Mittwoch, 30. November 2011

We'll occupy



Hell yeah. We'll occupy.


Don't worry, sei ängstlich


(auf Bild klicken zum Vergrößern)

Und heute das lustige Ratespiel des Tages:
Wer findet den kleinen Unterschied?

Auflösung:
Der Unterschied findet sich auf dem Titelbild, das uns offenbart, dass es völlig in Ordnung - nachgerade vorteilhaft und von Nutzen für uns - ist, Angst zu entwickeln angesichts all jener Ungewissheiten, Erschütterungen und Verwerfungen, von denen wir tagtäglich umgeben sind. Ist ja auch viel gesünder, eine robuste Ängstlichkeit zu entwickeln statt, meinetwegen, auf die Straße zu gehen und kundzutun, dass man von all den Erschütterungen und Verwerfungen die Schnauze gestrichen voll hat.

Bei längerer Bildbetrachtung könnte man fast meinen, sie wollen, dass die Leute ängstlich werden.

Wenn das kein Fortschritt ist. Es bedarf gar keines Propagandaministeriums mehr. Die Medien erledigen das von selbst. Ein Goebbels hätte seine helle Freude daran. Das System funktioniert wie geschmiert. Oder pfeift aus dem letzten Loch. Je nachdem.


Dienstag, 29. November 2011

Extrablatt


Titelseite von
Occupied Los Angeles Times
Vol. 1 Issue 1
Occupied Los Angeles Times is the inside newspaper from the grounds, minds and skills of the journalist & photographic media team. ... Together we form a media team of many indepth visual, technical and literary skills and talents, a body of a media team born of the Occupy movement here in Los Angeles, born of the Revolution, evolving in it and carrying it upward and onward.
Eine tolle, professionell gemachte Zeitung aus der amerikanischen Occupy Bewegung. Besonders lesenswert: Der Leitartikel "I didn't get it...but we will" - eine Skeptikerin erzählt von ihrer anfänglichen Abwehr und späteren Annäherung an die Bewegung - reflektiert die vielfach vorhandenen (oft medial vermittelten) Berührungsängste mit einer Bewegung, die es in dieser Form bisher noch nicht gegeben hat.

Ihren Niederschlag finden diese Berührungsängste (und, hoffentlich, der Versuch zur Überwindung derselben) auch in den alljährlich stattfindenden Frankfurter Römerberggesprächen am 3. Dezember 2011. Man mag von #occupyfrankfurt halten, was man will - eines steht fest: Wir mischen den öffentlichen Diskurs auf. Nachdrücklich und nachhaltig.

(Irgendwann wird es das Debut der "Occupied Frankfurter Allgemeine" oder so etwas Ähnliches geben. Ich freue mich jetzt schon darauf.)


Samstag, 26. November 2011

Lasst sie doch Pfefferspray essen



Der Einsatz von Pfefferspray ist - zumindest in Amerika - in aller Munde. Dies durchaus im Wortsinne, nachdem friedlich im Sitzen demonstrierende Studenten auf dem Campus in Davis ihre Augen mit Kleidungsstücken schützten, was spraywütige Polizisten veranlasste, den Demonstranten die Münder gewaltsam zu öffnen und ihnen das Pfefferspray direkt in den Schlund zu jagen.

Die Bilder des Sprayers vom Dienst, Lieutenant John Pike, wie er in aller Seelenruhe seine chemische Waffe auf sitzende Studenten richtet, als handelte es sich um das systematische Ausrotten einer lästigen Kakerlakenplage, kursieren längst im Internet. Unzählige Karikaturen, Cartoons, Verhohnepiepelungen des 'Ungeziefervernichters' in staatlichem Auftrag machen inzwischen die Runde.

Ausführlich berichtet der britische Guardian von der konzertierten, an höchster Stelle koordinierten Aktion gegen die aktuellen Protestbewegungen in Amerika. Im deutschsprachigen Raum findet mo klare Worte zu dem gewaltigen Bedrohungspotential, was offenbar von der - medienseits gern als eine Horde harmloser Hippies apostrophierter -Massenbewegung ausgeht ("Die Eliten werden nervös.").

Eine unmissverständliche klare 'Zeichen'sprache hat der politische Karikaturist Mike Flugennock gefunden (Bild oben); und für den Fall, dass seine Zeichnung irgend jemandem erklärungsbedürftig erscheint, legt er ätzend klare Worte nach:
"Sollten Ihnen die Nachrichten über die Wall-Street-Marionette Barack Obama noch nicht gereicht haben, um sich auf vegetativ kurzem Wege Ihres Lunches zu entledigen - die Rede ist von Obamas schönfärberischer, lauwarm artikulierter Unterstützung für Occupy Wall Street - dann tun vielleicht die landesweiten Angriffe auf Camps der Occupy Bewegung ein übriges: Diese Angriffe waren von langer Hand abgestimmt und geplant von den Feds und Obamas DHS (Department of Homeland Securities).

Also, wenn Sie demnächst bei einem Protest der Occupy Bewegung mitmachen und die Schweine wieder mal durchdrehen sollten, zu pfeffersprayen anfangen und die Leute wie Vieh einkesseln, dann erinnern Sie sich doch bitte an den Fakt, dass diese police riots von Bundesbehörden koordiniert wurden, unter der Verwaltung von Barack Obama, und dass dies exakt dasselbe ist, wie wenn President Sparkle Pony höchstpersönlich Sie pfeffersprayen und vertreiben würde."
(Der Begriff Sparkle Pony ist möglicherweise erklärungsbedürftig: Er lässt sich kurz und bündig mit dem Slangwort BAMF gleichsetzen und als solcher leicht eindeutschen.)

Selbstverständlich muss der Einsatz von Pfefferspray keineswegs die ultima ratio sein, um via effektiver staatlicher Bekämpfung den grassierenden #ows-Terror im Keim zu ersticken. Ist ja doch irgendwie eine schmuddelig-unsaubere Angelegenheit, dieses scharfe Zeugs, wo dann alle heulen und husten wie verrückt. Wirksamer - im Sinne von 'keimtötend' - könnte sich bald dieses Instrument erweisen. Und wenn alles nichts nützt, gibt es immer noch diesen humanitären Mechanismus.

Donnerstag, 24. November 2011

Danke fürs Pfeffern


Ha!


No Thanksgiving Day
Without pepperspray

(Macy's Thanksgiving Day Parade 2011)

Klartext



Keine Ahnung, wer da aus dem Klassenkampf einen Informationskampf gemacht hat. Trifft aber voll ins Schwarze, was den Informationsfluss der letzten Tage im Camp von #occupyfrankfurt betrifft: Hat sich doch unter souveräner Missachtung sämtlicher basisdemokratischer Transparenzregeln ein sogenannter Förderverein mit dem Namen "occupyfrankfurt" gegründet - mit allem Drum und Dran, wobei zu dem Drum eine akribisch ausformulierte Vereinssatzung gehört und zu dem Dran der Zugriff auf das Spendengeldkonto. Hallo? Geht's noch?

Seitdem fliegen hier die Fetzen. Und das zu recht. Linkes Gemauschel - im wahrsten doppelten Wortsinne - und schlecht kaschiertes Gepokere um Macht und Geld kommt hier bei der Basis überhaupt nicht gut an. Und wenn uns einer erzählt, das sei doch alles nur "zu unserem Besten", dann schrillen bei uns erst recht die Alarmglocken. Wer lässt sich schon gern für dumm verkaufen? Eben. Keiner.

Das Tolle daran ist:

Jene ominöse - einem Putsch nicht unähnliche - Vereinsgründung hat im Camp überaus produktive, urdemokratische Kräfte freigesetzt, von denen ich bislang zu träumen nicht gewagt habe. Es gibt hier eine Menge Menschen, die mich begeistern, weil sie intelligent und angriffslustig auftreten, dabei sachlich, klar und gut strukturiert argumentieren, sich in keinerlei Hinsicht die Butter vom Brot nehmen lassen, bei denen sich Wachsamkeit mit Schlagfertigkeit paart - Menschen, die dem offenen Konflikt nicht aus dem Weg gehen, die sich nicht scheuen, den Finger genau dort auf die Wunde zu legen, wo es andere am meisten schmerzt. Menschen mit Rückgrat. Menschen mit dem Mut, sich unbeliebt zu machen, die lieber Klartext als schönreden. Menschen, die es langweilt, um des lieben Friedens willen in Harmonie zu schwelgen. Menschen, die mit offenem Visier für das kämpfen, was ihnen wichtig ist.

Ich liebe solche Menschen. Und bin stolz darauf, dass es sie gibt in unserem Camp; dass sie etwas bewegen - weil sie etwas bewegen wollen, anstatt sich Pfründe zu sichern; dass sie für etwas gradestehen und sich nicht krumm machen für Vereinshuberei und Kaderbildung. An Tagen wie heute macht es mich glücklich, mit solchen Menschen gemeinsam in einem Camp zu leben.

Montag, 21. November 2011

Pfefferspray



Too big to fail.
Too big to be jailed.
Freedom for the 1 %.

Pepperspray for the rest.

Sonntag, 20. November 2011

Öffentlich-rechtliche Schnüfflermentalität


Guten Morgen und herzlich willkommen in der Schönen Neuen Welt (Copyright: Aldous Huxley).

Heute nacht gut geschlafen? Etwas Nettes geträumt? Haben Sie sich geschützt und behütet gefühlt in Ihrem privaten Schlafzimmer? Geschützt vor den Übergriffen von Schnüfflern und Voyeuren, die Ihnen hinterherspionieren, weil sie unbedingt herauskriegen wollen, ob Sie wirklich in Ihrem privaten Schlafzimmer genächtigt haben oder vielleicht irgendwo anders? Ja?

Das ist schön für Sie. Denn sollten Sie das Pech haben, statt in ihrem Schlafzimmer in einem Zelt zu übernachten, dann bilden Sie sich bloß nicht ein, im Inneren Ihres Zeltes hätten Sie ein Recht auf Privatheit. Der Hessische Rundfunk ist da nämlich entschieden anderer Meinung. Der Reporter des Hessischen Rundfunks tingelt nämlich nachts durchs Camp von #occupyfrankfurt, ausgerüstet mit einer Wärmebildkamera, um zu checken, ob in den Zelten auch wirklich einer drin liegt oder ob es sich bei der ganzen Veranstaltung um eine Art Phantomcamp handelt.

Ha! Und was hat er herausgefunden, der spionierende Medien-Big-Brother vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Erwischt hat er uns! In weit über hundert Zelten haben insgesamt höchsten 50 zusammengerollte Schlafsackmumien gelegen. Womit er beweisen wollte - ja, was wollte der öffentlich-rechtliche Schnüffler eigentlich beweisen? Dass zum Zeitpunkt X in der Nacht Y nicht alle Camper sich brav in ihren Zelten aufgehalten hatten und der Schnüffler sich darum in seinen öffentlich-rechtlichen Ressentiments gegenüber einer unter freiem Himmel nächtigenden Protestbewegung bestätigt sehen durfte?

Genau das wollte er beweisen. Weshalb er in der Hessenschau vom 18. November triumphierend sein Hi-Tech-Wärmebild-Radargerät in die Kameras hielt und die Zuschauer wissen ließ, er habe das "mal prüfen" wollen. Also, die menschlichen Inhalte in all diesen Zelten wollte er "mal prüfen". Und kam auf seiner nächtlichen Spannertour zu dem sensationellen Ergebnis, dass nach Scannen aller Zelte zwei Drittel aller Zelte unbewohnt waren; sprich, er ist einem Potemkinschen Zelt-Dorf auf die Schliche gekommen. Darüber hat er sich diebisch gefreut und hält seine mediale Observierungskampagne vermutlich für ein Glanzstück an investigativem Journalismus.

Ich dagegen halte das Ausleben solcher journalistischer Bespitzelungsgelüste für übergriffig, um nicht zu sagen, gesetzeswidrig. Hallo? Wenn die Polizei mich erwischen würde, wie ich mithilfe einer Wärmebildkamera ins Innere eines Schlafzimmers, eines Autos, einer öffentlichen Toilette oder eines Zeltes dringe und damit das Recht auf Privatsphäre verletze, dann verwette ich meinen polarkälte-getesteten Schlafsack, dass ich Ärger kriegen und höchstwahrscheinlich wegen Voyeurismus verhaftet werde.

Schon mal was davon gehört, dass Zelte in aller Regel nicht aus transparenten Materialien hergestellt werden, und das aus guten Gründen? Damit nämlich nicht jeder dahergelaufene Peeping Tom ungeniert seinem Gafferwahn fröhnen kann? Nein? Kann einem sensationslüsternen Kontrollfreak vom Hessischen Rundfunk ja auch egal sein. Hauptsache, er kann mit einer geilen Schnüffelstory aufwarten und sich dabei irre originell fühlen.

Apropos originell. Der Hessenschau-Schnüffler ist noch nicht mal selbst auf die Idee mit dem nächtlichen Spähtrip gekommen. Er hat einfach die Methode kopiert, mit der ein paar Wochen zuvor bereits ein englischer Presseschnüffler das Camp von #occupylondon auskundschaften und 'entlarven' wollte. Schließlich sind preiswerte Wärmebildkameras in jedem Elektronikshop erhältlich. Da hängt er sich einfach mal dran, wird sich der hessische Möchtegern-Big-Brother gedacht haben - wird schon keiner merken.

Entgangen ist ihm aus lauter Lust am Entlarven, dass sein englischer Wärmebildkamera-Schnüffelkollege ein paar Tage später aufs Peinlichste entlarvt worden war. Es hatte sich nämlich (in der Tageszeitung Guardian) ein Militärwissenschaftler mit Spezialkenntnissen in wärmebildgebenden Verfahren zu Wort gemeldet und die verwendete Kameratechnologie mitsamt ihren, ähm, sensationellen Aufdeckungen als hausgemachten Blödsinn bezeichnet ("rubbish science").

Ist jetzt ganz dumm gelaufen, lieber Spanner vom öffentlich-rechtlichen Dienst. Oder denkst du immer noch, es wird schon keiner merken? Freu dich mal bloß nicht zu früh. Warte lieber ab, wie gesprächsbereit künftig die Camper von #occupyfrankfurt sein werden, wenn ihnen mal wieder ein Mikrofon vom Hessischen Rundfunk unter die Nase gehalten wird. Weil, auf Bespitzelungstechniken, die uns irgendwie an verdeckte Ermittlungen nach Gestapo-Manier erinnern, fahren wir ganz schlecht ab. Aus Prinzip, wenn du verstehst.


Don't ever give up


Occupy Frankfurt
19. November 2011

Freitag, 18. November 2011

Happy birthday Occupy movement!



Heute nacht habe ich den Livestream von Occupy Wall Street March Across Brooklyn Bridge verfolgt und hörte einen Demonstranten sagen: "I can actually feel the ground shaking." Klingt vielleicht unangemessen pathetisch, ging mir aber genauso - stellenweise hat es mir fast den Boden unter den Füßen weggezogen, so beeindruckend waren die Bilder von (geschätzten) 20.000 Menschen, die sich einerseits lautstark empörten und andererseits - nicht minder lautstark - den zweimonatigen 'Geburtstag' von #occupywallstreet feierten. Der Marsch über die Brooklyn Bridge
"...was intended to culminate in a festival of light as we mark the two-month anniversary of the Occupy movement, and our commitment to shining light into our broken economic and political system."
"Festival of light", the highlight:

An die Seiten des Verizon-Buildings in Lower Manhattan wurden leuchtend blaue Flashlights projiziert - bat signals -, während Tausende über die Brooklyn Bridge marschierten.


Die Botschaft "We are the 99!%" wechselte in "Look around, you are part of a global uprising! Happy birthday Occupy Movement!", dann wurde das Wort "Occupy" geflasht mit jeder - jeder! es sind unzählige! - Stadt, in der sich eine Occupy-Bewegung bewegt:


Es war streetart vom Allerbesten, selbst unter qualitativ allerschlechtesten Livestream-Bedingungen. Unter Live-Bedingungen - also physisch auf der Brücke, gemeinsam mit vielen tausend Protestierenden - muss es überwältigend gewesen sein. Der Jubel der Menschenmassen war ohrenbetäubend, nicht minder die Autofahrer, die zu einem Solidaritäts-Hupkonzert anstimmten.

Ich war, mit einem Wort, bewegt. Bin es ja sowieso.
Und jetzt erst recht. Noch mehr.

Update:

Ja, es war überwältigend.
Es wurden aber auch Menschen überwältigt von der Polizeibrutalität:

"A police officer steps on the head of a demonstrator
affiliated with the Occupy Wall Street movement
as another assists in arresting him
Nov. 17, 2011, in New York."

Donnerstag, 17. November 2011

Hang on


(klick auf Bild macht noch größer)

Solidarität mit Occupy Wall Street!

Vorhin las ich diesen aktuellen Artikel bei Naked Capitalism -
Are You Happy That Your Tax Dollars are Going to Crush #OWS and Other Occupations?
- und dachte: Now, the empire strikes back, und zwar mit allen erdenklichen Ressourcen (materieller und personeller Art), die das System aufbieten kann. Sehr lesenswert!

Bei der Weiterlektüre konnte ich nicht umhin weiterzudenken, diesmal an Gandhis berühmten Spruch: First they ignore you, then they ridicule you (Phase 2, in der sich die deutsche Berichterstattung mehrheitlich komfortabel eingerichtet hat), then they fight you (Phase 3, in Amerika wird in konzertierter Aktion zurückgeschlagen: "This wasn't policing. It was a military operation."), then - hell, what (Phase 4)? You ... win?

Whatever.

Keep it going, brothers and sisters!

Mittwoch, 16. November 2011

Wir kämpfen weiter


Dorli Rainey,
Aktivistin in Seattle,
84 Jahre alt,
nach einem Pfefferspray-Angriff der Polizei
während der Zwangsräumung von Occupy Seattle
am 15. November in Westlake Park
(zum Vergrößern auf Bild klicken)

"This is what can happen to you and your body if you just show up, place your body somewhere that freaks out the establishment, and actively protest the problems inherent and rampant in the system. This type of over-reaction by the authorities is something that people of color and minorities face all the time simply for being, let's remember. But seriously, Holy Fuck.

We owe it to this woman to look in her eyes, to SEE her. We owe it to her to hold her gaze, to not move our eyes away because it is hard to look. We need to keep looking at her specifically BECAUSE it is hard to look." (keepyourboehneroutofmyuterus)

Kommentar des Polizeisprechers von Seattle:
"Pfefferspray kam ausschließlich zum Einsatz gegen Subjekte(!), die sich entweder einem gesetzlichen Befehl zur Auflösung widersetzten oder durch übergriffiges Verhalten gegenüber Polizeibeamten auffielen."
Gegen Subjekte! Nicht etwa gegen 'Bürger', die von ihrem Recht auf Rede- und Versammlungsfreiheit Gebrauch machten - nein, es ist die Rede von Subjekten. Man fragt sich, durch welches übergriffiges Verhalten gegenüber den Ordnungskräften das 84-jährige weibliche 'Subjekt' wohl aufgefallen sein mag?

Die Suche nach einer Antwort ist müßig; denn der Einsatz von Pfefferspray gegen 'Subjekte', die für ihre Bürgerrechte kämpfen, erfolgt inzwischen großflächig - es wird aus allen Rohren geschossen. Demnächst dürften zur wirkungsvolleren Bekämpfung der flächendeckenden Protestbewegung in Amerika wahrscheinlich Sprinkleranlagen mit Pfefferspray gefüllt werden.


Es wird nichts nützen. Sie kehren alle zurück, die Occupier in Seattle, in Berkeley, in Portland, in Oakland, in New York City. Sie nehmen sich den öffentlichen Raum, weil er ihnen zusteht. Weil sie gelernt haben, dass es ihre physische Präsenz im öffentlichen Raum ist, die die herrschende Macht nervös und übergriffig werden lässt.

"They're here to stay!":
Großartige Berichterstattung von Rachel Maddow zu den jüngsten polizeilichen Übergriffen auf die Occupy-Bewegung - mit einem meisterhaft eleganten, historischen Rückgriff auf das Jahr 1964, als in Berkeley um das Recht auf freie Rede im öffentlichen Raum gekämpft wurde:



Update:

Dorli Rainey antwortet im Interview auf Keith Olbermanns Frage nach ihrem Befinden:
"I feel great. I feel so energized. It's so amazing the effect a little pepper spray can have on you."
Die 84-jährige Occupy-Aktivistin stammt aus Deutschland. Der aktuelle Status quo in Amerika ruft Erinnerungen in ihr wach:
"I remember Goebbels. I grew up over there. I remember the shrinking of the print media. We had one newspaper, and it was called the Völkische Beobachter, Peoples' Observer. It was the same from North Germany to South Austria, the same propaganda ... and I see the same thing happening here where we have really no more free media that will bring you the issues instead of the soft, fluff entertainment."

Dorli Raineys Empfehlung an alle, die zuhause sitzenbleiben:
"Whatever you do, take one more step out of your comfort zone, and that is what I do: I take a step out of my comfort zone. It would be so easy to say, 'well, I'm going to retire, I'm going to sit around, watch television or eat bonbons,' but somebody's got to keep 'em awake and let 'em know what is really going on in this world."
Sehr empfehlenswerte Empfehlung.

Dienstag, 15. November 2011

Occupywallstreet wird gewaltsam geräumt


"This is the NYPD line formed when a pack of reporters demanded access"

Occupy Wall Street:

Zur Stunde (d.h. mitten in der Nacht NY Ortszeit) wird Liberty Square (Zuccotti Park) von der New Yorker Polizei gewaltsam geräumt.

Das Küchenzelt wurde mit Tränengas attackiert. Bulldozer dringen ins Camp ein. Persönliche Besitztümer von Campern werden zerstört. Bäume im Park werden gefällt. Die umliegenden U-Bahnstationen sind geschlossen. Die Brooklyn Bridge wurde gesperrt. Reporter werden nicht zugelassen. Die Polizei ist teils schwer bewaffnet.

Aktuelle Berichterstattung in der New York Times.

Berichterstattung (updated) bei naked capitalism:
"More evidence of efforts to create a press blackout."
Video hier.


"Some of the cops involved were from the 'Counter Terrorism' force (see photo), confirming that for the neoliberal global regime a 'terrorist' is simply a term to describe anyone who challenges their domination."
Berichterstattung (updated) mit Live stream bei occupywallstreet.org:
"We will reoccupy!"



Montag, 14. November 2011

Hör' auf das Management


via Felix

Listen to the management.
Don't occupy anything.
Let yourself be occupied.
They will take care of you.
You just have to believe them.
Listen to the management.

Samstag, 12. November 2011

Cool bleiben


Stay on the scene.
(James Brown)

#occupyOakland, Generalstreik, 2. November 2011

(Bild: Nelson Estrada via Golden Gate Express)

Let it roll


Ein anderes Wort für einen Nagel, der von einem rollenden Stein auf den Kopf getroffen wird? Antwort: Matt Taibbi, Kolumnist bei dem amerikanischen Magazin Rolling Stone.

Matt Taibbi antwortet auf die notorische Frage "Was wollen die eigentlich?" - gern kopfschüttelnd und verständnislos gestellt - mit einem Artikel, den er überschreibt:
"How I stopped worrying and learned to love the OWS protests"
Taibbi ist sich nicht zu schade einzugestehen, dass er die Occupy-Bewegung anfangs kritisch beäugt und seinem Bedürfnis nachgegeben hatte, sich von ihr - wenn auch wohlwollend - zu distanzieren.
At first, I misunderstood Occupy Wall Street.

The first few times I went down to Zuccotti Park, I came away with mixed feelings. I loved the energy and was amazed by the obvious organic appeal of the movement, the way it was growing on its own. But my initial impression was that it would not be taken very seriously by the Citibanks and Goldman Sachs of the world. You could put 50.000 angry protesters on Wall Street, 100.000 even, and Lloyd Blankfein is probably not going to break a sweat. ... Yell and scream all you want, but he and his fellow Frankensteins are the only ones who know how to turn the machine off.

That's what I was thinking during the first weeks of the protests. But I'm beginning to see another angle.
Je mehr Taibbi zu der Bewegung Tuchfühlung aufnahm, desto weniger interessierten ihn Fragen wie jene, wofür oder wogegen die Aktivisten auf der Straße eigentlich seien oder wann diese sich endlich bequemen würden, einen konkreten, klar umrissenen Forderungkatalog zu präsentieren (die allseitige Forderung nach Forderungen ist auch hierzulande unüberhörbar).
Occupy Wall Street was always about something much bigger than a movement against big banks and modern finance. It's about providing a forum to people to show how tired they are not just of Wall Street, but enerything. This is a visceral, impassioned, deep-seated rejection of the entire direction of our society, a refusal to take even one more step forward into the shallow commercial abyss of phoniness, short-term calculation, withered idalism and intellectual bankruptcy that American mass society has become. If there is such a thing as going on strike from one's own culture, this ist it.
Das ist der Nagel: die herrschende Kultur in aller ihrer Deformation und Kaputtheit zu 'bestreiken' und den Versuch einer anderen Lebensform (ich habe das neulich ein 'soziales Experiment' genannt) dagegen zu setzen. Das mag als Entwurf schlichter klingen, als es manchem lieb ist, ist aber nun mal so.
They (OWS) don't care what we think they're about, or should be about. They just want something different.
In anderen Worten: Die Bewegung, die Camps, der belagerte öffentliche Raum existiert, weil er existiert. Occupy existiert, um zu existieren. Nicht mehr (zunächst), aber auch nicht weniger.

Das war jetzt der Nagel. Und wo ist des Nagels Kopf? Hier:
People don't know exactly what they want, but as one friend of mine put it, they know one thing: FUCK THIS SHIT! We want something different: a different life, with different values, or at least a chance at different values.
Und genau das probieren wir einfach aus. Mit unglaublich viel Pannen, Bauchlandungen, Fehlzündungen; mit unglaublich viel Erfolg und Befriedigung, sonst würde es uns alle hier bei kälter und unwirtlicher werdenden Umständen nicht halten.
People want to go someplace for at least five minutes where no one is trying to bleed you or sell you something. It may not be a real model for anything, but it's at least a place where people are free to dream of some other way for human beings to get along, beyond auctioned "democracy", tyrannical commerce and the bottom line.
Es macht Freude, das zu lesen, weil es Freude macht, sich verstanden zu fühlen.

Matt Taibbi schließt mit den Worten:
Eventually the Occupy movement will need to be specific about how it wants to change the world. But for right now, it just needs to grow. And if it wants to sleep on the streets for a while and not structure itself into a traditional campaign of grassroots organizing, it should. It doesn't need to tell the world what it wants. It is succeeding, for now, just by being something different.
That hits the nail on the head.
Oder: Occupy-Naachel uff de Kopp getroffe (wie der Frankfurter sagt).


Donnerstag, 10. November 2011

Versüßt


(auf Bild klicken zum Vergrößern)

Das Ding mit der 'Pfadfinderromantik' ist ja sehr beliebt, wenn es darum geht, dem Camp #occupyfrankfurt von außen einen Stempel zu verpassen. Einen Stempel, der sitzt, passt und noch Luft für ähnliches lässt, zum Beispiel: Kindergarten, Esoterikerhaufen, Hippie-Traumtänzer.

Es hat jetzt gar keinen Sinn mehr abzustreiten, dass wir konspirativ von den Pfadfindern unterwandert werden, wie vom obigen Bild dokumentiert. Stellen die sich doch in aller Öffentlichkeit mit einem getarnten Kleintransporter (Pfadfinder-Unterwanderungsmobil) vor das Camp und fangen an, Crèpes zu backen. Um all den verfressenen Camp-Hippies das Maul mit Süßem zu stopfen. Auf dass der kollektive Blutzuckerspiegel steige und die Hirne verklebe, und infolgedessen die kritisch-politische Hirnaktivität der Camp-Aktivisten in den Keller rutsche.

Machen die wirklich raffiniert, diese Leute von der organisierten Pfadfinder-Guerilla. Ich habe jetzt bereits zwei Nutella-Crepes intus und bin davon so bedröhnt, dass es mir unmöglich ist, die blaugelben Pfadfinderinsignien (Halsschlinge!) von der einschlägigen Farbgebung einer uns ebenfalls angeblich unterwandernden Partei zu unterscheiden.

Und damit zurück ans wärmende Lagerfeuer. Ich brauche dringend einen verdauungsfördernden Romantikschub.

Mittwoch, 9. November 2011

Korrupt? Na klar.


Jeden Samstagabend verwandelt sich das Camp in eine Kulturmeile. Bei lauter Musik wird viel, um nicht zu sagen exzessiv, gefeiert. Das machen wir extra so, damit tags darauf die Presse die Gelegenheit hat zu schreiben, dass bei #occupyfrankfurt viel und laut gefeiert und wenig ernstzunehmend über politische Sachverhalte diskutiert werde.

Diesen Samstagabend wird es zur allgemeinen Partystimmung ein eher ruhiges, aber hochkonzentriertes Kontrastprogramm geben: Der investigative Journalist und Buchautor Mathew D. Rose wird aus seinem neu erschienenen Buch Korrupt? (Heyne Verlag, Oktober 2011) lesen.


Darin beschreibt Mathew D. Rose, wie sich
"... in den vergangenen Jahren, in der Berliner Republik, die Lobbystrukturen und damit die Beeinflussung der Politik durch die Wirtschaft veränderte. ...

Rose betrachtet dabei - und das ist die Pointe von "Korrupt?" - die Parteien und die Politiker als ökonomische Akteure, die auch nach einer ökonomischen Logik agieren. Danach geht es den Politikern nur noch darum, ihren eigenen Marktwert zu steigern. Feste Überzeugungen sind da nur hinderlich. Trotzdem verblüfften die teilweise atemberaubend schnellen Wechsel von Politikern aus der rot-grünen Bundesregierung in die Wirtschaft. Da hatten grüne Politiker plötzlich keine Probleme mehr, für Atomenergiekonzerne und die Tabakindustrie zu arbeiten. ...

Gleichzeitig erlebte der Neoliberalismus seinen endgültigen Durchbruch. Der Glaube, dass der Markt Dinge besser als die Politik regeln könnte, war weit verbreitet und wurde von den Lobbyisten und Think Tanks gegenüber den Bundestagsabgeordneten entsprechend gepflegt.

Dieser Blick, der, wie Rose schon im Vorwort sagt, stark von Colin Crouchs "Postdemokratie" und John Dunns "Setting the People Free" beeinflusst ist, erklärt auch das aktuelle Geflecht von Politik, Lobbyismus und Medien ganz gut. Sowohl aus der analytischen Außenperspektive eines Historikers, als auch aus der Binnenperspektive der Politiker."
(zitiert nach: Kriminalakte)

Das Thema passt hervorragend in die politische Arbeit im Camp, denn Korruption und 'money and politics' gehören zu den am intensivsten diskutierten Problemstellungen in den Arbeitskreisen und Workshops. (Wenn wir ausnahmsweise mal nicht viel und laut feiern.)

Mathew D. Rose lädt zu seiner Samstagabend-Lesung ein mit den Worten:
Politik als Big Business
oder der Ausverkauf der Demokratie

Es geht den deutschen politischen Klassen nicht mehr um die Gestaltung der sozialen und ökonomischen Verhältnisse im Sinne eines Gemeinwohls. Sie sind ein Wirtchaftszweig geworden, eine gewinnorientierte Dienstleistung, die einen Service anbietet: die Umsetzung von Partikularinteressen in Gesetze. Die Demokratie ist zur Ware geworden und gehört dem Meistbietenden und diese scheinen immer die Unternehmen und Wohlhabenden zu sein. Die Industrieländer nehmen soziale Strukturen an, die zunehmend an die Dritte Welt erinnern, eine kleine, extrem reiche Oberschicht und das verarmte Volk. Die jüngsten Ereignisse in Griechenland zeigen uns, wie eine Demokratie außer Kraft gesetzt wird, um dieses Ziel zu erreichen.
Empfehlenswert!

Samstag, 12. November 2011
20 Uhr
Schauspiel Frankfurt, Kantine
(gegenüber vom Camp #occupyfrankfurt)

Dienstag, 8. November 2011

Am Hintern knapp vorbei


(*klickBild* macht groß)

Mit der Rechtschreibung ist das so eine Sache.
Mitunter erwischt sie einen voll von hinten.
Dann aber richtig.
Nur an der falschen Stelle.

Samstag, 5. November 2011

Das mit der Revolution



Satte drei Wochen hat #occupyfrankfurt jetzt auf dem Buckel, und kein Ende in Sicht. Für mich ist das zarte Jubiläum ein Anlass, in zarten Jubel auszubrechen über das, was mir hier so widerfährt.

Zart (statt in den höchsten Tönen jubilierend) deshalb, weil unendlich vieles, durchaus Wichtiges auf dem Camp auch nach drei Wochen noch nicht rund läuft, ich mich streckenweise tierisch darüber aufregen kann, schimpfend durch das Camp stapfe wie ein Huhn, das seine Eier nicht gelegt kriegt und mich in solchen Momenten frage, was das Ganze eigentlich soll. Und was ich bei dem Ganzen eigentlich soll.
Und überhaupt.

Aber - genau dann passiert halt immer irgend etwas. Gestern mittag zum Beispiel begegnete mir auf einer meiner Schimpf-und-Stapftouren eine liebgewordene Camp-Bekanntschaft: Ein Frankfurter mittleren Alters, den es am zweiten Camptag eher zufällig in eine der spontanen Bürgerdiskussionsgruppen gespült hat und der seitdem als aktiver Teilnehmer hier 'hängengeblieben' ist. Wir kamen ins Palavern, er erzählte über das, was ihm auf dem Camp so widerfährt, und ich vergaß meine sämtlichen ungelegten Eier, als er vor sich hin sinnierte:
"Mein ganzes Leben war ich zu faul, zur Revolution zu kommen - plötzlich ist die Revolution zu mir gekommen, und jetzt gibt es kein Ausweichen mehr."
Volltreffer. Mir geht es genauso, obwohl ich es vielleicht anders ausgedrückt hätte (weil mir der Begriff Revolution zu gewaltig erschienen wäre), aber - in jenem Gesprächsmoment erschien mir der Begriff durchaus angemessen. Denn im alltäglichen selbstorganisierten Zusammenleben und -raufen und dem ständigen - besonders dem 'zufällig' zustandekommenden - zwischenmenschlichen Austausch findet tatsächlich etwas Revolutionäres statt. Etwas, was fernab aller institutionellen Absicherung funktioniert, bereichert und das, was gestern oder vorgestern war, heute auf eine neue, unbekannte Ebene hebt und damit das, was gestern oder vorgestern war, aufhebt. Was wiederum dazu führt, dass ich nach drei Wochen Camperfahrung eine Art intuitives Wissen in mir trage, dass das, was mich heute stört, sich morgen höchstwahrscheinlich mir in völlig veränderter Perspektive präsentieren wird, und dann - ja, was dann? - ja, dann wird man schon sehen.

Das macht mich offener und durchlässiger, als ich es aus meinem bisherigen Leben kenne. Nicht auszuschließen ist, dass ich übermorgen noch durchlässiger sein werde, wenn auch womöglich über den Umweg eines neuerlichen temporären Anfalls von Sturheit und Verdrossenheit. So what. Es hat ja nie einer behauptet, die Revolution sei ein Spaziergang auf einer Strandpromenade. Auch wenn es Leute im Camp gibt, die solches zu träumen scheinen. Worüber ich mich schon wieder aufregen könnte. Dies aber auch einfach bleiben lassen kann. Das ist es, was ich mit 'durchlässiger' meine. Unter anderem.


Gestern führte ich - mit großem Vergnügen - eine Schülergruppe durchs Camp und stand für alle Fragen zur Verfügung. Gymnasiale Oberstufe, "wir machen gerade so ein Projekt 'Politische Wissenschaften' und dachten, das Camp von occupyfrankfurt wäre dafür ein gut geeignetes Objekt", erklärte mir der Lehrer, der sich nach eigenen Worten lieber als 'Betreuer' verstand. Wie, Objekt?, dachte ich, wo doch hier alles sehr subjekthaft abläuft, unterließ es aber, mich aufzuregen, weil, was können die Schüler dafür, wenn der Lehrer das Camp als Objekt betrachtet. Irgendwann standen wir alle im Kreis auf der Wiese, die Schüler bombardierten mich mit Fragen, ein paar Passanten stellten sich neugierig dazu und stellten auch Fragen, ein paar Camper stellten sich neugierig dazu und gaben auch Antworten.

Der Lehrer wollte wissen, "in welcher politischen Begrifflichkeit" sich das Camp denn nun "definiere", denn, so führte er aus, das Ganze sei ja weder eine Demonstration noch eine Kundgebung noch eine "organisierte, abgegrenzte Protestbewegung" - also, was dieses Camp denn nun eigentlich sei? Ein Labor, blubberte es aus mir heraus, ein soziales Experiment, um genau zu sein, ein revolutionäres soziales Experiment.

Ah ja, erwiderte der Lehrer, machte eine vage Handbewegung über das Camp und meinte, ob denn wirklich alle Menschen, die sich im Camp aufhielten, zu diesem sozialen Experiment gehörten? Weil, so der Lehrer weiter, wir Camper müssten doch schon sehr aufpassen, dass von den Medien kein negatives Bild gezeichnet werde wegen "gewissen Leuten, die hier eventuell einen ungünstigen Eindruck hinterlassen, obwohl sie doch gar nicht zum Camp gehörten"? Tunlichst vermied es der Lehrer, das schlimme O-Wort explizit auszusprechen, jenes Wort, das ansonsten jeder im Camp mit der größten Selbstverständlichkeit in den Mund nimmt, am selbstverständlichsten die vielen Obdachlosen im Camp, die hier leben, schlafen, essen, natürlich auch trinken, für Konfliktstoff sorgen, beim Holzhacken und Geschirrspülen helfen, mitunter unsäglich nerven, aber auch coole, (über)lebenserfahrene Kumpel sein können.

Nö, beschied ich dem Lehrer. Denn was wäre denn die Alternative? Die Obdachlosen aus dem Camp entfernen, damit die Presse wohlwollend über uns berichtet? Kann's ja wohl nicht sein. Überdies stellte ich in genau diesem Moment mit Befriedigung fest, dass es mir nach drei Wochen Camperfahrung weitgehend egal geworden ist, was und wie die Presse über uns berichtet. Denn auf Medienseite sind ganz klar Interessen am Werk, auf die wir letzten Endes gar keinen Einfluss haben, ganz egal, wie brav-musterschülerhaft oder bös-revoluzzermäßig wir uns präsentieren.


Die Schüler nutzten das Stichwort Medien zu einem weiteren angeregten Diskurs über Selbstdarstellung, öffentliche Kommunikation, dies und das, wollten wissen, wie eine basisdemokratische Asamblea funktioniert (mühsam), ob die fünf Dixi-Klos ausreichten bei Hunderten von Campern (nicht wirklich), ob wir genug zu essen hätten (ja, die Frankfurter Bevölkerung füttert uns regelrecht durch), wann mit einem politischen Programm zu rechnen sei (frühestens nächsten Frühling), ob wir keine Schiss vor den Wintermonaten hätten (die ersten Paletten und Styroporplatten sind bereits eingetroffen) und ob sich tatsächlich während so einer internen Führung jeder einfach so dazustellen und seinen Senf dazugeben könne (ja freilich, das gehört zum revolutionären sozialen Experiment).


Irgendwann während dieser aufgeweckten Frage- und Antwortstunde hatte sich ein obdachloser Mann neugierig in die Runde dazu gestellt und aufmerksam zugehört, hin und wieder "genau so isses" oder "leben heißt überleben" eingeworfen und sich dann, mitten in eine kurze Gesprächspause hinein, mit einem nicht übertrieben lauten, aber doch deutlich vernehmbaren Rülpsen erleichtert. Der Lehrer guckte peinlich berührt zu Boden, die Schüler kicherten verhalten, die Passanten grinsten, einer der Camper kommentierte weise: "Genau so isses, das Leben!", worauf der obdachlose Mann, zustimmend nickend, erwiderte: "Das hast du voll erfasst, das mit dem Leben!"

Ja, so ist es, das Leben hier im Camp. Es steht jedem frei, sich über so etwas aufzuregen. Oder es einfach bleiben zu lassen. Oder sich vorgestern über so etwas aufzuregen und übermorgen darüber zu lachen. Und in den dazwischenliegenden Tagen etwas zu lernen. Kann jeder für sich entscheiden. Das ist das Schöne im Camp.


Donnerstag, 3. November 2011

"An der Brieftasche verwachsen"



Dmitry Orlov alias 'Kollapsnik' vom Blog Club Orlov meldet sich auf Deutsch zu Wort: Er hat das, was er "meine nette, geordnete Taxonomie des Kollaps, 'Die fünf Stadien des Kollaps'" nennt (veröffentlicht im Februar 2008), aktuell revidiert (und soeben aus dem Englischen übersetzt), denn, wie er sagt, "der Kollaps verläuft bisher nicht nach Plan".
"Ich hätte mir eine geordnete Kaskade kollabierender Institutionen gewünscht, mit genügend Abstand zwischen den Ereignissen, damit sich allgemeine Psyche und Habitus an die neue Realität anpassen können. Doch die fast vier verschwendeten Jahre, in denen die Finanzwelt und Regierung nun schon auf eine Zukunft setzen, die nicht existieren kann, und dabei jeden Einsatz verdoppeln, den sie verlieren, haben diese Hoffnung zerschlagen. Ich denke, der Effekt wird lediglich der sein, dass sich finanzieller und politischer Kollaps in einer einzigen chaotischen Periode verdichten. Der wirtschaftliche Zusammenbruch wird dann nicht lange auf sich warten lassen, denn der globale Handel ist vom globalen Finanzwesen abhängig, und sobald internationale Kredite austrocknen, fahren Tanker und Frachter nicht mehr. Kurz danach gehen die Lichter aus.

'Die fünf Stadien des Kollaps' war eine nette Theorie. Ach, hätten wir doch nur so viel Glück gehabt! Ich schreibe das, um Sie zu warnen: Erwarten Sie besser nichts derart Geordnetes."
Lesenswert, der ganze Artikel.

Occupy Halloween



Rätselhaft. Ein Mitglied der New Yorker Polizei (NYPD) mit Guy-Fawkes-Maske? Oder ein Mitglied von Anonymous in NYPD-Uniform? Man weiß es nicht. Halloween halt.

Wärmequellen


Man könnte fast denken, es ist Frühling. Tagsüber jedenfalls. Sobald es dunkel wird, fühlt es sich sehr herbstlich an, und in den frühen Morgenstunden, so zwischen drei und fünf Uhr, zeigt der kalendarische November seine gnadenlos kalte Schulter. Bald kommt der Winter.

Aktuell ganz oben auf der Camp-Agenda: Wie kriegen wir das Zeltlager winterfest? Wertvolle Unterstützung und Knowhow bekommen wir von altgedienten Pfadfindern; zum Beispiel lässt sich aus leeren Konservendosen und noch ein paar Utensilien ein irres Konstrukt basteln, welches das Innere eines Zeltes für eine gewisse Zeit warm hält. Es funktioniert - meine klammen Finger haben es während einer mehrstündigen Pilotphase erlebt. Demnächst werden die Konservendosen-Wärmespender in Serienproduktion gehen.

Einstweilen behelfen wir uns für die Zelt- bzw. Fingerheizung mit patentverdächtigen, dekorativen Kanonenöfchen, natürlich selbstgebastelt -

- unten Teelicht, oben Alufolie, drumherum sichwärmende Hände an im Kreis sitzenden Körpern mit obendran Köpfen und darin wiederum Mündern, aus denen viel Kluges, manchmal Albernes, oft Lustiges, auf alle Fälle Interessantes, Belebendes, Anregendes, Wärmendes herauskommt. Daher der Name Ofupy.

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empfehlenswerte Alternative zu Facebook
(klick auf Bild zum Vergrößern)

Dienstag, 1. November 2011

Informationsflüsse



So ein Infozelt ist ein magischer Ort. Weil dort so viel Überraschendes passiert. Eigentlich ist das Infozelt mein Lieblingsort auf dem Camp, mal abgesehen vom Küchenzelt, was natürlich mein absoluter Lieblingsort ist, weil dort ebenfalls viel Überraschendes passiert und es dauernd etwas Gutes, nicht selten Überraschendes zu essen gibt.

Das Infozelt ist ständig belagert mit kontakt- und gesprächsfreudigen Besuchern, sowohl Erstbesuchern als auch Camp-Stammgästen. Kaum stehen zwei, drei Leute am Infotisch, gesellen sich drei, vier weitere dazu, und dann wird kreuz und quer politisiert. Es gibt so einen Spruch, der geht: "Wo die Ärsche sich reiben, fühlt der Frankfurter sich wohl" - bitte, der Spruch stammt nicht von mir, aber ich bin mir nicht zu schade, ihn an dieser Stelle weiterzugeben - und er scheint die hiesige Mentalität so zartfühlend wie prägnant auf den Punkt zu bringen


Das Infozelt heißt Infozelt, weil man sich dort informieren kann, und das gilt für die Leute vor dem Infotisch gleichermaßen wie für die Leute hinterm Infotisch, in dem Fall mich. Neulich stellte ich nämlich während einer heißlaufenden Debatte mit sich informierenden Campbesuchern fest, dass meine eigene politische Informiertheit aktuell drastische Lücken aufweist; zum Beispiel, wenn es um diesen sagenhaften neumodischen finanztechnischen 'Hebel' geht. Fragt mich so ein diskussionsfreudiger Frankfurter: "Ei, und was saache Sie jetzt zu dieser merkwürdische Hebelgeschischte?" - ruckzuck war ich ausgehebelt, weil ohne den geringsten Schimmer von der Materie. Gut, über die, sagen wir, Hebelwirkung einer Axt beim Holzhacken hätte ich locker in epischer Breite fachsimpeln können; aber dieses obskure Finanzhebeldings war - wie derzeit vieles andere, infolge Zeitmangels und fehlenden Internetzugangs - ein weißer Fleck auf meiner politischen Bildungslandkarte. Ist es, gottlob, aber nicht mehr, denn dank Infozelt weiß ich jetzt, was ein Hebel ist.


Auch die Bewegungen auf den internationalen Finanzmärkten sind mir momentan ein Buch mit sieben Siegeln. Der Dax? Was weiß denn ich? Nur Bahnhof. Macht aber nichts, denn von dieser jungen Frau (12) wurde ich aufgeklärt: "Der Dax ist ja was ganz Blödes. Weil, wenn der Dax hoch geht, geht es den Menschen in Griechenland schlecht", und, fuhr sie fort, aus diesem wie auch anderen Gründen wolle sie später mal Politikerin werden, denn: "AKWs sind ja auch was ganz Blödes - passiert ein Unfall, dauert es mindestens 1000 Jahre, bis alles wieder in Ordnung ist, und dafür bin ich ja jetzt schon viel zu alt."


Sprach's und trug sich ins Gästebuch ein.

"Ich finde es toll, dass die Leute hier kampen!
Ich hoffe, dass die Meinung von ihnen durchgesetzt wird.
Die Banker sollen ihre Schulden selbst bezahlen.
BHF und Deutsche Bank
machen unsere Zukunft krank!!!
Macht so weiter!"

Wir machen weiter.