Mittwoch, 15. Februar 2012

Poesie am Straßenrand



Es gibt Bilder, vor denen verharre ich minutenlang, und es fängt an in mir zu schaffen und zu denken, ohne dass ich bewusst etwas dazu tue. Vielleicht liegt es daran, dass diese Bilder jenen großflächigen urbanen Reklametafeln ähneln, die allein schon wegen ihres plakativen Formates den Blick anziehen und darauf hängen lassen, um zu entschlüsseln, worum es geht. Wahrscheinlich wäre ich noch länger verharrt, wenn mir das Bild beim Gehen durch die Stadt begegnet wäre und mich die großen weißen Buchstaben auf schwarzem Grund physisch eingefangen und meinen Trott unterbrochen hätten.

Mich wundert, dass ich mich von den Großbuchstaben in keiner Weise angeschrien fühle, wie dies einem in Versalien geschriebenen Text normalerweise nachgesagt wird. Im Gegenteil. Irgendwie lehnen sich diese Buchstaben ganz entspannt gegen die Wand und wecken auf subtile Weise eine entspannte Neugier in mir; ich lese und merke, dass ich beim Lesen ruhig werde, genieße dieses Ruhigwerden, lese langsam Wort für Wort, und während ich noch das Gefühl habe, ein Bild zu betrachten, sickern die Buchstaben in mich hinein und streuen Botschaften aus, die etwas in mir bewegen, ohne dass ich bewusst etwas dazu tue.

Ich glaube, so funktioniert Werbung - wenn sie denn funktioniert. Nur handelt es sich hier um keine Werbung. Im Gegenteil: Der Künstler Robert Montgomery pflegt seine subversiv-lyrischen Textbilder nachts unter den Arm zu klemmen, dann streunt er durch die Stadt auf der Suche nach Werbeflächen und Plakatwänden, klebt seine Werke einfach drüber und nennt das Ganze hijacking. Erwischt wurde er dabei noch nie. Obwohl das, was er macht, als Vandalismus gilt. Als "The artist vandalising advertising with poetry" wird er in einem Interview charakterisiert. Er selbst beschreibt seine Arbeit so:
"Let's say I'm trying to write about what it feels like in the inside to live in Late-Capitalism - what capitalism does to us on the inside"
What capitalism does to us on the inside. Schon wieder so ein Satz, der eine Saite anschlägt, scheinbar endlos nachhallt und andere Sätze nach oben spült wie den von Angela Merkel in grauen Sprachbeton gegossenen Slogan von der "marktkonformen Demokratie", die nur dann funktionieren kann, wenn die Menschen in dieser Demokratie marktkonform denken, fühlen und handeln, sich geschmeidig einpassen in etablierte Verhaltensmuster des Verdrängungswettbewerbes bis hin zu marktkonformem Gebrauch der physischen wie mentalen Ellbogen, sich dem alles beherrschenden Vermarktungsdrang unterwerfen und von routiniertem Verwertungsinteresse durchdrungen sind, so dass sie gar nicht mehr anders können als sich gewohnheitsmäßig wie marktkonforme Platzhirsche aufzuführen und all dies völlig normal zu finden - darunter auch solche Menschen, die von sich behaupten, sie würden all dies bekämpfen.
"Because you had to give names to everything you found, and make logos for bad ideas..."

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