Freitag, 20. Juli 2012

Sommermärchen, das zweite



Es war einmal ein Bankster. Der jammerte den lieben langen Tag. Ach, klagte er, dauernd mäkelt irgendeiner an mir herum. Und das, wo wir doch nur das Werk Gottes tun. Wir sind einfach unersättlich, excuse me, "unersetzlich, denn wir helfen der Wirtschaft zu wachsen, indem wir Reichtum schaffen, wodurch wir Jobs schaffen, die noch mehr Wachstum und noch mehr Reichtum schaffen - es ist ein tugendhafter Kreislauf!" und darum recht eigentlich doch unersättlich, denn unersättlich zu sein ist nun mal das, was wir als Tugend definieren, verstehen Sie?

Deshalb verstehen wir gar nicht, wieso immerzu auf uns herumgehackt wird. Gut, manches läuft uns aus dem Ruder, aber wem läuft nicht ab und zu mal was aus dem Ruder? Fehler sind menschlich. Das dann gleich Betrug zu nennen, ist ein bisschen heftig, finden Sie nicht? Immerhin, sie nennen es "organisierten" oder "kontrollierten Betrug", und darauf sind wir schon ein klein wenig stolz, denn vom Organisieren und Kontrollieren verstehen wir etwas.

Gestern hat sogar jemand behauptet, unsere Großbanken seien "kriminelle Unternehmen". Also, das geht wirklich etwas zu weit. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, das ist reine Blasphemie - schließlich verrichten wir Gottes Werk! Der liebe Gott ist doch kein Verbrecher! Kann es gar nicht sein, denn er ist nun mal der liebe Gott und duldet keine anderen Verbrecher neben sich, weshalb jeder, der uns kriminell nennt, verbrecherisch handelt.

Aber kränken tut uns das alles natürlich trotzdem. Wir sind ja auch nur Menschen! Okay, eigentlich sind wir Gott, aber durchaus mit menschlichem Antlitz. Und eine Seele, eine menschliche, haben wir auch. Doch, haben wir! Oder glauben Sie vielleicht, die Psycho- und Soziopathen dieser Finanzwelt hätten keine Seele? Natürlich haben wir eine Seele, und zwar eine sehr sensible, verwundbare Seele, das merken Sie ja schon daran, wie gekränkt wir uns fühlen. Darum müssen wir von Zeit zu Zeit ein bisschen schmollen, anders ist diese postmoderne Hexenjagd nicht zu ertragen.

Apropos Gefühle und Menschlichkeit. Denken Sie bloß nicht, dieses ganze Theater um den sogenannten LIBOR-Skandal sei spurlos an uns vorübergegangen. Da wurde eine neue Runde an Bankster-Bashing losgetreten, das hat alles bisherige in den Schatten gestellt. Wissen Sie, so rein menschlich fühlt sich das gar nicht gut an. Wo wir doch die ganze Zeit - seit mindestens 2008, um genau zu sein - nicht die geringste Ahnung hatten, was da an Absprachen, Manipulation und Insider Trading am Laufen war! Haben wir doch nachhaltig beteuert! Glaubt uns aber keiner. Deshalb fühlen wir uns jetzt "ein bisschen schlecht".

Wohlgemerkt, nur ein bisschen. Also, es ist jetzt nicht so, dass wir uns für irgend etwas schämen müssten - Schamgefühle sind nämlich ungöttlich. Selbstzweifel habe wir auch keine - geht ja gar nicht, oder haben Sie schon mal einen Gott gesehen, der an sich selbst zweifelt? Sehen Sie. Aber unser menschliches Antlitz legt uns nahe, dass es derzeit opportun sein könnte, eine kleine Portion Betroffenheit an den Tag zu legen und eine bekümmerte Miene aufzusetzen. Nur so viel, dass es ein klitzekleines Bisschen nach Schuldgefühl aussieht. Mehr braucht es nicht, um den Betrogenen dieser Welt "etwas Trost zu spenden, dass wenigstens ein paar von denen (Bankstern) beginnen, sich schlecht zu fühlen, weil sie den Rest von uns gerippt haben." Und solange so ein Trostpflästerchen funktioniert, müsste es reichen, wenn wir ab und zu betroffen aus der Wäsche gucken.

Weil, was sollen wir denn sonst noch tun? Kriegen die Leute denn nie den Hals voll mit ihrem Gemäkel und Gedisse? Sie glauben gar nicht, wie belastend das ist, wo doch unser Tagesgeschäft schon kräftezehrend genug ist. Ich wünschte, wir könnten diesen notorischen Nörglern einfach den Mund verbieten, bin mir auch sicher, dass wir das irgendwann schaffen werden; denn dazu müssten wir ja nur den richtigen Hebel ansetzen, und von Hebeln verstehen wir mindestens so viel wie von Organisieren und Kontrollieren.

Ehrlich, wir würden nichts unversucht lassen, damit die Leute endlich aufhören, auf uns herumzuhacken. Wenn uns nur mal jemand einen guten Rat geben würde! Obwohl, erst gestern kam einer daher und meinte, das sei alles ganz einfach: Hört auf, die Leute zu betrügen, dann hören die Leute auf, schlecht über euch zu reden, und ihr hört auf, euch schlecht zu fühlen! Kann der Typ nicht im Ernst gemeint haben, oder? Aufhören, die Leute zu betrügen - wir würden uns ja unserer Existenzgrundlage berauben!

Dieser durchgeknallte Typ - auch noch einer aus der Szene, der scheint sich auszukennen - glaubt offenbar an Märchen:
Ich habe einen Plan für euch. Waghalsig, aber brilliant. Er fordert von uns, dass wir all unsere Instinkte und Impulse bekämpfen, dass wir allen Glaubensgrundsätzen und Gewohnheiten, die uns in diese Situation gebracht haben, den Rücken kehren.

Jungs, ich weiß, es klingt verrückt, aber hört mir erst mal zu.
Durchgeknallt, wie gesagt. Göttliche Impulse bekämpfen, so weit kommt's noch. Aber für waghalsige, brilliante Pläne sind wir immer zu haben, also hören wir dem Knallkopf erst mal zu.
Ab sofort betreiben wir unsere Banken und Maklergeschäfte gemäß den Vorschriften und halten uns strikt an die Gesetze, kurz gesagt: Wir hören auf nach Wegen zu suchen, um die Kunden über den Tisch zu ziehen ("stop looking for ways to fuck the customers").
Darf ja wohl nicht wahr sein - wo es doch zu unserem Kerngeschäft gehört, Kunden über den Tisch zu ziehen. Wozu sollen wir da morgens überhaupt noch aufstehen und uns auf unseren Arbeitsplatz schleppen?
Wir gehen zur Arbeit, wir tun genau das, was wir immer behaupten zu tun. Wir bieten nur noch solche Produkte und Services an, die wir auch unseren eigenen Großmüttern und Kindern anbieten würden. Wir machen aus dem Kleingedruckten Fettgedrucktes. Wir eliminieren versteckte Gebühren, zumindest machen wir sie transparent, wo es notwendig ist. Wir gehen mit dem Geld anderer Leute um, als ob es unser eigenes wäre. Wir hören auf, massive Vermögensblasen aufzupusten, um davon zu profitieren, sei es von ihrer Aufgeblähtheit oder ihrem eventuellen Platzen. Wir machen Schluss mit Geldwäsche und Sicherheitskonten. Wir lassen die Finger von Geschäften und Produkten, die für Wirtschaft oder Gesellschaft wertlos sind.
Starker Tobak, das müssen Sie zugeben. Uns, den Tugendwächtern über tugendhafte Kreisläufe von Gottes Gnaden, will dieser Märchenonkel etwas über rechtschaffenes Banking erzählen! Was stellt der sich vor, von was wir leben sollen?
Wir bezahlen unsere Angestellten auf der Grundlage langfristig gesunder Strukturen in unserem Gewerbe...
- "gesund", na ja, da ließe sich drüber reden, solange die Deutungshoheit über "gesund" bei den Gottheiten liegt und nicht bei den Märchenonkels -
...und nicht auf der Grundlage dessen, wer das größte Stück Scheiße an den dümmsten Kunden zum wahnsinnigsten Preis verkauft hat.
Hey, das war jetzt extrem unsensibel. Müssen wir uns so viel Bankster-Bashing gefallen lassen? Noch dazu aus den eigenen Reihen? Ich meine, es ist ja nicht so, dass dieser Typ unrecht hätte. Aber solche Wahrheiten laut auszusprechen - das tut weh, wissen Sie, das schmerzt echt. Drum suchen wir jetzt dringend ein Plätzchen, wo wir unsere gebeutelte Seele ein bisschen baumeln lassen können. Ja, nennen Sie es ruhig den Galgenhumor der Untoten. Es ist nämlich so: Wenn unsere Seelen erst gestorben sind, dann leben wir auf ewig weiter.

2 Kommentare:

  1. Da fällt mir doch glatt Kafka ein: "Eine Gemeinschaft von Schurken".

    Wirklich "märchenhaft"!

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