Montag, 2. August 2010

Sehnsucht


Was habe ich heute nacht schlecht geschlafen. Nein, nicht weil ich schlecht geträumt hätte, im Gegenteil, ich hatte einen Traum, der war so toll, dass ich davon aufgewacht bin und nicht mehr einschlafen konnte. Ich habe nämlich geträumt, dass ich nach Kuba umgezogen bin.

Mein Traum muss wohl damit zusammenhängen, dass ich gestern abend, kurz vorm Einschlafen, mit einem Ohr noch die Nachrichten im Radio gehört und irgend etwas mitbekommen habe von wegen: In Kuba werde die Staatswirtschaft künftig dahingehend gelockert, dass es "mehr Arbeiter auf eigene Rechnung" geben werde (kubanisch korrekt für: kleine Selbständige). Schon halb am Wegdämmern bekam ich mit, dass als Beispiele für "Arbeit auf eigene Rechnung" Taxifahrer, Friseure und kleine Bäckereien genannt wurden. Hey, mein Einsatz!, dachte ich noch und entschlummerte alsdann. Der Rest war Traumarbeit. Auf eigene Rechnung.

Mitten in der Nacht wachte ich auf und wollte Koffer packen. An Weiterschlafen war nicht mehr zu denken. Also legte ich kubanische Musik auf und schaltete um vier Uhr das Radio ein. Die Frühnachrichten brachten die frohe Botschaft von der Zuckerinsel sogar an zweiter Stelle, unmittelbar nach dem seit Tagen ewiggleichen Sauerland-Gedaddel. Es musste also was dran sein, ich hatte mir das alles nicht zurechtgeträumt. Ich wollte nach Kuba. Ich will es immer noch. Ich habe solche Sehnsucht nach diesem Land mit seinen Menschen, die für ihre wundervolle Musik alles andere stehen und liegen lassen und dafür sogar die Machenschaften eines Castro-Clans in Kauf nehmen.

Erst mal nüchtern recherchieren, dachte ich dann heute mittag, was da eigentlich los ist. Die FAZ baut - wenig überraschend - eine echte FAZ-Drohkulisse auf: "Echte Reformen in Richtung freie Marktwirtschaft wird es laut Wirtschaftsminister Marino Murillo aber nicht geben", was ich schon mal beruhigend finde, weil ich ja nicht nach Kuba gehe, um mir dort den gleichen Schlamassel einzufangen wie hier. Gut, nun könnte man einwenden, ob ich mich stattdessen lieber mit der sozialistischen Bürokratie herumschlagen möchte? Nicht dass ich darauf besonders scharf wäre, aber es soll doch bitte keiner glauben, die freie marktwirtschaftliche Bürokratie mache den kleinen Selbständigen hierzulande das Leben leichter. Ich kann ein Lied davon singen.

"Kuba hatte zuletzt mit großen ökonomischen Problemen zu kämpfen", wird in dem begleitenden Video kommentiert - ja, Leute, welches Land hatte oder hat das nicht, im Jahr 2010, wo das Erfolgsmodell freie Marktwirtschaft gerade weltumspannend vor die Wand gefahren wird? Hallo? Könnt ihr mal eure antisozialistischen Beißreflexe zügeln und den systembedingten Dreck vor der eigenen Haustür kehren?

Den Vogel aber schießt der momentan erste Mann im Staate Kuba selbst ab: "Man muss ein für alle mal mit der Vorstellung aufräumen, dass Kuba das einzige Land auf der Welt ist, in dem man leben kann, ohne zu arbeiten", rhabarberte Raoul Castro gestern in die Mikrofone. Mann, Castro, wach auf! Komm nach Deutschland und mach dich mit der hiesigen bösartigen Politrhetorik vertraut - wir sind hier nämlich im Schlaraffenland, in dem man leben kann, ohne einen Finger krumm zu machen, denn bekanntlich haben es die Leute hier nur darauf abgesehen, die üppig ausgestatteten Sozialsysteme zu plündern, um sich hernach auf die faule Haut zu legen.

Ich will nach Kuba. Dort könnte ich eine kleine Brotbäckerei aufmachen oder ein Fahrradtaxi-Unternehmen gründen. Haareschneiden kann ich auch so là là. Oder irgend etwas anderes. Und wenn's ganz hart kommt - mal ehrlich, lieber Putzfrau in Kuba als in Deutschland. Ja ja, ich denke nochmal drüber nach. Aber der Stachel sitzt im Fleisch.

Das letzte Wort hat Musicana Cubana. Wer sonst.

3 Kommentare:

  1. Genial verjazzte Aufnahme von "Besame Mucho"!! Klasse! (im Herbst wieder Leverkusener Jazztage - gehste mit?)

    In puncto Bürokratie, hast Du den Nagel auf'n Kopp getroffen. Auch außerhalb Deutschland gilt: Bürokratie ist Bürokratie ist Bürokratie ... Woran das wohl liegt? Menschen? Abraham Lincoln? „Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht.“ (hat er nich vllt. auch Bürokratie gemeint)

    Ansonsten: Die Verhältnisse D ./. Kuba sind vielleicht doch 'n bisschen anders? Hier brauchste nich arbeiten - hier iss spätrömische Dekadenz. Wennste zum Elitariat gehörst ...

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  2. Natürlich sind die Verhältnisse Deutschland/Kuba anders, was meinst du, warum ich da hin will? Obwohl, du hast recht - ich geh' nach Kuba, strick' mir 'ne Hängematte, leg' mich rein und fertig ist die spätkaribische Dekadenz.

    Ja, und das mit der Bürokratie - dem Hund im Amt gehorcht man, heißt es nicht so? Ach je, mein armer Hund...waltet grade seines Amtes...

    Leverkusen, uh, Leckerbissen...letzte Ausfahrt vor Kuba...ich fang' schon mal an zu sparen.

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  3. "Leverkusen, uh, Leckerbissen...letzte Ausfahrt vor Kuba...ich fang' schon mal an zu sparen." *lol*

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