Mittwoch, 17. November 2010

Nüchtern betrachtet


Aua. Den heutigen Tag hatte ich mir anders vorgestellt. Es hat nicht sollen sein. Was mache ich jetzt mit dem angebrochenen Nachmittag? Stänkern.

Ich hatte mich auf eine Geburtstagseinladung gefreut. Gestern einen hammermäßigen Schokoladekuchen gebacken. Die Tochter einer Bekannten wird 18, geht noch zur Schule, macht nächstes Jahr Abitur. Ein blitzgescheites Mädchen mit guten Noten, solider humanistischer Bildung und gelegentlich vorlauter Klappe - eine vielversprechende Kombination. Ob es an der Bildung oder an der Klappe liegt (oder an beidem), weiß ich nicht, jedenfalls trafen das Kind und ich uns auf derselben Wellenlänge, hatten stets Gesprächsstoff im Überfluss und teilten die Vorliebe fürs Scharfzüngige. Wenn so eine Hoffnungsträgerin 18 wird, backe ich Schokokuchen der Extraklasse. Da steht er nun, der Schokokuchen, und wird dort stehenbleiben. Er wird meine Wohnung nicht verlassen; ich auch nicht. Shit happens.

Mittags ein Anruf von der Frau Mama: Sie würden sich alle schon so freuen auf mein Kommen, man habe sich ja so lange nicht mehr gesehen, die Tochter könne es gar nicht erwarten, mich mit ihren Freundinnen bekannt zu machen, "nur eine kleine Bitte" habe sie, die Frau Mama - es wäre ihr recht (O-Ton), wenn ich das mit meinem Putzjob heute nachmittag nicht an die große Glocke hängen würde, ob das ginge? "Vor all den Mädels", ergänzte sie, "du verstehst, was ich meine?" Nein, ich verstand es nicht. Absolut nicht. Zwar ahnte ich durchaus, was gemeint war, hatte aber keine Lust es zu verstehen. Absolut keine Lust. Ich schwieg unheilvoll. Was die Mutter dazu bewog, sich wasserfallartig um Kopf und Kragen zu reden.

Quintessenz des mütterlichen Redestroms: Man dürfe doch die jungen Menschen nicht desillusionieren, jetzt, wo sie an der Schwelle zum Schulabschluss, zur Universität, zum Beruf, zum - ja! - zum Leben stünden mit all ihren Erwartungen und Hoffnungen und natürlich - ja! - leider - jaa! - auch Ängsten, weil "es" heutzutage eben schwierig sei, so mit Beruf und Arbeitsmarkt und so - jaaa! - und man habe ihnen, den jungen Menschen, darum von klein auf Bildung vermittelt und ihnen eingebläut, dass Bildung das Allerwichtigste sei und ohne eine gute Ausbildung nichts laufe und da würde ihnen halt so ein, äh, Putzjob einer, eh, Akademikerin, irgendwie, du verstehst?, irgendwie doch die Fundamente dieser, öh, Zuversicht erschüttern, also dieser Zuversicht, dass "es" mit umfassend guter Bildung schon zu schaffen sei, du verstehst, am Aufbauen dieser Zuversicht habe man schließlich jahrelang konsequent gearbeitet, und da käme so ein, äh, Putzjob halt nicht so doll rüber, so von der Message, verstehst du?, weil, rein so als Message sei das ja eher, öh, ernüchternd, könnte man sagen, verstehst du, was ich meine?

Ja, Herrgott. Alles verstanden. Das mit der Ernüchterung könne ich sehr gut verstehen, erwiderte ich, denn mein Putzjob sei tatsächlich ernüchternd und das nicht nur so als Message, sondern vollumfänglich. Mehr sagte ich nicht, weil mir mehr nicht einfiel - bei abgesackter Kinnlade, erhöhtem Puls, adrenalinbefeuert. Weil ich dieses Gespräch doch als ziemlich, öh, ernüchternd empfand. Wobei das ja nichts Schlimmes sein muss, so eine Ernüchterung. Ist halt hart und tut weh, macht aber klüger. Unbedingt.

Selbstverständlich bleibe ich der Feier fern. Weil mir nicht danach ist, dem Geburtstagskind nebst Schokokuchen eine Lüge über meine Person sowie eine faustdicke Bildungslüge aufzutischen. Ist mit mir nicht zu haben. Höchstens, wenn ihr mich dafür bezahlt, und zwar anständig. Ist nämlich ein anstrengender Job, den ganzen Nachmittag bei euch rumzuhängen und so zu tun als ob.

Inzwischen habe ich mich so weit wieder beruhigt, dass ich zur Vernichtung des Geburtstagsgeschenkes schreiten konnte. Bin schon beim zweiten Stück Kuchen. Schmeckt große Klasse. Während ich esse, gebe ich mich lustvoll-bösartigen Tagträumereien hin, wie es wäre, wenn ich der jungen Dame zum Geburtstag per Email einen Link auf mein Blog schickte, so als hochschulreife-begleitende Fortbildungsmaßnahme, so als Message, sozusagen. Mal ehrlich, ich kenne das Mädchen gut genug, um mir einzubilden, dass sie das Zeugs hier gerne lesen würde. Vielleicht würde das Lesen sie auch ernüchtern. Na und.

Es gibt Tage, da könnte ich das linksliberale Bildungsbürgertum in einen Sack stecken und grußlos auf den Mond schießen. Und zwar mit Sack und Pack. Eltern haften für ihre Kinder.

14 Kommentare:

  1. So eine Frechheit!
    Armseliges Pack!
    Immer schön die Augen vor der Realität verschließen!

    Lass Dir den Kuchen gut schmecken!

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  2. Den Punkt, an dem du wirklich ausgeladen wurdest, habe ich wohl verpaßt.

    Bildungsbürgertum hin oder her - ohne Motivation und Bildung geht gar nix.

    "Eltern haften für ihre Kinder". Das ist konkret krass falsch. Entweder sind Kinder strafmündig oder eben nicht. In keinem Fall "haften" die Eltern.

    Du solltest dem Kind helfen sich selber zu verwirklichen - aber nur wenn es will. Und dann solltest du ihm sagen, dass es zum Ausgleich für die Selbstverwirklichung auch Verantwortung zu tragen hat.

    Das ist postmoderne Dialektik.

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  3. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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  4. @Anonym
    Falsche Brille getragen beim Lesen?

    Ich wurde nicht "ausgeladen", sondern eingeladen, aber bitte mit Maulkorb. Darauf habe ich aus freien Stücken verzichtet.

    "ohne Motivation und Bildung geht gar nix", danke für die Belehrung, hab selbst Abitur. Im Post geht es um Kontext, nicht um Gemeinplätze.

    Auch den Kontext am Schluss hast du wohl verpasst. Ob sie nun auf den Mond geschossen sind oder noch im Sack stecken, sie haften. Hauptsache sie bleiben mir vom Leib. Ob sie die Ironie dabei verstehen, ist mir wurscht.

    Kommt du aus dem sozialpädagogischen Umfeld? Nur so lässt sich dein letzter Absatz verstehen. Über die Erziehungsideale für Kinder entscheiden ihre Eltern, nicht ich. Dem konkreten Kind wünsche ich, dass es eines schönen Tages stark genug sein wird, sich selbst zu helfen. Ich selbst habe genug damit zu tun, mir selbst zu helfen, während ich mich als postmoderne Putzfrau selbst verwirkliche.

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  5. Jaja, das Bildungsbürgertum, ganz egal wo die meinen, sich politisch verorten zu müssen, ist die Pest. Was ich mir da manchesmal schon anhören musste... meine Fresse. Da war das meiste - so rein von der Message her - auch recht ernüchternd. Abitur und Akademikerkarriere hin oder her, die Menschenverachtung kriegt man aus einigen Leuten partout nicht raus (was doch den dunklen Verdacht aufkommen lässt, dass das eine mit dem anderen gar nichts zu tun hat).

    Lass dir den Schokokuchen schmecken!

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  6. @Klari, Amike
    Wir haben euch zwei Stück übrig gelassen:
    http://dierotenschuhe.blogspot.com/2010/11/kuchen-statt-brot.html

    Greift zu! :)

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  7. Also, da kommt mir die Galle hoch. Ich hoffe inständig, dass Du diesem jungen Menschen (der kein Kind mehr ist) nicht nur den Link zu Deinem Blog, sondern noch ein paar weiterführende Informationen geschickt oder gegeben hast! Wer, wenn nicht die nachwachsende Generation, soll denn etwas an diesen fiesen Entwicklungen der Gegenwart verändern, die insbesondere eben diese Generation betreffen? Solche Eltern, die ihr Kind quasi ins offene Messer der Realität laufen lassen wollen, tun solche Dinge gewiss nicht wie behauptet wegen des "Wohles des Kindes" - das ist schlicht absurd.

    Ich habe mir beim Lesen aber gewünscht, Du hättest anders gehandelt und wärst einfach hingegangen und hättest den jungen Damen und Herren von Deinen Erfahrungen erzählt - ganz egal, was die Mama dazu gesagt hätte. Dass das aber leichter geschrieben als getan ist, ist mir auch klar.

    Das jedenfalls hätte den jungen Menschen gewiss mehr geholfen als das oberpeinliche Abschottungsverhalten der Mutter.

    Ich will nicht polarisieren - aber ein wenig erinnert mich das Verhalten dieser Frau an die Leute, die vor nicht allzulanger Zeit ihre Kinder in die HJ oder zum BDM geschickt haben - man fand das zwar nicht unbedingt alles toll, aber damit die Kinder "eine Zukunft" haben, hat man es eben gemacht. Eine tolle Zukunft war das. Und eine ebenso tolle Zukunft wartet auf die Kinder heute.

    Ich könnte laut schreien, wenn ich mir dieses "linksliberale Bürgertum", das weder links, noch liberal ist, vorstelle.

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  8. "Und eine ebenso tolle Zukunft wartet auf die Kinder heute."

    Oh - ein Seher. Und so liberal und lebertär. Der weiss natürlich, was für anderer Leute Kinder gut ist.

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  9. @an alle Anonymusse dieser Welt
    Wieso fällt es euch bloß so schwer, euch einen netten kleinen Nickname zuzulegen? Oder legt ihr Wert darauf, mit anderen Anonymussen verwechselt zu werden? Oder seid ihr stets derdiedasselbe Anonymus?

    Vielleicht frage ja nicht nur ich mich das, sondern auch der eine oder andere Leser.

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  10. @Charlie
    Der von A. monierte Satz ist tatsächlich etwas grenzwertig.

    "Abschottungsverhalten" ist ein interessantes Stichwort; ich musste spontan an eine 'Gated Community' denken. Ist was dran. So gesehen, wäre mein Erscheinen dort ja fast einem 'Hausfriedensbruch' gleichgekommen ;).

    Nein, ich werde der jungen Frau weder einen Bloglink noch sonstiges zukommen lassen, weil ich das in dieser Situation als übergriffig empfände. Außerdem habe ich keinen starken Drang, mich in anderer Leute Angelegenheiten einzumischen, und irgendwie hapert's bei mir auch an der genetischen Ausstattung fürs Missionarische.

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  11. Gut. Treffend. Nichts zu ergänzen.

    Außer: merci.

    KL

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  12. Na toll, jetzt hab' ich mich endgültig in dein tolles Blog verliebt... *-*

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  13. ich fühl' mich gerade so in der beobachterrolle, weil ich so spät erst nachlese... [also, spät auf das datum bezogen, nicht auf die uhrzeit ^^..] und es freut mich wirklich!, daß deinen artikeln jetzt mal so viel ... zuteil wird, wie sie verdienen :). wenn du verstehst, was ich meine.

    -- ich mag deine konsequente art.

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  14. Je später der Abend, äh, das Datum, desto netter die Gäste...;)

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