Montag, 2. November 2009

Plattensammlung


Wer sein Rad liebt, der schiebt. Es gibt erstaunlich viele Leute, die es witzig finden, mit diesem Spruch den Anblick eines schiebenden Radfahrers zu kommentieren. Ich find's unwitzig. Noch unwitziger finde ich, ein Fahrrad schieben zu müssen, weil es einen Platten hat. Oh, ist das öd. Wenn der Vorderreifen so teigig ist, dass man ihn auf jede Bürgersteigkante hochheben muss. Wenn das eigene Fahrrad so sperrig und ungelenk reagiert, dass ich es nicht wiedererkenne. Wenn dann der nächste Witzbold um die Ecke gebogen kommt, den Flatschen mit Kennerblick erfasst, den Mund aufmacht und ich weiß schon, was gleich rauskommt, und tatsächlich, da kommt es: "Ach ja, wer sein Rad liebt...", dann ist das nur noch uröd.

Irgendjemand war so asozial gewesen, den Vorderreifen während meiner Arbeitszeit gewaltsam zu plätten. Ich stinksauer. Zunächst hatte ich noch gehofft, es handle sich nur um eine Art spontanen Druckabfall. Schob also zum nächsten Fahrradladen zwecks Expressluftpumpen, wobei nächst mit nah überhaupt nichts zu tun hat. Schob und schob. Umsonst. Montags geschlossen wegen Reichtums. Ich schob das Rad weiter zur nächsten Tankstelle zwecks Probeaufpumpen. Sehr netter hilfsbereiter Tankwart, leider die falschen Ventile.

Ich schob das Rad zurück am Restaurant vorbei, merkte, dass ich keine Lust mehr auf Schieben hatte und trank einen Kaffee. Wollte telefonisch Hilfe organisieren. Akku vom Handy leer. Akku an Steckdose aufgeladen, SMS geschrieben. Fehlermeldung. Nochmal Fehlermeldung. Keine Funkverbindung. Raus in den Hof zum Telefonieren. Schlechte Verbindung, aber immerhin Hilferuf losgeworden. Verbindung abgebrochen, da Akku leer. Handy wieder an Steckdose. Handy klingelt. Kein Empfang. Raus in den Hof. Nach zwei Sätzen: Akku leer. Undsoweiterundsonerv.

Also in Gottes Namen weiterschieben (nebst Rad einen Mordshals) bis zum zweitnächsten Fahrradladen, entgegengesetzte Richtung. Dort empfängt mich ein entspannter Typ, pumpt ein paar mal, legt sein Ohr auf den wirklich sehr dreckigen Vorderreifen, sagt gutgelaunt "Aha, es zischt", und damit war der Fall klar: Mantel und Schlauch im Eimer. Sein Ohr wandert am Reifen hin und her, im Nu findet das Ohr den Defekt, der Finger deutet punktgenau auf die kritische Stelle, noch bevor dieser entspannte Typ das Reifenprofil auch nur eines Blickes gewürdigt hat. Ich bin platt wie der Vorderreifen.
"Sauberer Schnitt", sagt er dann fast anerkennend, "vermutlich Schweizer Klappmesser". Anscheinend schaue ich genauso halsig aus wie ich mich fühle, denn er fragt mich sensibel: "Dalassen?" Ich nicke widerstandlos. Genug geschoben. Feierabend. "Morgen früh ab zehn ist es fertig." Mir ist alles recht. Ich schiebe ab, ohne Rad, mit Resthals.

Zwecks Normalisierung meines Gallestoffwechsels gehe ich vollends zu Fuß nach Hause. Wie ich so vor mich hinstapfe, fällt mir plötzlich ein: Das dagelassene Fahrrad bedeutet, dass ich morgen früh mit der U-Bahn fahren muss. 5:26 Uhr. Einmal umsteigen. Uh. Ich mag nicht. Mein armer Hals.

7 Kommentare:

  1. ich kann das ja soo gut nachfühlen!! mein hals ist auch recht präsent in letzter zeit. aber: es kann nur besser werden! und wer weiß, was in der u-bahn alles interessantes [blogbares!] passiert :D.

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  2. Danke. Ich wünsche Dir einen fröhlichen U-Bahnfreien Tag :).

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  3. Hundert Malloy-Punkte für das tolle Wortspiel! Plattensammlung, gnihihi! :D

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  4. @rebhuhn
    Du hattest recht. U-Bahn ist ein blogtaugliches Thema. Aber nicht weil dort was Interessantes passiert, sondern weil dort gar nix passiert ;).

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  5. ich habe [fast] immer recht ;). *hust

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  6. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte... :)

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