Samstag, 25. Juni 2011

Auf den Hund gekommen


Eigentlich wollte ich schon die ganze Zeit eine Geschichte über einen griechischen Hund schreiben. Der Hund heißt Loukanikos (deutsch: Wurst) und ist ein wild (also frei) streunender Hund, herrenlos (also sein eigener Herr).

Loukanikos mischt überall mit, wo in Athen zur Zeit revolutionär was los ist, also vorzugsweise auf Syntagma Square. Bemerkenswert an Loukanikos ist, dass er immer genau weiß, auf welche revolutionäre Seite er gehört, von wo aus er dann so hingebungsvoll wie furchtlos die martialisch bewaffneten Polizisten anzubellen pflegt. Ansonsten marschiert er stets in vorderster Front der protestierenden griechischen Indignados mit, und weder Tränengas noch Wasserwerfer scheinen sein metzgerhundähnliches Gemüt erschüttern zu können.


Loukanikos hat inzwischen sogar eine eigene Website mit integriertem Fotoalbum, ist also gewissermaßen zu einer Art empörtem Celebrity-Hund mit Kultstatus geworden. Insofern weiß ich gar nicht, ob er überhaupt noch mehr Publicity seitens eines deutschen Blogs mit Revolutionsschlagseite nötig hat.

Im übrigen ist Loukanikos im Land der streunenden Hunde beileibe nicht der einzige Revoluzzerköter, und damit er sich das gar nicht erst einbildet, wende ich mich nun dem (noch) unbekannten revoltierenden griechischen Hundenachwuchs zu. Die Bezeichnung "Nachwuchs" ist insofern irreführend, als Thanassis alias Jack (so heißt er) schon ziemlich betagt, jedoch durchaus rüstig und von stoischem Temperament ist.

Ein Hund mit Lebenserfahrung also. Jack hieß in seinem vorrevolutionären Leben Bruno. Das kam so: Seine ehemaligen Besitzer - gutsituiert, Villa, Swimmingpool - hatten Thanassis adoptiert, nachdem dieser Zeuge geworden war, wie seine vor-ehemaligen Besitzer im eigenen Haus ermordet wurden, dachten: neues Hundeleben, neuer Name!, und tauften ihn kurzerhand in einen deutschklingenden 'Bruno' um. Wie reiche Leute halt so ticken.

Als Bruno führte Thanassis ein ziemlich komfortables Leben, so mit großem Garten, eigener Hundehütte und - für Thanassis-Bruno das Nonplusultra an savoir vivre - eigens für Hunde hergestelltem Hundefutter. Bis der Tag kam, als seine Besitzer von der Finanzkrise erwischt wurden und alles verloren, Job, Villa, Swimmingpool, SUV. Und sich den Hund genauso wenig mehr leisten konnten wie das deutsche Kinderfräulein und die afrikanische Haushaltshilfe, die den Haushund Bruno immer an der Leine spazieren zu führen pflegte, zum großen Erstaunen von Bruno, dem eine Hundeleine - aus seinem lebensgeschichtlichen Thanassis-Abschnitt - fremd war.

Jedenfalls, die Krise machte dem guten Hundeleben ein Ende, aus dem wohlstandsverwöhnten Bruno wurde der herren- und wohnsitzlose Krisenhund Jack. Eines Tages macht Jack sich auf die Pfoten, streunt neugierig gen Syntagma Square und beschließt dort, ein neues, unabhängiges Leben zu beginnen.

Natürlich hört Jack irgendwann von dem zu revolutionärem Ruhm gekommenen Loukanikos. Jack findet, dass Loukanikos ein Hund von eher beschränktem Verstand sein muss, denn warum, so fragt sich Jack, ist Loukanikos so blöd und lässt sich das Tränengas direkt auf die Schnauze sprühen? Im übrigen denkt sich Jack sein Teil, als er Loukanikos' Bild auf den Titelseiten der Zeitungen und sogar bei den BBC News sieht - "aufgeblasener Wichtigtuer".

So irrt der wohnungslose hungrige Hund Jack durchs Syntagma-Getümmel, schüttelt über vieles den Kopf, weil er vieles nicht versteht, zieht seine eigenen Rückschlüsse und findet schließlich Anschluss. Dann nämlich, als er begreift, dass es nicht nur griechische Hunde, sondern auch griechische Menschen gibt, die keine Wohnung, aber Hunger haben.


Wem das jetzt alles viel zu durcheinander und die Geschichte von Jack zu verwirrend war, schaut sich den Film mit Jack in der Hauptrolle an. Danach wird er vieles verstehen. Ich zum Beispiel verstehe, warum ich jedes Mal, wenn ich den Film angeschaut habe, ihn gleich noch einmal anschaue. Weil ich den Film liebe. Und weil ich Jack liebe.

10 Kommentare:

  1. Diese Rampensau Loukanikos kriegt schon wieder PR:

    "Breaking News...Colonel Papandreou orders the arrest of Loukanikos (Riot dog) as he is destabilizing his regimes ability to sell out the people of Greece. Colonel Papandreou will not hold early elections as recent polls suggest that Loukanikos would win a landslide victory. When Loukanikos was pressed in what he would do to save the Greek people. ”Since they put the bite on you it’s my duty to put the bite on them.” It’s based on trusted economic principle of ...Dog eat Dog”

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  2. Ich finde es seltsam, daß trotz des Hype um Louk, der ihn bis in die Werbung gebracht hat, es scheinbar kaum wen interessiert, wenn die Polizei versucht ihn totzuschlagen.
    Siehe unten 1. Ergänzung:http://de.indymedia.org/2011/06/309972.shtml

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  3. Danke für den Hinweis.

    Hier ein direkter Link zu dem Foto.

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  4. "Wenn wir einmal die Natürliche Wirtschaftsordnung erleben, dann braucht man sie nicht mehr in Büchern zu studieren, dann wird alles so klar, so selbstverständlich. Wie bald wird dann auch die Zeit kommen, wo man den Verfasser bemitleiden wird, nicht aber, wie es heute noch geschieht, weil er solch utopischen Wahngebilden nachstrebt, sondern weil er seine Zeit der Verbreitung einer Lehre widmete, die ja doch nur aus einer Reihe banalster Selbstverständlichkeiten besteht."

    Silvio Gesell

    Angefangen bei Franz Oppenheimer und John Maynard Keynes (um nur die bekanntesten zu nennen) hat es immer wieder "Besserwisser" gegeben, die versucht haben, "Die Natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld" (Silvio Gesell, 1916) ganz oder teilweise anzuzweifeln. Alle sind gescheitert. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn wer kein "Besserwisser", sondern einfach nur ehrlich ist, wird einsehen, dass Silvio Gesell zweifelsfrei in allen Punkten Recht hatte.

    Die Alles entscheidende Frage lautet: Welcher kollektive Wahnsinn führte die Menschheit bis an den Rand der größten anzunehmenden Katastrophe der Weltkulturgeschichte (globale Liquiditätsfalle), anstatt die "banalsten Selbstverständlichkeiten" zu verstehen und heute auf einem Zivilisationsniveau zu leben, das bestenfalls erahnen kann, wer die "Großen Vier" (Heinlein, Asimov, Lem, Clarke) vollständig gelesen hat? Fragen wir jemanden, der die Antwort gewusst haben muss:

    "Ich glaube - und hoffe - auch, dass Politik und Wirtschaft in der Zukunft nicht mehr so wichtig sein werden wie in der Vergangenheit. Die Zeit wird kommen, wo die Mehrzahl unserer gegenwärtigen Kontroversen auf diesen Gebieten uns ebenso trivial oder bedeutungslos vorkommen werden wie die theologischen Debatten, an welche die besten Köpfe des Mittelalters ihre Kräfte verschwendeten. Politik und Wirtschaft befassen sich mit Macht und Wohlstand, und weder dem einen noch dem anderen sollte das Hauptinteresse oder gar das ausschließliche Interesse erwachsener, reifer Menschen gelten."

    Arthur C. Clarke (Profile der Zukunft)

    Damit ist beantwortet, warum "Spitzenpolitiker" und "Wirtschaftsexperten" die so genannte "Finanzkrise" am allerwenigsten verstehen, und der kollektive Wahnsinn resultiert aus einer Programmierung des kollektiv Unbewussten, die vor Urzeiten erforderlich war, damit das, was wir heute "moderne Zivilisation" nennen, überhaupt entstehen konnte: die Religion. Der eigentliche Beginn der menschlichen Zivilisation setzt die Überwindung der Religion voraus!

    Herzlich Willkommen im 21. Jahrhundert:

    "Der Weisheit letzter Schluss"
    http://www.deweles.de/willkommen.html

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  5. @Freiwirtschaftler: Ich spendiere dir hiermit ohne Umschweife ein Getränk deiner Wahl. Gerade habe ich hier unter Würgen und Brechen etwas zu credit default swaps geschrieben.
    Ich kann nicht umhin, dieses ganze Zeugs als krank zu bezeichnen. Für mich sind das bereits die Auswüchse an Rechtfertigungen der eigenen Sinnlosigkeit, welche bereits die 'fin de siècle' Stimmung vor einhundert Jahren in der Dekadenz der Besitzenden und der Dreistigkeit ihrer Erfüllungsgehilfen locker in den Schatten gestellt hat. Wir bräuchten nur noch jemanden wie Thomas Mann, um das ganze Ausmaß an Schwachsinn episch erfahrbar zu vermitteln.

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  6. Ein weiterer Hinweis auf die Dünnbrettbohrerei ist für mich die Tatsache, daß es überhaupt erst seit 2009 einen einheitlich angewandten Algorithmus gibt, der von J.P. Morgan als open source mit der Bitte zur Verfügung gestellt wird, das doch bitte alle den Kern des Programmes für ihre Beurteilungen zu nutzen.
    Bis dahin hatte also jeder mit eigenen Zahlen hantiert?!
    http://www.isda.org/press/press012909.html

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  7. @Freiwirtschaftler
    Ein zweites Freigetränk von mir. Abgelegt unter R@iners "Swap-Würg".

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  8. Im übrigen sollten wir uns an dem Krisenhund Jack ein Beispiel nehmen. Der hat seine Konsequenzen gezogen.

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  9. Das Neueste von Syntagma Square:

    "Stop watching financial terrorists stealing your lives.
    Take action now!
    Sign at speculators.com
    and help us to
    send them in JAIL!"

    Tobras und Noulas sammeln Unterschriften. Die beiden (Anwalt und Ökonom) haben vor gut einem Jahr Strafanzeige gegen Spekulanten gestellt (Bericht darüber hier vor ca. 2 Wochen).

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