The Special AKA und deren Titel "Nelson Mandela" und fährt fort:
"Nelson Mandela" von The Special AKA dagegen machte das Anti-Apartheid-Thema nachfühl- und (wichtig) tanzbar. Die erste Zeile nahm einen sofort mit: 21 Jahre in zu kleinen Schuhen gehen zu müssen, das war so ziemlich das unwichtigste Detail, das es über Nelson Mandelas Haft in Robben Island zu wissen gab, aber man spürte es förmlich in den eigenen Zehen. ... (weiterlesen)
Das Weiterlesen lohnt sich. Es kommt einer Reise gleich, einer Reise durch das Lebensschicksal Mandelas und dessen An- und Enteignung in der schwarzen und weißen Popgeschichte, einer Reise durch die persönliche Lebensgeschichte des Autors, seiner Anteilnahme und seines kritischen Beobachtens besonders des weißen Pop-Phänomens "Nelson Mandela".

Am Schluss seiner Reise lässt Rotifer den Schreibgriffel fallen und tut das einzig Richtige:
Ich für meinen Teil lege jetzt wieder die Special AKA-Maxi auf und warte auf die Stelle, wo alles andere aussetzt bis auf eine einsame, mächtige Bassdrum, die, von Echo beflügelt, die Bodenbretter zum Schwingen bringt.
Spätestens hier fühle ich mich unwiderstehlich angefasst, tue es ihm gleich, lege die Scheibe auf -
Und dann springe ich dazu durchs Zimmer like it's 1984.
- mach' ich genauso, hier stehe ich und kann nicht anders als zu tanzen, weil, "man spürt es auch heute noch förmlich in den Zehen", was kein Wunder ist bei so vielen ekstatischen Zehen, Füßen, Beinen, Armen, Körpern und Gesichtern:



Begging you, begging you, begging you.
You've got to free him, yeah.

Yeah. 
Zum Anfassen.
Singing, playing, dancing. 
Bodenbretter zum Schwingen gebracht.
Do it in the spirit of Nelson Mandela.

Donnerstag, 5. Dezember 2013

Bring Him Back Home



Mandela, Bring Him Back Home

Performed by Hugh Masekela:



Mittwoch, 4. Dezember 2013

Moderne Zeiten


Die Tage dürften gezählt sein, wo japanische Demonstranten ungeschoren davonkommen mit Protestplakaten wie diesem:


Demonstranten, wieso Demonstranten? Terroristen, allesamt.


Und in einer U-Bahnstation in Tokyo ein Plakat anzubringen, auf dem der japanische Premierminister Shinzo Abe in einem Atemzug mit Adenoid Hynkel genannt wird, dürfte, obwohl es der Wahrheit entspricht, ebenfalls großen Ärger geben, eben weil es der Wahrheit entspricht, wie das japanische Wahrheitsministerium unlängst bekannt gab.
Was geheim gehalten wird, ist geheim.
Warum es geheim gehalten wird, ist ebenfalls geheim.
Die (geheim gehaltene) Information wird erst 60 Jahre später veröffentlicht werden (nachdem alle Betroffenen tot sind).
Geheimnisträger, ihre Familien und Bekannten stehen alle unter Beobachtung.
Wer das Geheimnis lüften will, wird ins Gefängnis geworfen.
Whistleblowers kommen für zehn Jahre ins Gefängnis.
Dies ist das "Staatsgeheimnis-Gesetz".
(Plakattext via Japan Today)

Moderne Zeiten halt, irgendwie.

Dienstag, 3. Dezember 2013

Keep Bitchin' in Mop's Kitchen


Ich bin ja, erstens, ziemlich verfressen,

koche, zweitens, für mein Leben gern,

rege mich, drittens, dauernd auf über Sachen, die passieren,

komme, viertens, meistens nicht nach mit dem Aufregen, weil viel zu viel passiert, was mich aufregt,

gehe dann, fünftens, in die Küche, um mich wieder ab- und mit was Sinnvollerem anzuregen,

fahre, sechstens, deshalb tierisch ab auf cocina indignada, zu deutsch: Kochen für Leute, die sich dauernd aufregen,

finde dort, siebtens, unsagbar köstliche, bösartige Rezepte zum Nachkochen, zum Beispiel "Korrupter Kochtopf nach Art Canal 9" (Olla corrupta estilo Canal 9)

obendrein liebe ich, achtens, gegen den Mainstream gebürstete geile Musik,

und zwar, neuntens, über alles andere,

weshalb es mich, zehntens, restlos begeistert, wenn bösartige Rezepte zum Nachkochen für Leute, die sich dauernd aufregen, flankiert werden von absolut geiler, gegen den Mainstream gebürsteter Musik:



Hit the Road Jack: Becca Krueger covers Ray Charles.

Diagnostische Kompetenz



Montag, 2. Dezember 2013

Der Wahrheit auf der Spur


Es geht voran. Es bewegt sich was. Doch, tatsächlich.

Deshalb wird ab sofort die Serie 'Was wir uns schon immer gedacht haben, aber stets nur hinter vorgehaltener Hand wagten undsoweiterundsobrabbelundsonörgel ...' eingestellt.
Grund: Sie ist überflüssig. Gemacht worden. Von der Gegenseite.

Weil, mittlerweile rückt die Gegenseite dermaßen offenherzig, ungeschminkt und unbeschönigt mit der Sprache heraus, dass es schon fast wieder an Wahrheit grenzt, nackte Wahrheit und nichts als die Wahrheit, allenfalls notdürftig ummäntelt von einem lasziv-schleierdünnen Paranoia-Fummel, der mehr von der Wahrheit freilegt als diese zu verhüllen, und wo früher propagandistische Feldzüge unter raffiniertesten Sprachverrenkungen um drei Ecken herum von hinten durch die kalte Küche schlichen, trampelt heute der Gegner in genagelten Kampfstiefeln ohne Umschweife durch den Vorgarten direkt zur Haustür, tritt - selbstverständlich ohne zu klingeln, so viel Subtilität war gestern - dagegen, sodass der Feind ganz ungeniert mitsamt der Tür ins Haus fallen und hochgeklappten Visieres lauthals, damit auch wirklich jeder weiß, was Sache ist, durch die Räume brüllen kann:
"Wenn Sie Ihre Ideen und Prinzipien verwirklichen wollen, sollten Sie demokratischen Prinzipien folgen, indem Sie so viel Unterstützung wie möglich gewinnen. Ich denke, die Strategie, seine Meinung lediglich aus voller Lunge herauszuschreien, unterscheidet sich nicht grundsätzlich von einem Akt des Terrorismus."
Haben das alle? Nein? Immer noch nicht? Na gut, dann nochmal unverhüllt und so nackt, wie Gott die Wahrheit schuf:
Bürger, die gegen das kontroverse staatliche Geheimhaltungsgesetz demonstrieren, machen sich eines Aktes des Terrorismus schuldig, gemäß dem Generalsekretär der (japanischen) Liberaldemokratischen Partei, Shigeru Ishiba.
Mir scheint, der Lack ist ab. Das System beginnt, Tacheles zu reden. Und kommt endlich auf den Punkt. Wird auch langsam Zeit.