Mittwoch, 27. Oktober 2010

Schräge Vögel


Gerade eben habe ich etwas ganz Exterrestrisches erlebt. Ich bin noch immer wie verhext.

Saß auf dem Fahrrad und hatte keine Lust, den straighten Nachhauseweg zu nehmen. Entschied mich für querfeldein durch die Pampa. Wie ich so fürbass über die Scholle pedalte, drangen auf einmal fremdartige perkussive Klänge in meine Ohren, von irgendwo ganz weit her. Zu sehen war nichts, zunächst. Außer ein paar Raben. Erst waren es nur wenige, dann wurden es immer mehr, und all diese Raben hopsten und flatterten auf eine Autobahntrasse zu (sagt man Trasse? oder Viadukt? eh wurscht, jedenfalls so ein hochgelegtes Autobahnteil auf, äh, Stelzen). Von dort kamen auch die fernen fremden Klänge.

Ich den Raben hinterher. Die Rhythmen wurden lauter. Durchdringend und zugleich filigran. Klingt absurd, aber es war, mit einem Wort, betörend. Nicht nur die Rhythmen wurden beim Näherkommen immer lauter, sondern, logischerweise, auch der Verkehrslärm auf der Hochautobahn, und beides verschmolz auf so bizarr-intensive Weise ineinander, dass es mich - anders kann ich es nicht ausdrücken - betört hat. Dazu noch diese ganzen Raben. Ließen sich in respektvoller Entfernung nieder und hörten zu.

Dann sah ich den Klangproduzenten. Ein kleiner, drahtiger Mann hielt etwas in den Händen, das wie ein riesengroßes Tamburin aussah. Wie er das Trommelfell schlug und sich dazu bewegte, erzeugte er in der Trommel einen zweiten, rasselnden Rhythmus, der wie zufällig neben dem ersten herzulaufen und doch fest in ihn hineingeschmiegt schien. Und oben drüber wummerten die Autos über die Betonschwellen. Wwammm. Wwrrommm. Wwrruhumm. Irre das Ganze.

Das Instrument heißt Erbane, erklärte der Mann, ein Kurde aus Iran. Es ist tatsächlich wie ein Tamburin gebaut, nur ohne Schellen; stattdessen hängen am inneren Rand der Trommel lauter feine kurze Kettenglieder aus Metall, die beim Bewegen der Trommel ineinander und von innen gegen das Trommelfell rasseln, während der Trommler es von außen schlägt und mit der anderen Hand die Trommel bewegt.


Er komme jeden Tag zum ungestörten Üben hierher, erzählte der Trommler. Hier habe er seine Ruhe - dabei lachte er und deutete mit dem Daumen nach oben, wo der Krach herkam, "na ja, nicht wirklich". Er habe sich an die stete Geräuschkulisse gewöhnt. Inzwischen sei sie ihm sogar willkommen als eine Art musikalischer Begleitung mit unregelmäßigen rhythmischen Akzenten, wodurch er sich in seinem Spiel herausgefordert fühle. Er wolle lernen, mit den Wwammms und Wwrrommms zu gehen statt gegen sie anzukämpfen.

Seine Freude am Spiel war ihm anzusehen. Er übte weiter, versunken und tatsächlich völlig ungestört, denn er nahm den Lärm von oben nicht als Störung wahr. Mir selber ging es beim Zuhören genauso: Plötzlich schien das Rauschen und Dröhnen und Wummern der Autos einen musikalischen Sinn zu haben. Die Raben sahen das offenbar ähnlich. Sie rührten sich nicht vom Fleck. Verhext, wie gesagt.

1 Kommentar:

  1. wow. danke für die coole instrumentenvorstellung. und stimmungsgeschichte.

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