Dienstag, 3. November 2009

Tran und Trance


Habe ich gestern behauptet, Fahrradschieben sei uröd? Nicht dass ich dies zurücknehmen würde. Aber seit ich heute morgen um halb sechs per U-Bahn unterwegs war, suche ich nach einer Steigerungsform von uröd. Ururöd klingt blöd und wäre viel zu harmlos. Ich finde kein passendes Wort für jene lähmende Dunstglocke, die sich in den frühen Morgenstunden über das Innere einer deutschen Großstadt-U-Bahn legt.

Etwa fünf bis sechs Fahrgäste sitzen in jedem der großen Wagen, bei einer Zuglänge von drei Wagen. Das weiß ich schon lange, fahre ich doch jeden Morgen an der kurzen oberirdischen Strecke einer U-Bahn vorbei. Sehe flüchtig, wie die steingewordenen Gesichter mit tranigen Augen ins Leere schauen. Wie die im Sparmodus laufende Innenbeleuchtung das Fahle in den Gesichtern noch unterstreicht. Wie sich kein Mensch rührt, weil sie, alle tief eingesunken in hochgeschlagene Krägen und dicke Schals, wie erstarrt wirken.

Das sind immer jene kurzen Augenblicke, wo ich tief und laut ausatme vor Zufriedenheit, dass ich auf meinem Fahrrad den Wind im Gesicht spüre und die Kälte an den Fingerspitzen durch die Handschuhe dringt, und gerade die erste Steigung im sechsten Gang geschafft habe und der Atem immer tiefer und rhythmischer kommt und in mir drin ein kleiner heißer Ofen bullert, der unentwegt Wärmewellen in die kalten Randzonen pumpt, mein Gesicht von innen zu glühen beginnt, während die Außenhaut vor Kälte prickelt, und die Wärmewellen jagen bis hinauf an die Schädeldecke, unter der es pulsiert und lebendig wird, und das Gehirn wacht auf und springt an und die Gedanken machen, was sie wollen und dürfen machen, was sie wollen, denn schließlich muss ich auf den Verkehr und die Ampeln und das nasse Herbstlaub achten und kann mich nicht auch noch um meine Gedanken kümmern.

Nun ist es das eine, die U-Bahn-Tristesse von draußen zu beobachten; das andere, mittendrin in ihr zu sitzen. Ohne Entrinnen. Bereits nach zwei Stationen merkte ich, dass ich nicht nur passiv duldend einem öffentlichen Tranceritual beiwohnte, sondern es aktiv reproduzierte.

Wie festzementiert hockte ich regungslos auf dem Polstersitz wie alle anderen, stierte sinnentleert aus dem Fenster wie alle, drehte mechanisch den Kopf nach vorne wie alle, sobald die unterirdische Strecke begann, um mir den Anblick des sinnentleerten Spiegelbildes zu ersparen. Sonst hätte nämlich eine grausame optische Verdoppelung des kollektiven Stumpfsinnes gedroht. Also dumpfte ich stumpf vor mich hin wie alle. Die trübe Innenbeleuchtung legte sich trübend auf mein Wachbewusstsein, meine Wahrnehmung dämmerte irgendwo im standby-Zustand herum. Ich nistete mich in einem unsäglichen Mentalmief ein.

Die paar hundert Meter zu Fuß bis zum Restaurant fand ich kalt und ungemütlich. Ich fand überhaupt, alles war eine Zumutung. Alles. Jeder Schritt durch die Kälte. Dabei war es heute früh gar nicht kalt. Beim Öffnen der Tür meinte Frau Übermop "Mensch, du sieht vielleicht verpennt aus", was sich kein Mensch gern sagen lässt, besonders wenn er verpennt ist und genau weiß, dass er verpennt aussieht. Dann schleppte ich mich in die Küche. Mir fehlte jeglicher Elan. Ohne Elan ist Putzen unmöglich. Oder doch, möglich ist es schon, aber eine glatte Zumutung. Unkoordiniert fuhrwerkte ich durch die Gegend. Meine Handgriffe saßen nicht so routiniert wie sonst. Meine Bewegungsabläufe wurden ständig unterbrochen von Überlegungen wie 'Machst du jetzt erst dies oder besser das oder vielleicht solltest du zuerst jenes...'. Ich war einfach nicht richtig bei der Sache. Nicht weil mich etwas abgelenkt hätte, sondern weil weder das Hirn noch der Rest meines Körpers wach und angemessen durchblutet waren.

Um kurz nach zehn schaute Frau Übermop demonstrativ auf die Uhr und sprach folgendes: "Meinst du nicht, du solltest endlich mal zu deinem Ehemann gehen?" Ehemann, sagte sie. Ehemann? Wo die Übermop doch genau weiß, dass ich nicht verheiratet bin. Überhaupt, was sollte das denn bitte? Ehemann! Ich guckte dämlich. "Na ja, zu deinem Fahrrad eben", erklärte sie mit ungerührter Miene, "ich dachte, das ist jetzt fertig zum Abholen?"
Tja. Das war wieder mal einer dieser typischen Übermopschen Abroller rückwärts. Während ich Jacke und Schuhe anzog, meinte ich sie im Davongehen brummeln zu hören "...ist ja nicht zum Aushalten mit dir, so ohne dein Fahrrad".

2 Kommentare:

  1. mich hat das zur-schule-busfahren auch immer betäubt - mit der vespa war da schon besser ;). jetzt isses das auto, aber die scheibe ist meist runter, wegen der frischen luft :).

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  2. Betäubt ist ein gutes Wort. Schlimmste Wachnarkose...;)

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