Freitag, 10. Februar 2012

Abwarten statt nachdenken


Man staunt.

Am heutigen Freitag, also einen Tag vor den europaweiten Protesten gegen ACTA, macht die deutsche Regierung einen Rückzieher. Na ja, was heißt Rückzieher, sagen wir es mal so: Es wird "signalisiert", dass es möglicherweise sinnvoll sein könnte, über die endgültige Unterzeichnung des Abkommens noch einmal nachzudenken. Na ja, was heißt noch einmal? Sagen wir es mal so: Es scheint sich auf europäischer Ebene die Angewohnheit durchgesetzt zu haben, mal eben schnell zu unterzeichnen und danach erst mit dem Nachdenken anzufangen.

Anders ist kaum zu erklären, dass dem rumänischen Premierminister* Emil Boc neulich entrutschte, "er sei in keiner Weise informiert gewesen über die Umstände, unter denen Rumänien das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) akzeptiert habe", weshalb er jetzt über die anstehende endgültige Unterzeichnung - na? - noch einmal nachdenken wolle. Selbiges - nämlich das Nachdenkenwollen nach bereits erfolgter Zustimmung zu ACTA - haben auch Bocs osteuropäische Amtskollegen in Polen, Bulgarien, Slowenien und der Tschechischen Republik - na? - richtig: signalisiert. Nachdem es in all diesen Ländern auf der Straße gekracht hat vor Anti-ACTA-Protesten.

Nachdenken ist ja auch anstrengend, Unterzeichnen dagegen bequem - ohne zu wissen, was man da eigentlich unterzeichnet. Wenn es für die Qualifikation zum Premierminister langt, alles zu unterzeichnen, was einem unter die Nase gelegt wird, ohne es zu lesen oder gar zu verstehen, bewerbe ich mich hiermit schon mal. Hey, den Job mache ich im Schlafanzug, sogar für die Hälfte des Ministergehaltes! Easy! Denn anscheinend bestand für die Regierungschefs das einzige Kriterium fürs Unterzeichnen von ACTA lediglich darin, dass andere Regierungschefs das Teil ebenfalls unterzeichnet hatten - zur Entscheidungsfindung reicht das offenbar völlig aus.

So halten es jetzt auch die Deutschen. Irgendwie kommt es der Justizministerin inzwischen nicht mehr opportun vor, ACTA einfach durchzuwinken, jetzt, wo die Kollegen im Osten mit dem Nachdenken angefangen haben. Was nicht bedeutet, dass die Deutschen ihrerseits endlich mit dem Nachdenken anfangen. Neiiin! Denn wie geht Nachdenken auf Deutsch nochmal? Richtig: Abwarten.
Also erst mal abwarten und schauen, was die anderen (das EU-Parlament) so machen, und dann sich dranhängen. Mit anderen Worten: die Verantwortung fürs eigene Handeln an die EU abschieben. Rückgrat und eigenen Kopf einstweilen bitte an der Garderobe abgeben. Braucht eh keiner. Wozu auch. Na ja, höchstens zum Staunen.


* Richtig muss es heißen: Der ehemalige Premierminster Emil Boc - er ist nämlich am 6. Februar von seinem Amt zurückgetreten, als Reaktion auf Massenproteste in Bukarest gegen die vom IMF auferlegten Sparzwänge (Durchschnittsmonatseinkommen in Rumänien unter 350 Euro).

2 Kommentare:

  1. Es wundert mich, dass es Dich wundert, wie deutsche Mandatsträger mit diesem Thema umgehen ... :-)

    Existiert da tatsächlich noch ein Glaube an einen wie auch immer gearteten "freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat"? Für so naiv möchte ich Dich nicht halten. :-)

    Aber es ist gut, dass Du dieses Thema oben hältst!

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  2. "Staunen": In irgendeine rhetorische Form muss man sein Befremden halt gießen ;).

    Hier ist echt was zum Staunen, ganz frisch aus Sofia, Bulgarien.

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