Der deutsche Geist zur Einheit eilt,denn Deutschland war lang zweigeteilt.Ein Trost bleibt uns trotz dieser Macken:Auf ewig hat der Arsch zwei Backen.
Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal in einem Konzert war. Ist ja immer so teuer. 17 Euro, ein Vermögen. Aber hey - Big Spender! Zwei spendable Jungs luden mich ein.
Nicht ohne Vorwarnung: "Mach' dich auf was Ungemütliches gefasst." Wie, ungemütlich? "Ja, nix zum Zurücklehnen und Genießen." Sondern? "Eher vorne auf der Stuhlkante. Bisschen bösartig. Ziemlich abgedreht. Brauchste starke Nerven." Hab' ich doch. "Nicht so wie du denkst. Die schrecken vor nichts zurück." Wer? "Die beiden Musiker. Denen ist nichts heilig. Die machen richtig Krach." Wie, Krach? Keine Musik? Ich denke, wir gehen ins Konzert? "Alles Definitionssache." Was denn jetzt? "Musikalischer Krach, wenn du so willst." Oh Jessas. "Wart's ab."
Foyer. Überwiegend ältere Herrschaften. Überwiegend etwas zu jugendlich zurechtgemacht. Überwiegend mit Rotweinglas in der Hand. Foyer halt.
Gesprächsfetzen. "Wird bestimmt ein toller Abend." - "Die Karten waren ruckzuck ausverkauft." - "Der X und die Y haben keine mehr bekommen." - "Der X und die Y?" - "Weißt schon, der Alte mit der Jungen." - "Ach, der." - "Genau der, hö hö." - "Ist ja richtig viel Prominenz hier. " - "Hast du gesehen? Die Bürgermeisterin ist auch gekommen." - "Ist ja auch ein gesellschaftliches Ereignis, hö hö." - "Ja, hö hö hö, wieder mal in alten Zeiten schwelgen." - "Ist ja heute alles nicht mehr so wie früher, Prost!" - "Guten Rotwein haben sie hier, kann man nicht meckern." - "Wenigstens der Rotwein ist heute besser als früher." - "Hö hö hö." - "Wir haben alles andere für heute abend abgesagt." - "Wir auch - wär' da nicht die Party bei dieser CDU-Tante gewesen?" - "Auf die Party kannst du immer noch nach dem Konzert gehen." - "Erst das Vergnügen, dann die Arbeit, hö hö." - "Hö hö hö!" - "Das Vergnügen lassen wir uns nicht nehmen!" - "Heut' abend gehen wir zum Beltz!"
Parmesan und PartisanWo sind sie gebliebenPartisan und ParmesanAlles wird zerrieben
Big Spender One: "Sind mindestens zu 80 Prozent ehemalige Straßenkämpfer hier."
Big Spender Two: "Betonung auf 'ehemalige'."
Big Spender One: "Jetzt alle im Ruhestand."
Big Spender Two: "Rotwein-Rentner."
Beltz? Welcher Beltz? Matthias Beltz. Satiriker und politischer Kabarettist. Bisschen bösartig. Ziemlich abgedreht. Einer mit starken Nerven. Schreckte vor nichts zurück. Heilige Kühe waren ihm fremd. Starb mit 57 Jahren an einem Herzinfarkt. Sprachkünstler auf dem Drahtseil, immer haarscharf balancierend zwischen tiefschürfendem Wortwitz und höherem Nonsense. Triefend vor Sarkasmus. Verächter von Heldenverehrung und andächtigem Kult. Liebhaber von Provokation und Permanenzreibung.
Konzert. Auf der Bühne zwei Herren mit sympathisch-bescheidenem Auftreten. Beide im dunklen Anzug, der ältere mit Schlips, der jüngere ohne. Keyboards, Electronics, Schläuche, geräuschproduzierende Gegenstände, Akkordeon. Klänge. Geräusche. Gerumpel. Geschepper. Gefiepe. Mal lärmig laut, mal flüsternd leise. Mal rhythmisch, mal nicht. Immer wenn sich ein groovender Beat andeutet, wird der Klangschönheit ganz schnell die Spitze wieder abgebrochen. Botschaft: Glaubt bloß nicht, wir wollen, dass ihr euch wohlfühlt.
Beltz fädelt sich ein. Nur als Stimme, denn der Rest von ihm bleibt oben. Oben? Im Himmel. Ist ja tot. Oben - Beltz remixed heißt das Werk. Auf Begleitspuren wird die Stimme von oben eingespielt, derweil es unten die beiden Herren ordentlich krachen lassen. Beltz singt, spricht, raunt, nuschelt und verschluckt wie eh und je souverän die Wortendungen; die Herren Carl und Augst tröten, klimpern, rasseln und sampeln nach Herzenslust ihr eigenes Material dazu.
Gelegentlich singen sie sogar gemeinsam mit Beltz. Dessen Stimme wird elektronisch bis zur Schmerzgrenze verfremdet. Dessen Singsang wird so systematisch gegen den Strich gebürstet, dass es schon wieder passt wie die Faust aufs Auge, denn nichts hat dem Schlitzohr Beltz besser gefallen als seine eigenen Worte und die Sprechblasen anderer notorisch gegen den Strich zu bürsten.
Publikum. Das hörspielartige Klanggebilde kommt äußerst schräg und irritierend daher - eine Zumutung für unschlitzohrige, harmoniebedürftige Ohren; besonders für solche, die sich nach einem gefälligen Rotwein ein gefällig-nostalgiegetränktes Wiederhören mit dem kultisch Verehrten erhofft hatten: Wasch mir den Beltz, aber mach mich nicht nass. Der Frust im Publikum war mit Händen zu greifen. Nervöses Füßescharren. Unruhiges Hinternrutschen auf den Stühlen. Genervt-unterdrücktes Seufzen. Der schwächliche, nach jeder Nummer absolvierte Applaus war enden wollend und klang unehrlich. Ich sehnte mich nach ehrlicher Unhöflichkeit. Ich hörte, wie hinter mir eine Frauenstimme zischte: "Was soll das? Warum tun die das unserem geliebten Beltz an?" Eine Männerstimme fragte leise, ob sie lieber gehen wolle? Unmöglich, fauchte sie flüsternd, "wie sieht das denn aus?" Ich fand, es hätte gut ausgesehen.
Europa ist ein Irrenhaus und Deutschland die geschlossene Abteilung.
Foyer. Nach dem Konzert entleerte es sich zügig. Keine Gespräche, keine diskutierenden Grüppchen, kein heftiges Für und Wider. Schnell die Mäntel an der Garderobe abholen, Blickkontakte vermeiden. Schnell raus auf die Straße - mit Sicherheit nicht, um dort zu kämpfen, sondern, wie ich mit einem Ohr aufschnappte: "Wollen wir nicht doch noch schnell bei der CDU-Tante vorbeischauen?" - "Gute Idee, auf 'nen Absacker." - "Hab' ich jetzt auch dringend nötig."
Die Jungs in den Spendierhosen hatten recht behalten. Das war nichts für schwache Nerven gewesen. Beim Nachhauseradeln entsann ich mich eines Spruches von Matthias Beltz. Der Samstag, hat er mal in seiner Vorliebe fürs Makabre gesagt, sei der Faschist unter den Wochentagen, weil er da einfach nicht aus dem Bett rauskomme. Gestern war Samstag. Gut, dass er es gestern geschafft hat, sich mal kurz aus seinem Grab zu erheben.
(Zitate von Matthias Beltz via matthiasbeltz.de)
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