Wer weiß - womöglich gehört das Verbreiten solcher Nachrichten bald der Vergangenheit an. Weil nämlich das Verbreiten solcher und ähnlicher "nuclear-related" Nachrichten gerade vom japanischen Parlament per Gesetz kriminalisiert wird (via Washingtons's Blog):
Justizminister Masako Muri erklärte, nuclear-related Informationen seien künftig höchstwahrscheinlich als Verschlusssache einzustufen.Warum? Zu gefährlich. Oder besser: zu "peinlich". Also, das Verbreiten solcher Informationen, nicht etwa das, worüber informiert wird:
"... um sicherzustellen, dass das Nukleardesaster in Fukushima keinen Anlass mehr bietet für Peinlichkeiten im Vorfeld der Olympischen Spiele."Und deshalb muss ein neues Geheimhaltungsgesetz her.
Für die Regierung Abe wäre dies ein phantastischer Weg, das Problem der Tonnen verstrahlten Wassers in den Griff zu bekommen, die aus dem Fukushima Daichi Nuclear Power Plant seit der dreifachen Kernschmelze im März 2011 austreten. Zwar ist offenbar kein Ende in Sicht, wie das Austreten des giftigen Abfalls zu verhindern ist, aber die neue Gesetzgebung würde es der Regierung erlauben, das Austreten von Informationen zu verhindern.- und, bei Zuwiderhandlung, mit bis zu zehn Jahren Gefängnis zu bestrafen.
Wenn schon die Löcher in den Reaktoren nicht zu stopfen sind, dann muss den Überbringern der schlechten Nachrichten das Maul gestopft werden. Dass dieser Vorgang ganz wörtlich zu verstehen ist, machten die Sicherheitskräfte im japanischen Parlament unmissverständlich klar. Dort bot der demnächst zu verhängende Maulkorb einigen Anlass zu Peinlichkeiten -
Ein Bürger wurde gewaltsam von der Zuschauertribüne des Parlaments, von wo aus er die Debatte des State Secrecy Protection Law im Unterhaus verfolgt hatte, entfernt, als er seinen Widerspruch zu dem Gesetz laut artikuliert hatte. Sein Mund wurde mit Tüchern zugestopft, um ihn an weiteren Ausrufen zu hindern, während er von einigen Sicherheitsbeamten gegen seinen Willen abgeführt wurde.
Tokyo Shinbun/twitter via exskf.blog
- Peinlichkeiten, die allerdings von den übrigen Zuschauern auf der Tribüne geflissentlich ignoriert wurden. Der Sitznachbar des Mannes, dem das Maul gewaltsam gestopft wurde, entzieht sich der Peinlichkeit des Zuschauens durch Wegschauen, genau in die andere Richtung.
Wegschauen war auch die Devise eines Abgeordneten, der es vorzog, seine Emails zu checken, um sich den peinlichen Anblick eines geknebelten, abgeführten Mitbürgers zu ersparen. Mir wiederum fehlen die Worte um auszudrücken, wie peinlich mir das Verhalten der wegschauenden Anwesenden ist.
Noch gibt es in Japan ungestopfte Mäuler. Hier ist ein lohnendes Video einer Pressekonferenz, wo der japanische Schauspieler und Anti-Atomkraft-Aktivist Taro Yamamoto seine kritischen Einschätzungen der aktuellen politischen Lage in Japan abgibt, ungeschminkt und ohne Maulkorb. Besonders augenöffnend sind die letzten zwei bis drei Minuten (auf japanisch, es wird alles präzise und gut verständlich ins Englische übersetzt, allerdings nicht simultan, sondern zeitversetzt, also geduldig sein!):
"Der Weg, den Japan beschreitet, ist die Neuschöpfung des faschistischen Staates."Noch kann ein Yamamoto sich solche öffentlichen Statements erlauben, ohne drastisch bestraft zu werden. Die Frage ist, wie lange noch. Schließlich rückt Olympia (2020) näher und "im Vorfeld" der Zeitpunkt, wo sich die japanische Regierung derartige Peinlichkeiten nicht mehr bieten lassen wird.
Es scheint, das Land der aufgehenden Sonne bewegt sich auf finstere Zeiten zu.Dunkle, mehr als nur peinliche Erinnerungen werden wach. Wer weiß - womöglich wird es rechtzeitig zu den Spielen Lager geben für Leute, die den Mund nicht halten können. Und Speziallager für solche, die den Mund nicht halten wollen.