Mittwoch, 3. Februar 2010

Busreisen


Morgens um fünf Uhr einundzwanzig ist es so weit: Der Bus kommt. Manchmal. Es wäre kein richtiger Bus, wenn man sich auf ihn verlassen könnte. Genau genommen kommt der Bus, wann es ihm passt. Also stehe ich in der Kälte und warte auf das Ungewisse, trample Schnee- und Matschhäufchen klein, um nicht zu frieren und schaue von weitem aus wie einer vom grönländischen Kneippverein. Irgendwann endlich erklingt ein langgezogenes archaisches Ächzen - der Bus bremst an der roten Ampel -, dann biegt das dicke Raumschiff um die Ecke und verschluckt mich. Die nächsten zwanzig Minuten verbringe ich in einem sozialen Mikrokosmos der besonderen Art.

Im Gegensatz zur U-Bahn herrscht im Bus ein fast religiöses Halbdunkel. Das heißt: je weiter hinten, desto dunkler. Nur vorne, direkt hinterm Fahrer, brennt eine schwache Deckenbeleuchtung.
Im Gegensatz zur U-Bahn ist der Bus gut besetzt: mit knapp zwanzig Frauen und schätzungsweise zwei Männern.
Im Gegensatz zur U-Bahn geht es im Bus durchaus geräuschvoll zu. Einige der Frauen kennen sich, haben sich entsprechend platziert, unterhalten sich lebhaft, kichern viel und begrüßen manche neu Hinzusteigende lautstark wie eine alte Bekannte mit "Morrrgeen!" - vom Rest ihrer Sprachen verstehe ich kein Wort - und dann wird noch mehr gekichert.

Kurzum, im Gegensatz zur U-Bahn kann man im Bus frühmorgens was erleben. Einer ungeschriebenen Regel folgend sitzen die Geselligen im hinteren Teil des Busses, während die schweigsamen Solisten die Fensterplätze im vorderen Teil okkupieren. In Fahrtrichtung, versteht sich. Nachgerade tabu scheint es zu sein, dort einen Platz gegen die Fahrtrichtung einzunehmen; jedenfalls macht es niemand. Lieber setzen sich die Leute neben einen Fensterhocker - ungern, aber wenn's sein muss - als ihm schräg gegenüber. Ich fahre jetzt seit Daisys Comeback morgens mit dieser Linie, und nie hat sich im vorderen Teil des Busses jemand gegen die Fahrtrichtung gesetzt, mich eingeschlossen; selbst bei maximaler Müdigkeit und größter Platznot bleibe ich lieber vorne beim Fahrer stehen und schaue den großen Scheibenwischern beim Schwingen zu. Warum? Ich habe nie darüber nachgedacht. Ich vermeide es einfach instinkthaft.

Man könnte diese frühe Busverbindung auch Putzfrauenlinie nennen. Putzfrauen erkennt man daran, dass sie dicke Anoraks tragen, riesengroße Schulterumhängetaschen mit sich führen und die besten Plätze im Bus besetzen. Außerdem haben Putzfrauen meistens noch einen extra Tragebeutel bei sich, auf dem Namen wie Esprit oder Douglas stehen (nie wird auf einem solchen Tragebeutel der Name Aldi oder Lidl zu lesen sein). An einigen Haltestellen - Krankenhäusern, Bürogebäuden - verlassen sie grüppchenweise den Bus. Neue Putzfrauen in dicken Anoraks steigen zu, zielstrebig die soeben frei gewordenen besten Sitzplätze ansteuernd.

So geht das jeden Morgen. Aber seit ein paar Tagen ist es ein bisschen unruhig geworden auf der Putzfrauenlinie. Es steigen nämlich gelegentlich Menschen zu, die nicht so recht ins gewohnte Bild passen: Männer mit schweren schwarzen Wollmänteln, Laptopkoffern und Schuhwerk, das für Schneematsch nicht geschaffen wurde. Männer also, die nicht für öffentliche Verkehrsmittel geschaffen wurden. Männer, die ein Auto haben, aber mit dem Auto irgendein Problem haben.

Nach dem Lösen eines Fahrscheines werfen sie einen prüfenden Blick in den Bus, halten inne und wissen sichtlich nicht wohin mit sich. Hinten ist es ihnen zu düster, vorne ist kein Fensterplatz frei. Sich neben einen der Fensterhocker zu setzen, kommt ihnen nicht in den Sinn - also nehmen sie gegen die Fahrtrichtung Platz, und zwar ganz vorne, wo man dank Deckenlicht noch einigermaßen etwas sehen kann. Dort sitzen sie also.

Nach einer Weile gewöhnen sich die Augen des Neueinsteigers an das Halbdunkel. Er erkennt im hinteren Teil des Busses schemenhaft die Umrisse von lauter fellbesetzten Anorak-Kapuzen mit Gesichtern, deren Augen allesamt auf ihn, den Neueinsteiger gerichtet sind. Aus den Fellkapuzen heraus gluckst und kichert es. Die Sprachen klingen fremd. Der fremde Mann fühlt sich fremd. Das fahle Deckenlicht wird zum Scheinwerferspot. Statt selbst zu kontrollieren fühlt er sich kontrolliert. Nach zwei Stationen hält er es nicht mehr aus. Er erhebt sich, dreht sich um und wendet uns für den Rest der Fahrt den Rücken zu. Obwohl neben den Solo-Putzfrauen noch genug Platz gewesen wäre. In Fahrtrichtung.

3 Kommentare:

  1. schön beobachtet - ich finde es manchmal witzig, gegen zu sitzen und die leute zu beobachten.. falls ich mal kein buch dabei habe :).

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  2. Puuh - also gegen die Fahrtrichtung geht bei mir gaaar nicht - weil mir dann innerhalb kürzester Zeit übelst übel werden würde....

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