Mittwoch, 1. Februar 2012

Nebenan


Nebenan

Georg Kreisler

Sicherlich haben Sie schon von den alten Tanten gehört
und ihrem Tangokonzert mitten in der Nacht.
Sicherlich glauben Sie, ich hab mir das damals halt so irgendwie
ausgedacht.
Und mich nur lustig gemacht mitten in der Nacht.
Aber eins steht fest: Die alten Tanten, die tanzen noch immer.
Und nur wir Blöden,
wir sitzen und reden
von Revolution
oder Evolution.
Der Stuss des Gedrängels
um Marx und Engels
wird jeden Tag schlimmer.
Und jeder weiß,
vor lauter Fleiß
gehn wir im Kreis.

Nebenan, man muss nur wissen, wie man hinkommt,
nebenan, in einer obdachlosen Zeit,
nebenan, wo man zu Gott nicht auf den Knien kommt,
gibt's nicht nur Regeln und Raison,
Organisation,
funktionelle Ämter und Gewissenhaftigkeit.

Nebenan fließt eine Welt der Kompromisse,
wo keiner kann und keiner muss und keiner mag.
Nebenan, in einer flüchtigen Kulisse,
spielt sich das Leben langsam ein,
wie bei Papageien,
nur, dass man ein Mensch ist, aber das den ganzen Tag.

Man setzt kein Beispiel,
denn jeder Leistungsdruck wär lächerlich und banal,
man spielt ein Freispiel
und bleibt sich nah,
und durch die unbegrenzten Flüge
wächst das Bedürfnis nach Gefüge.
Es fehlt nur eines: das alles erklärende letzte ja.
Das ist nicht da.
Es gibt kein ja,
und da's kein ja gibt, gibt's kein nein,
auch kein vielleicht und kein mag sein.
Es gibt nur ein nebenan.

Das Nebenan ist allumfassend.
Nebenan ist gleich ums Eck und dann gradaus.
Nebenan, das Wort ist sicherlich nicht passend.
Doch Wörter lässt man ohnehin zuhaus.
Wozu denn Wörter,
wenn Hypothesen und Hoffnung verlässlicher sind,
sie machen härter
und klagen an.
Man kann am Wörterbuch erblinden
statt zu vergessen und zu finden.
Damit wär alles gesagt, was ich dazu sagen kann.
Wir sehn uns dann
halt irgendwann
am dritten Baum
in meinem Traum
gleich nebenan.

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