Mittwoch, 21. September 2011

Regelverstöße



Es ist in den vergangenen Stunden ein wenig ungemütlich geworden in der New Yorker Wall Street - allerdings nicht für die dort residierenden Banker, sondern für die dort protestierenden Menschen. Wer gegen das verstößt, was gemeinhin als 'Recht und Ordnung' gilt, wird kurzerhand verhaftet, sprich: in Handschellen gelegt und über die Straße in Polizeiautos geschleift. Selber schuld. Was müssen die Protestler auch gegen das herrschende Recht verstoßen?

Rechtsverstöße und damit Gründe zur Verhaftung gibt es viele; am schwerwiegendsten dürfte das Ausbreiten einer Schutzplane über mitgebrachte Kommunikationsgeräte (Laptops etc.) sein. Angeblich um die Geräte gegen den Regen zu schützen, was natürlich nichts als eine dumme Ausrede ist, denn die New Yorker Polizei weiß es besser: In Wirklichkeit sind diese Schutzplanen nämlich zelt-ähnliche Gebilde, und Zelten ist auf Wall Street verboten. Klar? Klar.


Ebenfalls verboten ist auf Wall Street der Gebrauch einer Hupe oder eines hupen-ähnlichen Gerätes. Hat da so ein dahergelaufener Protestler einfach gehupt? Verhaften, und zwar sofort. Als hupen-ähnliches Gebilde ist im übrigen ein Megaphon anzusehen, dessen Gebrauch zur Verhaftung führt.

Ebenfalls verboten ist das Beschriften des Bürgersteiges mit Kreide. Vandalismus, klar? Führt zur Verhaftung.

Ebenfalls verboten ist - nicht nur auf Wall Street, sondern im ganzen Land - das Tragen einer Maske in der Öffentlichkeit, wenn es in Gruppen von mehr als zwei Personen geschieht. Deshalb ist das Tragen einer Maske auf Wall Street ein Grund zur Verhaftung. Schließlich haben wir Mitte September und nicht Ende Oktober, und Halloween ist das eine und Wall Street das andere.


Apropos "Männer in Anzügen" (siehe Bild, "men in suits"):

Der Protest #occupywallstreet ist gewiss (noch) keine Massenbewegung, was ihr gern zum Vorwurf gemacht wird von Leuten, die es gern größer, schneller, potenter und erfolgreicher hätten. Letzte Hochrechnungen haben ergeben, dass die verbliebenen paar hundert Aktivisten auf der Straße von einer zahlenmäßig weit überlegenen Protestbewegung abgehängt wurden, nämlich der im Internet hyperaktiven Bewegung #diss-occupywallstreet. Das sind Leute, denen es Freude bereitet, die Wallstreet-Demonstranten zu dissen, was die klappernde Tastatur hergibt.

Und nein, das sind keine bösen Republikaner, sondern rechtschaffene Liberale und Linke, deren kollektive Stänkerei auf das immer gleiche Credo hinausläuft: "Es sind die falschen Leute, die gegen das Richtige protestieren!" Die falschen Leute? Was ist an den überwiegend jungen Aktivisten falsch? Eben das. Dass sie so jung sind. Und so naiv. So unbedarft. So idealistisch und politisch unerfahren. Und so schrecklich amateurhaft, dass es einem ganz peinlich wird. Verpeilte Kiddies halt. Vor allem aber - wie die schon aussehen! So hippiemäßig gestylt. Alle im Freizeitlook. Kann ja keiner ernst nehmen! Und sich dann beschweren über das Blackout in den Medien! Selber schuld! Was müssen Protestler auch gegen die herrschende Kleiderordnung verstoßen? Zieht euch erst mal was Ordentliches an, dann werdet ihr auch ernstgenommen!

Ja, so war es schon immer - Kleider machen Leute. Im Blog der britischen Tageszeitung Guardian wurde über #occupywallstreet berichtet unter der Überschrift "Over-educated, under-employed and angry"; also die jungen, gut Ausgebildeten mit den schlechten Arbeitsmarktchancen, die wütend sind und deshalb auf Wall Street protestieren. In Freizeitklamotten. Nee, ihr Kiddies, so wird das nix - geht nach Hause und schmeißt euch erst mal in Schale, am besten in euren guten Anzug, ihr wisst schon, den ihr immer bei euren erfolglosen Bewerbungsgesprächen tragt. Weil, sonst kommt eure message einfach nicht rüber.

Wie, ihr seid der Meinung, eine message bedürfe keines dress codes? Ach Kiddies, ihr müsst noch viel lernen. Es ist nämlich so: Um gegen den Kapitalismus zu protestieren, müsst ihr euch als erstes seiner Logik und seiner Kleiderordnung unterwerfen. Nur so verschafft ihr euch Respekt. Bestimmt wird euch dann auch keiner mehr von der Straße weg verhaften. Eigentlich ist alles ganz einfach, Kids: Ihr müsst euch nur an die Spielregeln halten.


(Bildquelle: 1, 2, 3: Tim O'Reilly, 4: John Stuttle, Guardian)

10 Kommentare:

  1. die schaffen es noch und machen die Demonstranten für die Finanzkrise und alles das verantwortlich...

    AntwortenLöschen
  2. Ich häng mich mal wieder an einer Formulierung auf: over-educated. Verrät ja auch einiges.

    AntwortenLöschen
  3. @Amike
    Ja. Die Sprache des 'under-demanding' (Arbeits)Marktes ist verräterisch.

    AntwortenLöschen
  4. Übergebildetes Prekariat... wo ich doch schon bei den anonymen Pfälzern bin. Langsam wirds eng im Portemonnaie - nicht weil da so viel Geld drin wäre, sondern so viele Club-Mitgliedskarten.

    Wo kämen wir dahin, wenn die Leute von Schulen abgingen und dort nicht nur Fakten sondern gar das Denken gelernt hätten.

    AntwortenLöschen
  5. Wo wir da hinkämen? Na, ins akademische Prekariats-Klo :).

    (Ich glaube, Du brauchst unbedingt noch eine Club-Orlov-Mitgliedskarte. Macht sich im Portemonnaie gut neben der Prekariats-Mitgliedskarte.)

    AntwortenLöschen
  6. Regelverstöße, #occupywallstreet, Berichterstattung:

    "'Den Medien fällt es schwer zu berichten, weil dies ein Protest ohne Führung (leaderless protest) ist', sagte Patrick Bruner, ein hagerer 23-Jähriger in schwarzem T-Shirt und schwarzen Hosen, der im Medienbereich von #occupywallstreet mitarbeitet. Bruner, ein Hochschulabsolvent mit Abschluss in Englisch, hat seit Monaten nach einem Job gesucht - dann hörte er durch Mundpropaganda von den Protesten und gesellte sich dazu, um bei der Medienarbeit mitzuhelfen. Er rasierte seinen Punk-Hairstyle heute morgen, nachdem er in der New York Times eine Story gelesen hatte, in der #occupywallstreet porträtiert wurde als bunter Haufen von Anarchisten, Hippies und jugendlicher Straftäter."

    Ob Patrick auch sein T-Shirt/Hosen-Outfit gegen einen dunklen Anzug eingetauscht hat, ist nicht überliefert.

    AntwortenLöschen
  7. Gestern abend/nacht wurden zwischen 60-80 Protestierer verhaftet. Inzwischen sind nicht nur Zelte, Schlafsäcke und Schutzplanen offiziell verboten, sondern auch Regenschirme, um Laptops vom Regen abzuschirmen. Da es in NYC seit Tagen heftig regnet, gab es bei #occupywallstreet viele Regenschirme, ergo viele Verhaftungen.

    AntwortenLöschen
  8. Kurzer Bericht und Videos von den Verhaftungsszenen gestern abend auf Wall Street (mit vielen Links).

    Wer sich das entspannte Sonntagsfrühstück nicht versauen möchte, sollte besser nicht gucken (zwei Frauen wird von Polizisten Pfefferspray direkt ins Gesicht gesprüht, aus unerfindlichen Gründen; ein junger Mann wird vor seiner Verhaftung brutal zu Boden geworfen, Grund: er hat mit einem Polizisten gesprochen).

    Ansonsten reicht die Weigerung, seinen Regenschirm zusammenzuklappen und konfiszieren zu lassen, als Verhaftungsgrund aus.

    Berichterstattung zu den Ereignissen gestern abend im Blog der NYT.

    AntwortenLöschen
  9. Das schau ich mir lieber nicht an, da reg ich mich nur wieder auf. Aber Respect für die Demonstranten, hätte nicht gedacht, dass die das so lange und konsequent durchziehen!

    AntwortenLöschen