Dienstag, 26. Oktober 2010

Heilix Blechle


Ich fürchte, ich bin nur noch beschränkt kapitalismustauglich. Zumindest was die tragende Säule des Systems angeht, nämlich den Konsum. Vor den Konsum haben die Systemgötter den Kauf gesetzt, und durch den muss man erst mal durch. Sprich, durch die Innenstadt.

Ich war seit vier, fünf Monaten nicht mehr in der Innenstadt gewesen, weder zum Einkaufen noch abends, und habe die Erlebniswelt City nicht eine Sekunde vermisst. Wer die Innenstadt aufsucht, will Geld ausgeben. Ich will kein Geld ausgeben. Ich lebe frugal.

Allerdings gehören zum gelingenden frugalen Leben hin und wieder ein paar Anschaffungen, damit die Sparerei auch wirklich Hand und Fuß hat. Zum Beispiel ein Backblech. Ein zweites Backblech, um genau zu sein. Denn nur mit einem zweiten Backblech kann ich oben Kuchen und unten Brot backen - gleichzeitig - und dabei Energie sparen. Seit meinem Einzug in die neue Wohnung war es mir ein gewaltiger Dorn im Sparauge gewesen, dass meine Vormieterin mir zwar einen toughen Backofen, aber leider nur ein Backblech hinterlassen hatte. Dass ich das Projekt 'Zweites Backblech' dennoch so lange vor mir hergeschoben und monatelang Energie beim Backen verpulvert habe, schuldet sich einzig und allein meiner Abneigung gegen die Innenstadt.

Heute trat ich mir endlich in den Hintern und radelte nach geputzter Kneipe in die Innenstadt. Hatte mir die Herstellermarke des Backofens sowie das Modell notiert, das Backblech abgemessen und wusste somit ganz genau, was ich wollte. Müsste schnell abzuwickeln sein, habe ich mir gedacht. War auch bereit, etwas zu investieren in ein gescheites Backblech, vielleicht so um die zehn, zwölf Euro. Habe ich mir so gedacht.

Außerdem schien die Sonne herbstwarm, die Bäume leuchteten schön bunt, so dass ich heiteren Gemütes den Gang in die bereits dezent vorweihnachtlich dekorierte Innenstadt antrat (die harte Dekodröhnung kommt ja immer erst Anfang November). In einer Fußgängerzone sah ich im Vorbeifahren die Schaufenster eines großen Haushaltsfachgeschäftes und bremste - vor adventlich aufgebretzeltem Hintergund wurde das Thema Plätzchenbacken gefeatured; ein ganzes Fenster nur mit Backformen und -förmchen, allesamt drapiert auf spiegelblanken schwarzen Backblechen mit roten Schleifchen und dünnen roten Kerzen. Dezent, wie gesagt.
Ich nix wie rein.

So ein Haushaltsgeschäft ohne Kunden ist ja irgendwie fast wie ein Museum. All die frischgeputzten Vitrinen mit den Wahnsinns-Topfgarnituren und den 64-teiligen Mega-Geschirrservices und den immer martialischer anmutenden Messerblöcken, da traut man sich kaum näher zu treten. Ehrfürchtig blieb ich am Eingang stehen. An der Kasse ein ins Gespräch vertieftes Verkaufsdamenquartett. Vier Köpfe drehten sich in meine Richtung - völlig klar, erst muss der Kunde eingehend taxiert werden, bevor man ihn begrüßt. Schließlich eine saloppe Kopfbewegung der Alphadame: "Kundschaft!". Nach kurzer Reflektionsphase entschloss sich eine der drei andern, unwillig auf mich zu zu walzen.

Das Ganze hatte mir ein paar Sekunden zu lange gedauert. Der Blick auf meine Fahrradklamotten, meinen Kurierrucksack und meine plüschige Bollermütze war mir ein wenig zu abschätzig vorgekommen. Und die Kopfbewegung war mir eine Prise zu salopp gewesen.
Ich nix wie raus.

Draußen eitel Sonnenschein. Mittagszeit. Die Bürotiere schwärmten aus, in Rudeln. Wenn sie so im Pulk über die Zebrasteifen streben und sehr wichtig wirken, die Männer (so weit ich es überblicken konnte) alle mit straff nach hinten gezurrten Gelfrisuren (scheint Mode zu sein), in scharf geschnittenen Anzügen, stets eine Hand in der Hosentasche (soll dynamisch wirken, sieht gewollt aus), die Frauen durch die Bank etwas verfroren (in für die Jahreszeit zu kurzen Mänteln), aber dennoch irgendwie aufgedreht wirkend, dann...was wollte ich sagen? Innenstadt eben.

Ich radle durch Rudel und um Rudel herum zum nächsten Kaufhaus. Im Erdgeschoss die obligaten Parfümerien und Kosmetikdepots, in denen unglaublich viele Verkaufsdamen mit Glasreinigerflaschen herumwuseln. Haben sonst nichts zu tun. Außer Glasvitrinen polieren. Oberstes Gebot scheint zu sein, im Falle einer Kundenflaute beschäftigt zu wirken.

Rolltreppe mit Infotafel: 'Haushaltswaren, Glas, Porzellan im 3. Stock; Haushaltsgeräte und -zubehör im 4. Stock'. Ich fahre, der Backblechlogik folgend, in den vierten Stock. Werde vom vierten in den dritten Stock geschickt, vom dritten nochmals in den vierten und schließlich erneut in den dritten Stock. Suche Backbleche. Finde ein Regal mit insgesamt drei Backblechmodellen. Eines davon hat genau die richtigen Abmessungen für meinen Backofen und kostet 29 Euro neunzig. Ich falle ins Koma. Eine Verkäuferin fragt, ob ich Beratung brauche. Beratung nicht, antworte ich, aber Aufklärung: Was an so einem popeligen Backblech dran sei, dass es 30 Euro kostet, bitte?

"Dieses Backblech hat eine Extrem-Anti-Haft-Technologie", erfahre ich und weiß nicht, warum ich an extreme Haftbedingungen denken muss. "Außerdem," schnurrt die Verkäuferin weiter, "verfügt es am Boden über Abkühlnoppen." Abkühlnoppen, hauche ich ergriffen, Abkühlnoppen! "Ich brauche keine Abkühlnoppen," sage ich, "ich brauche ein ganz normales Backblech." Das zweite Backblech erweist sich als zu klein für meinen Backofen; das dritte nennt sich 'Multi-Vario' und wäre interessant, weil auszieh- und daher universal verwendbar, kostete es nicht 19 Euro neunzig. Ohne Abkühlnoppen. Finde ich zu teuer. Versteht die Verkäuferin nicht. Muss sie auch nicht. Schwupp, bin ich wieder auf der Rolltreppe. Nach unten. Nach draußen.

In den mit Wintermode dekorierten Schaufenstern des Kaufhauses hängen große Plakate. Auf denen wird angekündigt, dass in zwei Tagen, nach erfolgreichem "Abschluss der aufwendigen Umbauarbeiten in unserem Hause für unsere Kunden", ein "Mega-Einweihungs-Event" mit "Veranstaltungsmarathon" stattfinden wird. Das "Highlight für unsere Kunden", ist zu lesen, bestehe in einem drei Tage währenden sogenannten "VIP-Shopping". Was immer man sich darunter vorzustellen hat, ich schließe mein Fahrrad auf und trete die Flucht an. Ohne Backblech, aber mit dem sicheren Gefühl, dass weder die Innenstadt mich braucht noch ich die Innenstadt.

Auf dem Heimweg schaute ich kurz chéz Aldi vorbei. Waschpulver, Klopapier, Butter, Kaffeefilter, zack zack. Auf dem Weg zur Kasse fiel mein Blick auf eine Schütte mit Nonfood- Aktionsware. Ich wollte es nicht fassen: Backbleche! Made in Germany! Universal-Backbleche zum Ausziehen mit einem Sicherheitsmechanismus zum Einrasten. Vor Freude hätte ich ausrasten können. Das Stück zu vier Euro neunundneunzig.

Ja, da fliegt dir doch das Blech weg.

3 Kommentare:

  1. hihi - das ist gut :-)
    ich wünschte ich würde ein bisschen was von Deiner Konsumscheue haben... Ich kaufe was das Zeug hält - sehr zum Leiden meines Bankkontos *soifz*
    Ganz verheerend erwies sich die Entdeckung des Internet-shoppings - vor allem H&M, Esprit, S. Oliver und ganz vorne mit dabei - Amazon.
    Erspart mir eine Menge Lauferei - vor allem in einer total überfüllten Fußgängerzone.... *soifz*

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  2. Die "Konsumscheue" ist keine Tugend, sondern kommt von ganz allein, wenn das Bankkonto dauerhaft die Grätsche macht ;).

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