Samstag, 25. September 2010

Immer auf die dummen Dicken


Zur Zeit wird wieder mal die dickste aller dicken Säue durchs Dorf getrieben. Und alle machen begeistert mit bei der Treibjagd. Wer oder was wird gejagt? Mal wieder die Dicken. Die Übergewichtigen. Die Fettleibigen.

Was täten wir nur, wenn wir die vielen Dicken nicht hätten? Die sich so wunderbar in den volksfürsorglichen Klammergriff nehmen lassen? Dann müssten wir das Kind beim Namen nennen, denn es wird uns ja schon seit einigen Jahren eingebleut: Es ist die dicke, dumme, faule Unterschicht, die adipös aus dem Leim geht; die Dicken sind die, die zu dumm, pardon, zu bildungsfern sind, um sich vernünftig zu ernähren. Heute reicht es schon, öffentlich 'den Fettleibigen' ins volksgesundheitliche Gewissen zu reden, und jeder weiß, wer damit gemeint ist. Gelernt ist gelernt.

Viel Dummes ist seither über die dummen Dicken geschrieben worden; aber auch manch Kluges: Dummheit und Körperfett in Bezug zueinander zu setzen, sei eine Steilvorlage für Diskriminierung, so der Soziologe Friedrich Schorb vor knapp einem Jahr - und so ist es ja denn auch gekommen. "Dick" sagen reicht, "dumm" denkt sich jeder selbst dazu. Wer sich von der Unterschicht abgrenzen will, achtet auf sein Gewicht.

"Fette Tatsachen" lautet die heutige Schlagzeile, "Übergewicht wird zur Epidemie" hieß es gestern. Mir dagegen scheint, das sintflutartige Studienaufkommen zum Thema ist mittlerweile selbst zur Epidemie geworden. Auf sogenannte Studien folgt sogenannter Handlungsbedarf, auch das haben wir gelernt; also dürfte sich demnächst mal wieder epidemischer Aufklärungsaktivismus breitmachen, um den Übergewichtigen beizubiegen, dass man es doch nur gut mit ihnen meine und sie deshalb jetzt endlich ihren Lebenswandel ändern sollten, gefälligst, denn allmählich müssten sie es doch gemerkt haben, die Übergewichtigen, die Trinker, die Raucher, die Unsportlichen, die Extremsportler und all die anderen Risikogruppen, was für eine enorme volkswirtschaftliche Belastung sie darstellten. Die Gesundheitspolizei marschiert. Absurderweise meist in Gestalt von übergewichtigen Politikern. Warum muss ich gerade in diesem Augenblick an die Katholen denken?

Nein, ich verteidige weder exzessives Fressen noch Komasaufen. Was mir zunehmend mentales Sodbrennen verursacht, ist die Selbstverständlichkeit, mit der die verstaatlichte Inobhutnahme des persönlichen Lebenswandels betrieben wird. Ich habe schon Probleme damit, Politiker als Führungspersönlichkeiten ernst zu nehmen; auf der Predigerkanzel finde ich sie nur noch unerträglich. Es geht Politiker nichts an, wie ich lebe, weshalb sie weder die Pflicht noch das Recht haben, mir vorzuschreiben, wie ich zu leben habe.

Trotzdem führen sie sich auf wie überfürsorgliche Sozialarbeiter, die mir auf Biegen und Brechen die Risiken meiner Lebensführung abnehmen wollen. Habe ich sie darum gebeten? Nein. Warum maßen sie es sich dann an? Weil sie sich anmaßen, es gut mit mir zu meinen. Ihre Selbstanmaßung geht so weit, dass sie sich einbilden, ich würde sie wegen ihres alarmistischen Zugriffs auf die bedrohte Volksgesundheit schätzen oder gar wählen.

Übrigens verweist die aktuelle Studie auf eine weitere aktuelle Studie, in der nachgewiesen wird, dass die Dicken durch ihr sozialverträglich frühes Ableben unterm Strich die Renten- und Krankenkassen nicht etwa be-, sondern entlasten. Mehr noch:
"Die Versicherer halten es unterdessen sogar für möglich, dass die Zunahme der Fettleibigkeit eines Tages den Trend zur Langlebigkeit stoppen könnte."
Sind das nicht gute Nachrichten? Grund genug, den Dicken zu Lebzeiten eine fette Prämie auszuzahlen. Und sie ansonsten in Ruhe zu lassen.

3 Kommentare:

  1. Da fällt mir doch sofort ein Zitat des Spiegelfechters ein, der mal geschrieben hat:

    "Zuerst holten sie die Raucher.
    Ich schwieg, denn ich rauchte ja nicht.
    Dann holten sie die Fettleibigen.
    Ich schwieg, denn ich war ja schlank.
    Dann holten sie die Trinker.
    Ich schwieg, denn ich trank ja nicht.
    Dann holten sie mich …
    nur da war niemand mehr da, der protestieren konnte."

    http://www.spiegelfechter.com/wordpress/3496/wider-den-moraltotalitarismus

    Wieso fällt es eigentlich nur so wenigen Menschen auf, dass die neoliberale Monstranz des "schlanken Staates" in einem merkwürdigen, absurden Widerspruch zur real immer weiter verstärkten Regulierung der Menschen in diesem Land steht?

    Ach, Mrs. Mop, deinen Herbst- bzw. Winterblues teile ich ohne jede Einschränkung - nur hat er nichts mit der aktuellen Jahreszeit, die ich sehr liebe, zu tun ...

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  2. Brilliant, das Zitat des Spiegelfechters. Und schweres Sperrfeuer in seinen Kommentaren. Ich bin gespannt, wer schweigt und wer nicht, wenn es den Fettleibigen vollends an den Kragen geht.

    Ja, es wird allmählich ziemlich dunkel im Land. Nicht nur am frühen Morgen...;)

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  3. Der gemeine(!) Raucher ist in Bayern schon dem Gutmenschentum zum Opfer gefallen. Nun kommt der gemeine Fresser dran ... Warum nicht?! Der Gutmensch kennt nun sein Potential und bläst zum neuen Sturm!
    Das nennt man "Von Oben gemachte Demokratie".

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